© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/23 / 07. Juli 2023

Nach Sonneberg erklingt allerorten wieder das Lied von der faschistischen Gefahr
Angst vor der Rechten
Karlheinz Weißmann

Die Landratswahl in Sonneberg und der Erfolg des AfD-Kandidaten haben als Auslöser gedient, aber erst die Sendung  des öffentlich-rechtlichen Jungendprogramm Funk zum Thema „Was ist rechts?“ brachte die Debatte auf Tempo. Wobei man von Debatte im eigentlichen Sinn nicht sprechen kann. Denn die Betroffenen kamen nur dann zu Wort, wenn sie zu den Etablierten gehörten und alles andere als „rechts“ genannt werden wollten, und die vorgetragenen Argumente waren entweder rein taktischer Natur oder boten Antworten, die man gemeinhin „unterkomplex“ nennt.

Es sind dieselben, die seit Jahr und Tag der Fernsehtalk wie der Sozialkundeunterricht, die Bundeszentrale für politische Bildung wie die etablierten Presseorgane, die Kirchentagsredner wie die antifaschistischen Einflußgruppen recyceln: erstens, daß das Rechts-Sein in Deutschland wegen der historischen Belastung – also aus gutem Grund – verpönt sei; zweitens, daß die Rechte einen einheitlichen braunen Block bilde, in dem sich lediglich aus Tarnungsgründen manche blau oder schwarz färbten; drittens, daß die Vertreter der Rechten seit je entweder blöd oder böse oder beides seien.

Was den ersten Punkt betrifft, ist er unschwer zu widerlegen. Die Times titelte zum Ergebnis der Bundestagswahl 1949 lapidar „Sieg der Rechten“, und die in den Nachkriegsjahren einflußreichsten Parteien standen zweifellos auf der politischen Rechten, wenn man zur Bewertung objektive Maßstäbe anlegt. Jedenfalls machte Konrad Adenauer (CDU) keinen Hehl daraus, daß es sein Hauptziel war, die „vernünftige“ Rechte als stärkste Kraft in die Union und den „antimarxistischen“ Bürgerblock einzubinden. Dazu gehörte nach Lage der Dinge die FDP, deren nordrhein-westfälischer Landesverband 1953 unter der Parole „Rechts ran!“ sein bestes Ergebnis verzeichnen konnte, sowie die Deutsche Partei, die mit dem Slogan „Wer rechts wählt, recht wählt“ in Niedersachsen antrat und für die zweite Hälfte der fünfziger Jahre den Ministerpräsidenten stellte.

Die Lehre, die viele aus dem Zusammenbruch gezogen hatten, war nicht, daß der Feind rechts, sondern daß er jenseits der Elbe stand, weil die eigentliche Gefahr für die Freiheit nicht von Sozialpatrioten, Nationalliberalen, Konservativen oder Kirchentreuen ausging, sondern vom Totalitarismus. Das erklärte die wohlbegründete Gegnerschaft zum realexistierenden Kommunismus, aber auch die Ablehnung jedes Wiederauflebenlassens der NSDAP. Selbst ein Faschismus mit menschlichem Antlitz fand in Westdeutschland keine breitere Anhängerschaft. Die Wahlergebnisse sprechen diesbezüglich eine eindeutige Sprache.

Erst als die Weltanschauungslager „zerfaserten“ (Klaus Bölling), verschwand die selbstbewußte Rechte der Bonner Republik. Gleichzeitig trat die Wiederaufbaugeneration von der Bühne ab, jene Alterskohorte, zu deren Schlüsselerfahrungen der Untergang der Weimarer Republik, die Illusion des neuen Aufstiegs der Nation und der Zusammenbruch gehört hatten. Ihr Versuch, aus der Überlieferung zu retten, was zu retten war, und ihre tiefe Skepsis gegenüber politischen Heilslehren verloren rasch an Kurswert, und es machte sich jene Fortschrittsstimmung breit, die Stück für Stück alle politischen Lager erfaßte. Der junge Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der kommende Mann der CDU, ein gewisser Helmut Kohl, verortete sich zwar Ende der sechziger Jahre noch politisch „rechts der Mitte“, aber nur im Vieraugengespräch, und nur einmal, ohne Wiederholung.

