© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Entmachtete Nationen
EU-Migrationspakt: Auf Malta präsentiert die Europäische Asylbehörde ihr neues „Spielzeug“ gegen die EU-Staaten
Patricia Chagnon-Clevers

Am 8. Juni, dem selben Tag, an dem sich der Rat der Europäischen Union auf zwei Teile des Asyl- und Migrationspakts der Kommission einigte, gab Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Reise nach Rom wie in einem Schuldeingeständnis zu:  „Alle, die sich den Herausforderungen der Migration stellen wollen, können dies nur gemeinsam in der Europäischen Union tun.“ Das Ziel könnte nicht offensichtlicher sein: Europa soll zum globalen Labor für die Integration von Migranten werden. 

Die Arbeit der Asylbehörde der Europäischen Union (EUAA) mit Sitz in Malta, die vom 19. bis 21. Juni tagte, zeigt es deutlich: Die Europäische Union will die Einwanderung keineswegs stoppen, sondern organisiert sie. Ein Beweis dafür ist der Zeitpunkt, den sie für die Organisation dieser Mission gewählt hat: ein 20. Juni, der Weltflüchtlingstag, dessen Schutz die Agentur nach eigenen Angaben „heute und jeden Tag gewährleisten“ will.

Diese im vergangenen Jahr ins Leben gerufene Asyl-Agentur der Europäischen Union hat den offiziellen Auftrag, die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der europäischen Asylgesetzgebung zu unterstützen und die Konvergenz der Asylverfahren und Aufnahmebedingungen zwischen den Mitgliedstaaten zu erhöhen. Es überrascht nicht, daß seine Gründung in eine Zeit fällt, in der die Europäische Kommission an der Rezeptur ihres Pakts für Einwanderung und Asyl 2020 feilt, den sie bis zum Ende der Amtszeit im nächsten Jahr  abschließen will.

Brüssel will gleiches EU-Recht für alle, die Asyl begehren 

Die Direktorin der Agentur, Nina Gregori, erklärte, daß ihr bei der Umsetzung des Pakts neue Verantwortlichkeiten und Aufgaben entstünden, die mit einem Budget in Höhe von 181 Millionen Euro ausgestattet sei. Machen wir uns nichts vor: Anstatt die Staaten bei der Verwaltung des Asyls zu unterstützen, führt die EUAA im Gegenteil nur die Richtlinien ihres Vorgesetzten in Brüssel, der Kommission. Diese EU-Agentur, die in Zukunft sicherlich über harmonisierte Methoden und zertifizierte Beamte verfügen wird, birgt das Risiko, daß den Staaten ihre Migrationskompetenz entzogen wird, die jedoch nicht nur eine hoheitliche Aufgabe, sondern auch eine wesentliche ist.

Ab 2024 betreut die Agentur den „Monitoring-Mechanismus“, einen neuen Kunstgriff, der seinem Namen alle Ehre macht. Dieser Mechanismus, der im Migrationspakt beschrieben wird, soll die Einhaltung von Richtlinien und Menschenrechten durch die Mitgliedstaaten bewerten, mit dem ausdrücklichen Ziel der „Konvergenz“ der Aufnahme- und Betreuungsmethoden, der Zuweisungskriterien und der Achtung der Rechte von Asylbewerbern in der EU. 

Um dieses Ziel zu erreichen, entsendet die Agentur Teams vor Ort, die nach einer Bewertung der Situation dem betreffenden Staat einen Bericht vorlegen und nach eventuellen Gesprächen mit ihm Empfehlungen aussprechen, die er natürlich umsetzen muß. Das Ganze geschieht ohne jede Berufungsmöglichkeit. Die Berichte und der Austausch bleiben absolut vertraulich, nur die Empfehlungen sind zugänglich. Schlimmer noch: „Die Kommission behält sich das Recht vor, einzugreifen, wenn ein Land sich weigert, den Empfehlungen der Agentur zu folgen“, erklärt Gregori vollmundig. Konvergenz ist die offizielle Rede, Überwachung ist das inoffizielle Ziel. 

