© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/23 / 07. Juli 2023

Ländersache: Berlin
Immer feste druff
Christian Vollradt

Er könnte, weil er dürfte, auch wenn er gar nicht will. Das ist in etwa die Ausgangslage, wenn es um den Berliner Senat und das Thema Enteignung – oder Vergesellschaftung – von großen gewerblichen Immobilienbesitzern geht. Laut dem Abschlußbericht einer Expertenkommission wäre dies juristisch möglich und verfassungsrechtlich angemessen, aber auch verhältnismäßig und geeignet, die massiv gestiegenen Mieten in der deutschen Hauptstadt wieder einzufangen. Demnach habe das Land Berlin die Kompetenz, ein Gesetz zur Vergesellschaftung zu beschließen und  Artikel 15 des Grundgesetzes anzuwenden, sofern die gemeinnützige Bewirtschaftung gesichert sei. Der noch nie angewandte Passus in der Verfassung erlaubt es, „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ unter bestimmten Umständen per Gesetz zu vergesellschaften. 

Im Herbst 2021 hatte gleichzeitg mit der später wegen massiver Pannen wiederholten Wahl zum Abgeordnetenhaus ein Volksentscheid stattgefunden. Dabei stimmte eine Mehrheit von 59,1 Prozent der Berliner Wähler dafür, die Immobilien von Unternehmen mit einem Bestand von mehr als 3.000 Wohnungen in Gemeineigentum zu überführen. Der damalige rot-rot-grüne Senat berief daraufhin die Kommission ein, die jüngst die Ergebnisse ihrer Untersuchung hinsichtlich einer rechtssicheren Umsetzung vorlegte. Empfänger ist nun freilich eine politisch anders besetzte Landesregierung. Und so machte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) auch keinen Hehl daraus, daß er die Schlußfolgerungen der dreizehnköpfigen Kommission unter Vorsitz der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD nicht teilt. „Es ist kein Geheimnis, daß ich bei Vergesellschaftung immer skeptisch war“, sagte er. 

Daß das Votum des Expertengremiums zugunsten von Enteignungen ausfiel, verwundert kaum. Denn besetzt wurde sie seinerzeit mit Vertretern, die  SPD, Grüne und Linke sowie die Initiatoren des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ benannten. Nicht vertreten die damals oppositionelle, heute regierende CDU (die AfD freilich auch nicht). Kaum überraschend ist auch, daß Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia skeptisch auf den Bericht der Expertenkommission reagierte. Den werde man intensiv auswerten, kündigte eine Sprecherin an; unabhängig davon halte das Unternehmen Enteignungen für den falschen Weg. Sollte der Senat tatsächlich ein Vergesellschaftungsrahmengesetz auf den Weg bringen, sei eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht sehr wahrscheinlich. Genau das ist auch der Plan des derzeitigen schwarz-roten Senats. 

Die Kritiker des – rechtlich ohnehin nicht bindenden – Volksentscheids weisen darauf hin, daß für die Entschädigung der enteigneten Konzerne Milliarden an Steuergeldern aufzuwenden wären, ohne daß damit eine Wohnung mehr gebaut würde, die den angespannten Markt entlasten könnte.  Und wie kritisch die Lage insbesondere im Niedrigpreis-Segment ist, veranschaulichen aktuelle Zahlen: So hat Berlin für Flüchtlinge und Asylbewerber nur noch etwas mehr als 500 freie Plätze – von rund 32.000, die es derzeit in Berlin gibt.