© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

Nostalgie im Salonwagen
Traditionelle und neue Routen: Luxuszugreisen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit
Bernd Rademacher

Hochseekreuzfahrten stehen in der Kritik wegen Klimadings und so. Flußkreuzfahrten sind zwar schwer im Kommen, aber manchen Anspruchsvollen nicht exklusiv genug. Doch aus den Kindertagen des Fernreisens ist ein Transportmittel zurück, das hinsichtlich Stil, Komfort und Ambiente keine Wünsche offen läßt: Bitte einsteigen in den Luxuszug.

Verschiedene Touristikgesellschaften bieten „Schienenkreuzfahrten“ in restaurierten Nostalgiezügen im Jugendstil-Dekor, die auf Teilstrecken der früheren „Orient-Express“-Linie fahren oder Museumsfahrten im legendären TEE Rheingold mit dem Glasdach-Panoramawaggon aus den 1960er Jahren. Wer eine Fahrt in so einem rollenden Hotel bucht, wird dafür kulinarisch verwöhnt und bekommt einen Hauch vom Glanz goldener Epochen ab. Die Zugküche liefert Sternemenüs auf Rädern, die Stewards servieren korrekt wie englische Butler der guten alten Zeit. Allerdings erfordert das vom Gast ebenfalls Disziplin: Schlabber-Shirts und Adiletten werden hier konsequent nicht geduldet.

Preiswert ist das edle Rollen auf Schienen nicht

Begonnen hat die Ära der Nobelzüge mit einer Strapaze: Durchgerüttelt auf einer harten Holzpritsche, sann George Pullman während einer nächtlichen Zugfahrt durch den Wilden Westen darüber nach, wie man Bahnreisen bequemer machen könne. Zwölf Jahre später, 1865, präsentierte er seinen Traumwagen, den „Pioneer“. So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen: ein Luxushotel auf Bahnschienen. Der technische Clou waren die doppelachsigen, gefederten Drehgestelle, die den prächtigen Salon sanft dahingleiten ließen.

Das wollte man in Europa auch, und so fuhr 1883 der Orient-Express erstmals aus dem Pariser Ostbahnhof mit Ziel Konstantinopel – über Straßburg, München, Wien, Budapest, Bukarest. Mit fließendem Warmwasser und Heizung war der Zug komfortabler als die meisten Häuser dieser Zeit. Agatha Christie setzte dem Orient-Express ein literarisches Denkmal, das 2017 eine filmische Neuauflage bekam – und einen Trend mit anheizte. Denn heute fährt er wieder, zum Beispiel von Berlin nach Paris für 2.680 Euro pro Person. Oder für 3.560 britische Pfund von London nach Venedig, inklusive livrierten Dienern, Damast-Bettwäsche und Cocktail-Bar. Die Fahrgäste erleben im wahren Wortsinn eine Zeitreise, entschleunigt wie vor hundert Jahren.

Dabei war die Zeit der Salonwagen spätestens Mitte der 1970er vorbei. Noch Willy Brandt war in demselben Salonwagen gefahren, wie vor ihm Konrad Adenauer und davor Hermann Göring. Jetzt reisten Staatschefs lieber mit dem Jet, und vermögende Playboys fuhren lieber Wasserski oder mit der dazugehörigen Yacht. Viele prächtige Waggons fielen auf Abstellgleisen in einen Dornröschenschlaf und setzten Moos an.

Jetzt rollen sie wieder: Mit dem Nightjet der österreichischen Bundesbahn fährt man über Nacht in europäische Metropolen wie Florenz, Amsterdam oder Berlin. Im Liegewagen-Privatabteil schon günstig ab etwa 130 Euro pro Weg, mit Frühstück. Bedeutend teurer wird es, wenn man mit dem Belmond Royal Scotsman im Edelholz-Ambiente durch die Highlands rauschen will. Den Single Malt nach dem Essen im vornehmen Speisewagen nimmt man am besten auf der offenen Veranda des Panoramawagens ein – im Dinnerjacket oder Smoking. 

Auch im Al Andalus reist man im Stil der Belle Époque. Mit dem Zug pflegte die britische Königsfamilie ihr Sommerurlaubsquartier an der Côte d’Azur zu besuchen. In der eigenen Superior-Suite mit Wellness-Spa läßt sich die mehrtägige Fahrt durch Spanien aushalten. Allerdings kostet das Ticket so viel wie ein Mittelklasse-Pkw. Die Angebote der rustikalen Transsibirischen Eisenbahn sind leider momentan nicht verfügbar. Dafür startet ab diesem Jahr der italienische „Treno della dolce vita“ mit Traumreisen von Mailand nach Rom oder Venetien. Oder auf der „Trüffelroute“ an die Riviera. Die Kartenpreise ab 2.000 Euro sind vergleichsweise moderat.

Und auch Regierungschefs reisen wieder auf der Schiene: So fuhr Joe Biden im Februar mit einem Luxuszug der ukrainischen Staatsbahn zehn Stunden lang von Polen nach Kiew. Viele hochrangige Politiker folgten.

Zugegeben: Preiswert ist das Reisevergnügen im „Orient Express“-Stil nicht gerade. Dafür ist so gut wie ausgeschlossen, daß plötzlich „ein junger Mann“ im Abteil zusticht. Mord gibt es hier nur in den Büchern von Agatha Christie.