© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/23 / 21. April 2023

Meldungen

Verfassungsrichter übt deutliche Kritik an Politik 

KARLSRUHE. Mit aufsehenerregender Kritik an den aktuellen politischen Zuständen in Deutschland hat sich Bundesverfassungsrichter Peter Müller bei einer CDU-Veranstaltung im saarländischen Merzig zu Wort gemeldet. Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts sind zur politischen Neutralität und Zurückhaltung verpflichtet, doch darüber setzte sich der frühere saarländische Ministerpräsident hinweg, indem er seine Rede als die eines „Privatmannes“ bezeichnete. In seinem Vortrag rechnete Müller dabei mit einer „hedonistischen Elite“ ab, die „uns vorgibt, worüber wir noch reden dürfen und worüber nicht“. Müller, der im Herbst nach zwölf Jahren aus dem Amt scheidet, sagte laut Saarbrücker Zeitung: „Nicht jeder, der die Rechtsvergessenheit der EU kritisiert, ist ein Anti-Europäer. Nicht jeder, der die Freiheitsbeschränkungen während der Corona-Pandemie kritisch hinterfragt, ist ein Corona-Leugner. Nicht jeder, der über Ausländerkriminalität reden will, ist ein Ausländerfeind.“ Darüber müsse offen und ehrlich gesprochen werden. Auch in die aktuelle Debatte um die Elektrifizierung des Verkehrs und des Heizens mischte sich der frühere CDU-Politiker ein. Zu den E-Autos sagte er: „Spielt es keine Rolle, wo die seltenen Erden herkommen, die in so einer Batterie verbraucht werden, unter welchem CO2-Einsatz sie gewonnen werden, daß ein Teil des Lithiums nachweislich durch Kinderarbeit gewonnen wird, daß die Entsorgung möglicherweise ökologisch hochproblematisch ist?“ Vieles auf Strom umzustellen bedeute „mehr Kohlekraftwerke, mehr fossile Energien, mehr CO2, mehr Klimawandel und nicht weniger. Das ist die Wahrheit, über die man in diesem Land doch noch reden können muß.“ Die gesamte Klimapolitik trifft auf den Widerspruch des 67jährigen. Anstatt über die nicht mehr erreichbaren Pariser Klimaziele müsse jetzt mehr über die Anpassung an den Klimawandel gesprochen werden. Nur so könnten der Wohlstand gesichert und trotzdem die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten werden. „Permanent die Apokalypse auszurufen“, sei nicht vernünftig. Mit rationalen Entscheidungen in einer Demokratie habe das „vergleichsweise wenig“ zu tun. „Am Ende ist der Umwelt nicht geholfen, dem Industriestandort Deutschland aber geschadet“. Müller war nach der Wahlniederlage der SPD 1999 zum saarländischen Ministerpräsidenten gewählt worden. 2011 legte er sein Amt nieder und ging als Nachfolger des scheidenden Verfassungsrichters Udo Di Fabio ans höchste deutsche Gericht nach Karlsruhe. Damit war er nach Günther Oettinger, Roland Koch, Ole von Beust und kurz vor dem Rücktritt des seinerzeitigen Bundespräsidenten Christian Wulff einer der letzten sogenannten „jungen Wilden“ der CDU, der sich aus dem politischen Leben zurückzog. Unter dem Begriff wurden meist jene christdemokratischen Landespolitiker zusammengefaßt, die mal mehr, mal weniger konfrontativ auf Distanz zur Politik des Langzeitvorsitzenden und -kanzlers Helmut Kohl gingen und später mit bundespolitischen Ambitionen häufig an Angela Merkel gescheitert waren. Der 67jährige Müller verorterte sich stets im sozialpolitischen Flügel der CDU, setzte jedoch auch in der Vergangenheit immer wieder einmal konservative Duftmarken, etwa als er sich für „Deutsch im Grundgesetz“ aussprach. (fh/vo)