© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

Frisch gepreßt

Kronprinz Wilhelm. Im kleinen Historikerstreit, der immer noch um die Frage kreist, welchen Anteil Wilhelm von Preußen, der ehemalige Kronprinz, am NSDAP-Aufstieg hatte, bezieht Jürgen Luh die Position von Anklägern wie Stephan Malinowski, die meinen, der älteste Sohn des letzten deutschen Kaisers habe der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers „erheblichen Vorschub“ geleistet, indem er als „Brückenbauer“ zwischen den alten Eliten und der braunen Bewegung fungierte. Neue Beweise dafür legt der leitende wissenschaftliche Mitarbeiter im Ressort Wissenschaft und Forschung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg für diese These nicht vor. Stattdessen versucht er diese Vermittlerrolle aus der 1934 veröffentlichten Kronprinzen-Biographie des Danziger Schriftstellers Carl Lange (1885–1959) abzuleiten. Diese selbstverständlich hagiographische, die NS-Affinität Wilhelms herausstreichende Arbeit von dessen ehemaligem Zoppoter Tennispartner sei, so empfiehlt Luh sein „Fundstück“, in der laufenden Debatte erstaunlicherweise noch nicht beachtet worden. Dabei habe sie zeitgenössische Leser doch, wie Luh ohne einen Anflug quellenkritischer Distanz behauptet, authentisch darüber orientiert, „wie dieser sein Sagen und Tun verstanden und bewertet wissen wollte“. (ob)

Jürgen Luh: Der Kronprinz und das Dritte Reich. Wilhelm von Preußen und der Aufstieg des Nationalsozialismus, Verlag C.H. Beck, München 2023, broschiert, 191 Seiten, Abbildungen, 18 Euro





Haftung und Haltung. Umfragen zufolge sinkt das Vertrauen in die deutsche Demokratie seit Jahren. Zu denjenigen, die glauben, ein Heilmittel gegen zunehmende Politikverdrossenheit gefunden zu haben, gehört Stephanie Tsomakaeva, eine Unternehmerin, die 21 Jahre lang in Rußland lebte und Parallelen zu der Entwicklung in Deutschland sieht. Ihr Rezept: konsequente Politikerhaftung. Um dies zu gewährleisten, reichten die bestehenden Vorschriften gerade im digitalen Zeitalter allerdings nicht aus. Unter anderem sollen Politiker-Sondergerichte, neue Strafrechtsparagraphen, Parteienhaftung für Fehlentscheidungen und das Veto-Recht für Bürger das System wieder auf die gerade Bahn bringen und vor Fehlentwicklungen wie „Gesinnungsethik“, fehlender Privatsphäre, Inflation, transnationalem Lobbyismus und Steuergeldveruntreuung bewahren. Zugleich sieht sie Deutschland auf dem Weg zur „gelenkten Demokratie“, in der die Wahlen dank Nudging voraussagbar würden. Auch wenn einige Ansätze liberale Idealisten zum Nachdenken anregen können, sind diese auf der Suche nach pragmatischen Lösungen als wenig realistisch einzuschätzen. (kuk)

Stephanie Tsomakaeva: Politiker müssen haften: Handbuch verantwortungsvoller Demokraten. Verlag Tredition, Ahrensburg 2023, broschiert, 280 Seiten, 12 Euro