© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/23 / 04. August 2023

Die EZB hebt ihren Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent an
Im Schleudertrauma
Ulrich van Suntum

Mit der Geldpolitik verhält es sich wie bei einem Wohnwagengespann: Einmal ins Schleudern geraten, ist es schwer, wieder in die Spur zu kommen, ohne in den Graben zu fahren. Links lauert die Rezession, rechts die Inflation, und es braucht viel Fingerspitzengefühl, beides zu vermeiden. Die EZB macht nicht den Eindruck, das Lenkrad fest in der Hand zu halten. Anders als die US-amerikanische Fed hat sie spät und zögerlich auf die Inflation reagiert. Auch nach der jüngsten Zinsanhebung liegt der Leitzins mit 4,25 Prozent weiterhin unter der Inflationsrate. Diese hatte zuletzt im Euroraum 5,5 Prozent betragen, in Deutschland 6,4 Prozent. Der Realzins ist also negativ, das ist auf die Dauer keine gesunde Entwicklung. Die EZB sollte klar kommunizieren, daß sie diesen Zustand beenden wird.

Doch die europäischen Notenbanker eiern unentschlossen herum und hoffen offenbar, daß sich das Problem in den nächsten Monaten von selbst erledigt. Von Bundesbankpräsident Joachim Nagel hört man, daß man die nächsten Monatsdaten abwarten müsse. Aus Italien kommen Forderungen, daß es mit der restriktiven Geldpolitik erst mal wieder vorbei sein müsse. Dabei weiß man aus der Vergangenheit genau, daß geldpolitische Maßnahmen erst mit langer Verzögerung von manchmal anderthalb Jahren und mehr wirken. Wie beim Wohnwagengespann bringt es daher nichts, zu zaghaft oder zu hektisch am Lenker zu drehen und damit den Schleuderkurs womöglich noch zu verstärken. Gefragt ist vielmehr ein klarer Kurs in Richtung Wiederherstellung der Geldwertstabilität. Das wäre auf längere Sicht auch der beste Weg, um wieder ein gesundes Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Wie in der Medizin wird man dabei möglicherweise eine Erstverschlechterung in Kauf nehmen müssen. Wer zu lange geschlampt hat, kann kaum erwarten, mit ein paar Pillen ohne Komplikationen sofort wieder gesund zu werden. Die entscheidenden Fehler wurden von der Geldpolitik in der Vergangenheit gemacht. 

Entgegen allen Warnungen hat man die horrenden Kosten der Corona-Krise vor allem mit der Druckerpresse finanziert. Es war klar, daß dies früher oder später zu Inflation führen mußte. Trotzdem sprachen führende Ökonomen und Notenbanker viel zu lange von vorübergehenden Preisanstiegen oder phantasierten gar Deflationsgefahren herbei. Das rächt sich, denn jetzt sind umso stärkere Korrekturen notwendig, die in der Tat zu Rezessionsgefahren führen. Noch ist das Wirtschaftswachstum im Euroraum insgesamt leicht positiv, aber in Deutschland wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr bereits sinken, wie der Internationale Währungsfonds prognostiziert. Hierzulande sind die Voraussetzungen für eine geldpolitische Roßkur aber auch besonders schlecht: Die höchsten Steuer- und Abgabenlasten in Europa, die weltweit höchsten Energiepreise und eine geradezu verrückte Lust an planwirtschaftlichen Verboten und Befehlen treiben zunehmend Unternehmen und leistungswillige Fachkräfte aus dem Land.

Auch das ist eine Parallele zur Medizin: Je ungesünder der Patient lebt, desto schlechter ist sein Immunsystem und desto weniger gut sind seine Genesungsaussichten. Notwendig wäre daher eine Rückbesinnung auf Geldwertstabilität und Marktwirtschaft, wovon die deutsche Politik aber meilenweit entfernt ist.






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Wilhelms-Universität Münster.