Diese Konvergenzmarotte ist nichts anderes als die Fesselung der Migrationspolitik der Staaten auf ihrem eigenen Boden. Sie wird von einem ganzen Netzwerk von Akteuren organisiert, das in der Tat von der Agentur über die Gerichte bis hin zu Pro-Migranten-Vereinen und anderen „Anwälten“ des schwammigen Begriffs der Grundrechte reicht. Die EUAA organisiert Schulungsseminare – wie im Jahr 2022 in Frankreich mit Richtern des nationalen Asylgerichtshofs –, um eine „Konvergenz in der Praxis und in den Urteilen“ zu erreichen, so Nicolas Jacobs, Leiter des Sektors für Gerichte der EUAA. 

Europa wird „durch konkrete Errungenschaften“ entstehen, betonte einer der Gründerväter der Europäischen Union, Maurice Schumann, in seiner berühmten Rede am 9. Mai 1950 – die Harmonisierung des Rechts, das auf europäischer Ebene zu einem Tentakel geworden ist, ist ein perfektes Beispiel dafür. Der Migrationspakt sieht nämlich ein echtes einheitliches europäisches Asylrecht vor und schwächt damit die Staaten in ihrem guten Recht, über Migrationsfragen zu entscheiden. Umgekehrt ist es sehr wahrscheinlich, daß die Liste der „sicheren Länder“, die vor der Abschiebung abgelehnter Migranten nach Hause erstellt wird, nicht mehr national, sondern europäisch wird.

„Es ist nicht normal, daß ein Asylbewerber je nachdem in welches Land er kommt, nicht die gleichen Rechte und Chancen auf Asyl hat. Dies ist heute ein großes Problem, das dazu führt, daß Asylbewerber in der EU von einem Land zum anderen zirkulieren ...“, erklärte Ward Lutin, Leiter des Wissenszentrums für Asylfragen und Interimsleiter des Zentrums für operative Unterstützung der EUAA. Entsprechend spielt die Vereinheitlichung  nach Angaben der liberalen Politikerin Fabienne Keller eine „zentrale Rolle bei der Entwicklung der Überwachung der Asylverfahren und beim Aufbau eines immer stärker konvergierenden europäischen Asylverfahrens“.

 Das Argument ist immer dasselbe: Die EU kommt bei ihren Zielen nicht voran, weil man ihr angeblich nicht genug Kompetenzen gibt. Im Gegenteil: Weil sie den Staaten heute einige ihrer wichtigsten Kompetenzen entzieht, hat Europa keine Kontrolle mehr über sein Schicksal. 

Die Einrichtung dieser Agentur, die es der Europäischen Union ermöglichen wird, die gesamte Kette der Verwaltung von Asylanträgen auf ihrem Territorium zu beherrschen, zeigt, daß die Technokraten in Brüssel dies verstanden haben und umsetzen. Die Strategie, die sie in die Tat umsetzen wollen, wird es letztendlich ermöglichen, leicht zu messen, ob ein Mitgliedsstaat die Migrationsrichtlinien einhält oder nicht, um ihn dann besser einschränken zu können. 

102 NGOs dürfen mit der EUAA kooperieren 

Schließlich hat die Agentur François Deleu als ersten „Fundamental Rights Officer“ (Grundrechtsbeauftragter) eingestellt, dessen Zustimmung für Empfehlungen an die Staaten erforderlich ist und der zusammen mit 102 Nichtregierungsorganisationen und anderen Vertretern der europäischen Zivilgesellschaft die Ausbildungsmodule für Techniker und Spezialisten der Agentur festlegen wird. 

Dabei wird er auch prüfen, ob jedes Dokument, das von der Agentur veröffentlicht wird, „die Grundrechte der Flüchtlinge berücksichtigt und respektiert“. Auch wenn es nicht darum geht, die Grundrechte, die jedem Menschen von Natur aus zustehen, in Frage zu stellen, sollte Migration nicht zu einem Recht werden. 

Doch die Staaten haben das Recht, sich der Einwanderung zu widersetzen, und die Völker haben das Recht, sie nicht zu wollen. Es gibt übrigens ein Recht der Völker, über sich selbst zu bestimmen. Demokratie ist die Macht des Volkes durch das Volk und für das Volk.






Patricia Chagnon-Clevers ist Mitglied des Europäischen Parlaments und dort unter anderem im Ausschuß für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Sie gehört zur französischen Delegation des Rassemblement National in der EU-Fraktion „Identität und Demokratie“.