Wesentliche Ursache dafür war Kohls Witterung, daß er in der Abnutzungsschlacht gegen die linken Kulturkrieger nichts zu gewinnen hatte. Die überließ er anderen, die chancenlos den Vorwurf abzuwehren suchten, sie seien „Proto-“, „Quasi-“, „Semi-“, „Salon-“ oder einfach „Faschisten“ oder „Nazis“ oder deren „Wegbereiter“ oder „Steigbügelhalter“ oder „Helfershelfer“. Kohl und den „Kohlisten“ erschien es klüger, unhaltbare Positionen zu räumen und fallweise jene Dextrophobie zum eigenen Vorteil zu nutzen, die sich qua sozialer Ansteckung rasant verbreitete.

Dextrophobie, also die abnorme Angst vor der Rechten, hatte nichts mit der Gründung der Bundesrepublik, und sehr viel mit ihrer „Neugründung“ (Claus Leggewie) zu tun, die den antitotalitären durch den antifaschistischen Grundkonsens ersetzte. Nur auf dieser Basis konnten und können Volksfronten entstehen, die – nicht erst im Fall Sonneberg – vom Schwarzen Block über die Neokommunisten, Sozial-, Frei- und Christdemokraten bis zu den Christsozialen reichen.

Die Tatsache, daß alle Welt so erpicht darauf ist, als „antifaschististisch“ zu gelten, hat zweifellos mit Denkschwäche und Erinnerungslücken zu tun, aber auch mit dem Eindruck, sich einer historischen Tendenz anpassen zu müssen, die ein völlig verzerrtes Bild der politischen Hauptrichtungen erzeugt. Hier tritt die Rechte nur als Karikatur ihrer selbst in Erscheinung: entweder als die „Partei der Dummen“ (John Stuart Mill) oder als skrupelloser Interessenvertreter von Ausbeutern, Reichen, Herrschsüchtigen, oder als Verteidiger überlieferter und unverdienter Privilegien oder als Träger einer Ideologie, die Auschwitz möglich machte. Dagegen umgibt die politische Linke ein Glorienschein. Sie kämpft für den Fortschritt, also das bessere Morgen, verteidigt die Armen und Schlechtweggekommenen im Namen der Menschlichkeit. Kein Wort vom jakobinischen Terror oder den mehr als 100 Millionen Toten, die ihre russischen und chinesischen Vertreter auf dem Gewissen haben, keins von der Mitverantwortung für den Untergang der ersten deutschen Republik und dem desaströsen Zustand der zweiten, oder dem Unheil, das sie systematisch im Hinblick auf Wirtschafts-, Bildungs-, Bevölkerungs- und Sicherheitspolitik anrichtet. Stattdessen die Bereitschaft der sogenannten Mitte, immer wieder auf die von links ausgelegte Leimrute zu kriechen und sich programmatisch aufzugeben. Ein deprimierender Vorgang, der bei den französischen Gaullisten ebenso zu beobachten war wie bei den italienischen Democristiani, den skandinavischen oder britischen Konservativen, der Union oder den deutschen Liberalen, deren aktueller Chef den Unzufriedenen rät, „im Notfall“ nicht AfD, sondern die SED-Nachfolgepartei zu wählen. Was deren Chefin erfreut zur Kenntnis nimmt, weil solchermaßen der „unsäglichen Gleichsetzung von rechts und links eine Absage erteilt“ werde.

