© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Frisch gepreßt

Schwules Deutschland. Immer wieder gibt es Versuche, die deutsche Geschichte mit einem eigenen Narrativ zu füllen. Zum Beispiel, wenn Multikulti-Apologeten darüber diskutieren, ob Germanen nicht auch schwarz waren oder nicht die Stämme der Franken, Friesen, Sachsen, Baiern oder Alemannen, sondern schon immer „durchziehende Händler und Heerzüge“ das deutsche Volk geprägt hätten. Der Berliner Historiker Benno Gammerl hat sich auf die „sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ im Laufe der Jahrzehnte spezialisiert. So skizziert er „lesbisch-feministische Proteste“, kaiserzeitliche Skandale und die Angst von „gender-nonkonformen Menschen“ im Nationalsozialismus, um zu beweisen: „queer“ sein ist keine Modeerscheinung. Überraschend ist Gammerls Fazit, daß sowohl in der Kaiserzeit wie auch bis in die 1970er Jahre trotz des Strafrechtsparagraphen 175 sich das Miteinander in der politisch polarisierten Community wie teilweise auch gesamtgesellschaftlich gelassener gestaltet hat, als heute angenommen. Bei seiner Abhandlung spart Gammerl nicht an irritierenden Thesen. So prangert er etwa den Vorstoß in Baden-Württemberg an, eine „Frühsexualisierung“ an Schulen zu stoppen. Laut dem Historiker ist das problematisch, weil Kinder wissen müssen, wann ihnen jemand „auf die falsche Art“ zu nahe kommt. Dabei wenden sich die Kritiker von „Drag Queen“-Lesungen und der Gender-Ideologie gerade gegen Grenzüberschreitungen auf Kosten von Kindern. Es ist wohl alles eine Frage der Interpretation. (zit)

Benno Gammerl: Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute. Carl Hanser Verlag, München 2023, gebunden, 272 Seiten, 24 Euro





Bromberg. Bromberg ist eine schöne Stadt. Das ist das Fazit des Bundeswehroffiziers Karsten Bromm, der 2017 in die „Nato-Hauptstadt Polens“ nach Bydgoszcz versetzt wurde, um als Chef des Stabes am Militärpolizei-Zentrum seinen Dienst anzutreten. Das polnische Handelszentrum an der Brahe, knapp 150 Kilometer südlich von Danzig, hat eine bewegte deutsch-polnische Geschichte seit dem Mittelalter, die ihren historischen Tiefpunkt 1939 mit Hunderten Morden unter der deutschen Minderheit allein in der Stadt (Bromberger Blutsonntag) und anschließenden Exzessen des „Volksdeutschen Selbstschutzes“ an Polen (als Synonym steht das „Tal des Todes“ – Dolina Śmierci) hatte. Dennoch blieb die Stadt von weiteren Kriegszerstörungen weitgehend verschont, wie Bromm in seinem Bildband nachweist. Darin spiegelt er Postkartenaufnahmen aus der Kaiserzeit, die mit ihrer Gründerzeit- und Jugenstilarchitektur prägend für das „Klein-Berlin“ war, mit heutigen Aufnahmen aus dem nach 1990 liebevoll restaurierten Bydgoszcz. (bä)

Karsten Bromm: Bydgoszcz. Bromberg. Früher und heute. Stadtgeschichte in Bildern. Eigenverlag, Isernhagen 2022, gebunden, 112 Seiten, Abbidungen, 24,95 Euro