© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/23 / 25. August 2023

Bartsch nun auch
Linke: Fraktionschef gibt auf
Christian Vollradt

Krise konnte die Linkspartei schon immer. Einst lehrte sie zu Regierungszeiten von Agenda-2010-Kanzler Gerhard Schröder dessen SPD das Fürchten, heute ist sie die größte Gefahr für sich selbst. Neuestes Indiz für den Selbstzerstörungsmodus: Mitte vergangener Woche kündigte auch Teil 2 des Führungsduos der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, seinen Rückzug aus dem Amt an. Wie Kollegin Amira Mohamed Ali wird er nicht erneut für den Vorsitz kandidieren. Angeblich stand der Entschluß schon lange fest. 

Bartsch traute man zu, Wagenknecht und ihre Gefolgschaft an Bord zu halten und Kompromisse zu finden, um wenigstens nach außen Geschlossenheit zu simulieren. Möglicherweise sah der Weichende selbst die Chancen dafür schwinden. In der Bundestagsfraktion werden 13 Abgeordnete dem Lager von Wagenknecht zugeordnet. Wobei der in Leipzig direkt gewählte Sören Pellmann bekannt hatte, ihr trotz aller inhaltlichen Nähe nicht folgen zu wollen, sollte sie tatsächlich die Linke verlassen und eine neue Partei gründen. Anders wohl Kolleginnen wie Zaklin Nastic oder Sevim Dagdelen. 

Zittern vor der Neuwahl in Berlin

Der Flügel der erklärten Widersacher und Gegner Wagenknechts in der Fraktion soll elf Abgeordnete zählen, darunter Parteichefin Janine Wissler und Ex-Parteichef Bernd Riexinger. Elf Linke gehören zum sogenannten Reformer-Lager, neben Bartsch und Gysi auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Während Wagenknecht vor allem „Wessis“ in der Fraktion hinter sich weiß, sind die Reformer Ost-dominiert. Vier Abgeordnete – darunter die ehemalige Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow – lassen sich keinem der drei Flügel zuordnen. 

Zu allem Überfluß schwebt noch ein weiteres Damoklesschwert über der Fraktion, ein Schicksal, das sie selbst nur mittelbar beeinflussen kann: die mögliche Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin. SPD, Grüne und FDP hatten mit ihrer Mehrheit im Wahlprüfungsausschuß beschlossen, daß – anders als im Fall der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus – die am selben Tag im September 2021 im Chaos versunkene Wahl zum Bundestag nur in 432 der insgesamt 2.257 Wahlbezirke wiederholt werden soll. Dagegen zog die Union vor das Bundesverfassungsgericht, ihrer Ansicht nach müßte in wesentlich mehr Bezirken neu gewählt werden. Eine Entscheidung in Karlsruhe wird für den Herbst erwartet. 

Eine Neuwahl könnte für die Linke das fast vollständige Aus im Reichstagsplenum bedeuten. Denn ihren Einzug in Fraktionsstärke verdankt sie drei Direktmandaten, zwei davon – Gesine Lötzsch und Gregor Gysi – in Berlin. Schon in der „kleinen“, von der Ampel-Koalition beschlossenen Version der Neuwahl ist Gysis Wahlkreis in Treptow-Köpenick betroffen. Verlangt das Verfassungsgericht die Neuwahl in mehr Bezirken, müßte die weit weniger prominente Lötzsch zittern. Blieben zu viele enttäuschte Linken-Wähler den Urnen fern, hätte das also deutschlandweite Folgen. Die Linksfraktion verschwände aus dem Bundestag, in einem Stück und ganz ohne Spaltung.