© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/23 / 01. September 2023

Freund und Helfer der Stasi
Peter Joachim Lapp zur Rolle der Volkspolizei an der DDR-Grenze
Kuba Kruszakin

Die Mauer, der Stacheldraht und die Selbstschußanlagen: Oft sind diese Bilder des Grauens die ersten Assoziationen mit dem DDR-Grenzregime, doch mehr als zwei Drittel der Fluchtversuche ließen sich bereits vor dem Erreichen des Grenzgebiets unterbinden. Eine Schlüsselrolle spielten die Einheiten der Volkspolizei. Obwohl diese für circa siebzig Prozent der Festnahmen potentieller Flüchtlinge in den Westen Verantwortung trug, fand sie in der bisherigen Debatte wenig Beachtung, nicht zuletzt weil sich viele ihrer ehemaligen hochrangigen Offiziere vor einer konsequenten Aufarbeitung scheuen. Nun macht Peter Joachim Lapp, einer der profiliertesten DDR-Forscher sowie ehemaliger politischer Häftling, diese unterschätzte Säule der SED-Diktatur zum Thema der vorliegenden Studie. Er skizziert die Aufgaben, die Herangehensweise und die Organisation der Ordnungskräfte im Hinblick auf die Bekämpfung der „Republikflucht“. Dabei greift er nicht nur auf die Unterlagen aus dem Bundesarchiv, sondern auch auf teilweise unterschätzte Fachliteratur zurück.

Es handelt sich um keine leichte Lektüre. Dafür sorgt einerseits die überwiegend trockene Sprache: Obwohl das Buch nach eigenen Angaben als ein „populärwissenschaftlicher Beitrag zur Geschichte“ dienen soll, zieht der Autor erkennbar das „Wissenschaftliche“ dem „Populären“ vor. Andererseits bedrücken auch die Erkenntnisse: Lapp gelingt es, ein düsteres Bild eines umfassenden, brutalen Überwachungsregimes im Zustand der Agonie an den Leser zu vermitteln. So erfährt er beispielsweise neben den üblichen Statistiken, Verordnungen und Anweisungen von den „Modernisierungsideen“ der für die Grenzsicherung verantwortlichen Kader sowie den unzähligen Konflikten zwischen den zuständigen Ressorts, insbesondere den Ministerien des Innern und für Staatssicherheit. Meist brachen sie aus Gründen der persönlichen Eitelkeit, Arroganz und Inkompetenz einzelner Bediensteten aus; zudem sorgten die eingeschränkten Möglichkeiten der Sicherheitskräfte für die Nichterfüllung der ohnehin komplizierten Vorschriften. So bleibt der innere Einblick in die Strukturen eines Staates, welcher sich um das eigene Überleben und nicht das Wohl der Bürger sorgt, dauerhaft hängen. 

Auch die in der Forschung unterbewerteten Schwerpunkte wie die Einsätze der Transportpolizei, die an einigen Grenzorten für beinahe die Hälfte der Fluchtverhinderungen sorgte, kommen zur Sprache, und Aussagen ehemaliger Volkspolizisten werden mit kritischem Auge betrachtet. In Zeiten, in denen die Erinnerung an die Spaltung Deutschlands und die sozialistische Diktatur verblaßt, leistet der Autor einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung. 

Peter Joachim Lapp: Volkspolizei als Teil des Grenzregimes der DDR. Dokumentation und Analyse. Helios Verlag, Aachen 2023, gebunden, 154 Seiten, 23 Euro