© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

Filmkritik
Infinity Pool
Sich selbst beim Sterben zusehen
Werner Olles

Der von Selbstzweifeln geplagte Schriftsteller James (Alexander Skarsgård) macht mit seiner Ehefrau Em (Cleopatra Coleman) Urlaub in einem Inselresort. James, der vor Jahren einen wenig erfolgreichen Roman geschrieben hat, verspricht sich davon neue Energie. Der Hotelkomplex bietet den betuchten ausländischen Gästen alles, was sie sich wünschen, dennoch holt die Langeweile das Paar schnell ein. Erst als James die attraktive Gabi (Mia Goth) und deren Mann Alban (Jalil Lespert) kennenlernt und Gabi sich als begeisterte Leserin seines Romans entpuppt, taut der depressive Autor auf. Zudem macht sie ihm beim Abendessen ziemlich unverblümt Avancen.

Am nächsten Tag unternehmen die beiden Paare einen Ausflug ins Landesinnere. Mit einem Leihwagen fahren sie an einen einsamen Strand, um im Meer zu baden und anschließend zu picknicken. Bei der nächtlichen Rückfahrt passiert dem angetrunkenen James jedoch ein schwerer Unfall, er überfährt einen Einheimischen, der auf der verlassenen Landstraße stirbt. Gabi und Alban überreden James, das Unglück zu verheimlichen, doch am nächsten Tag wird er von der Polizei abgeholt und auf eine Wache gebracht. Man macht ihm klar, daß in dem diktatorisch regierten Land strenge Gesetze herrschen, die selbst für Ehebruch, Drogen- und Alkoholkonsum schwere Strafen vorsehen. Wer für den Tod eines Bürgers verantwortlich ist, wird selbst zum Tod verurteilt, und die Angehörigen des Toten dürfen das Urteil vollstrecken. Doch es gibt einen Ausweg. Man kann sich freikaufen und einen Klon von sich erstellen lassen, der dann das Todesurteil empfängt. Die einzige Bedingung ist, sich selbst beim Sterben zuzusehen.

Brandon Cronenberg, Sohn der Kino-Legende David Cronenberg („Die Fliege“), schuf mit „Infinity Pool“ (Kanada 2022) einen Horrorfilm, dessen gleichsam artifizielle wie verstörende Transgressionen absolut schockierend sind. Es gibt unerträgliche Gewaltszenen, doch der Regisseur nutzt diese, um uns einen Spiegel vorzuhalten. Würden wir nicht genauso handeln wie James und uns für ein Ersatzopfer entscheiden? Schauen wir nicht tagtäglich real existierenden Barbareien in den TV-Nachrichten zu? Wie verhält es sich mit der Dialektik von Dissoziation und Identität? Und welchen Ablaß zahlen wir für unseren hedonistischen Lebensstil? Fragen, die Cronenberg stellt, um sie dann visuell schonungslos zu zertrümmern.