Daß diese Dreistigkeit durchgeht, ist mit Dummheit allein nicht erklärbar. Hier wirkt sich vielmehr die Bereitschaft aus, linker Politik einen Bonus zu gewähren. Gerade weil sie so „hypermoralisch“ (Arnold Gehlen) argumentiert, wird ihr – regelmäßiges – Versagen in der Praxis als bedauerliches Scheitern von Idealisten gedeutet, und solches Scheitern auch nicht als Widerlegung, sondern als Aufforderung zum nächsten Anlauf, der dann selbstverständlich wieder scheitert. Seitdem Sentimentalität an die Stelle von Realitätssinn getreten ist, schwindet der Wille, dem Widerstand zu leisten. Was nicht nur den Massenanhang linker Politik erklärt, sondern auch das Auftreten so vieler „Klassenverräter“ in den Führungsschichten des Welfare Belt (Wohlfahrts-Gürtel), und das Entstehen einflußreicher parareligiöser Bewegungen, die jenen „Halbhalluzinierten“ (Gustave Le Bon) folgen, die mit ihren Forderungen – ungehinderte Einwanderung, Abbau der Polizeikräfte, Umerziehung der Eingeborenen, Deindustrialisierung – auf die Zerstörung des gesamten Sozialgefüges zielen. 

Wer sich dem entgegenstellt, wird in erster Linie als „rechts“ gebrandmarkt, um ihn zum Schweigen zu bringen. Auch das ist nicht neu. Die Repression begann während der Studentenrevolte mit der Unterdrückung der freien Rede im akademischen Milieu, wuchs sich zum eher unpräzisen Regularium Politischer Korrektheit aus und gipfelt jetzt in Cancel Culture und der staatlich geförderten Gehirnwäsche, die dem Ziel dient, eine woke Herde heranzuziehen. Allerdings gewinnt man den Eindruck, daß den Drahtziehern der großen Transformation allmählich die Siegesgewißheit abhanden kommt. Es machen sich in ihren Reihen Hektik und Hysterie bemerkbar. Was einerseits mit Staatsversagen und Zerfall der Gesellschaft zu erklären ist, andererseits mit der Möglichkeit, irgendwann für das, was man angerichtet hat, in Regreß (Anm. d. Red.: Ersatzanspruch) genommen zu werden. Als symptomatisch kann Thomas Schmids Stellungnahme gelten. Der ehemalige Achtundsechziger, dann – nach mancher Häutung – Herausgeber des Springerblatts Die Welt, fürchtet einen rechten „Marsch durch die Institutionen“ und die Übernahme des Staates von innen heraus. Er spiegelt damit nur die Strategie, die er und seinesgleichen so konsequent umgesetzt haben und ängstigt sich nun, daß der Spieß umgedreht werden könnte. 

Aber seine Sorge ist unbegründet. Denn die Linke hat alle Institutionen so systematisch unter ihre Kontrolle gebracht und übt diese Kontrolle so rigide aus, daß es keinen Ansatz für Infiltrationen gibt. Zudem fehlt die Zeit, die die Umsetzung einer derartigen Strategie erfordert. Der Zeitdruck, den die „Dezivilisierung“ ausübt, die Frankreich – das politische Labor Europas – schon erfaßt hat, kann allerdings auch einen heilsamen Schock bedeuten, und eine politische Strömung stärken, die darauf reagiert, daß die „Wirklichkeit … immer rechts“ (Joachim Fest) ist, den demokratischen Druck entsprechend nutzt und zuletzt jene Wortführer findet, die erinnern, daß „‘rechts’ im wohlverstandenen Sinne heißt für das Recht einstehen, für das Rechte, das Richtige, die Gerechtigkeit, das Rechtliche, das Redliche – für das wirklich Natürliche, für Liebe, Freiheit, Würde und Ehrfurcht vor dem Ewig-Guten im Vatererbe“ (Erik von Kuehnelt-Leddihn).






Dr. Karlheinz Weißmann, Jahrgang 1959, ist Historiker, Publizist und Buchautor. Er arbeitete von 1982 bis 2020 im Höheren Schuldienst des Landes Niedersachsen.