© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Frisch gepreßt

Ernst Troeltsch. Der kürzeste Kommentar zu der von Entchristlichung und Entkirchlichung geprägten geistigen Situation des wilhelminischen Zeitalters stammt von einem jungen Heidelberger Professor für Systematische Theologie: „Meine Herren, es wackelt alles“, rief Ernst Troeltsch 1895 seinen Kollegen zu, die zumeist noch an die „Absolutheit des Christentums“ und überkommene Heilsgewißheiten glaubten. Herausgefordert durch diese Malaise „transzendentaler Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) des modernen Menschen, setzte sich Troeltsch, der 1915 konsequent von der Theologischen in die Philosophische Fakultät wechselte, als er nach Berlin auf einen Lehrstuhl für Geschichtsphilosophie berufen wurde, zeitlebens mit der dadurch ausgelösten, vor allem politisch wirksamen „Anarchie der Werte“ auseinander. Anhand der Weltanschauungskämpfe, die der „Denker der religiösen Vielfalt“ dabei ausfocht, zeichnet die pünktlich zum 100. Todestag veröffentlichte Biographie des Münchner Theologen Friedrich Wilhelm Graf ein farbiges Stück deutscher Geistesgeschichte im Übergang von der Monarchie zur Republik. Bei deren Einbettung in die Zeitgeschichte macht der linke Protestant Graf allerdings oft eine unglückliche Figur, so wenn er beispielsweise vom Kriegseintritt der USA schreibt, den das Deutsche Reich 1917 „provoziert“ habe. (wm)

Friedrich Wilhelm Graf: Ernst Troeltsch. Theologe im Welthorizont. Eine Biographie, Verlag C. H. Beck, München 2022, gebunden, 638 Seiten, Abbildungen, 38 Euro 





Bargeld. „Bargeld ist Freiheit“ und „Es gibt keine Privatsphäre mehr“ sind die plakativen Thesen des Finanzjournalisten Michael Brückner. Der Bargeldverkehr ist seit Jahren auf dem Rückzug, nicht selten weil der bargeldlose Verkehr über Paypal, EC- oder Kreditkarte für den Kunden so herrlich unkompliziert vonstatten geht. Teilweise sind es aber auch staatliche Restriktionen, die den Verkehr von Bargeld einschränken, begründet mit der Bekämpfung von Kriminalität und Steuerhinterziehung oder – zu Corona-Zeiten – sogar mit „unhygienischen Scheinen und Münzen“. Dahinter steht aber immer der Wunsch nach staatlicher Kontrolle. Diesen hat Brückner vor allem ins Visier genommen, denn er hält die Selbstbestimmung, inwieweit man eine digitale Spur seiner Geschäfte hinterläßt oder weiterhin anonym zahlt und dadurch weniger ein „gläsener Bürger“ wird, für elementar. Weil viele hierzulande in Segmenten wie Einzelhandel und Gastrogewerbe dem Bargeld weiterhin die Treue halten (2022 benutzten immerhin noch 72 Prozent der Deutschen Bargeld), verfangen alle Strategien zur Bargeldabschaffung bisher noch nicht. (bä)

Michael Brückner: Angriff auf unser Bargeld. Warum ein Bargeldverbot vorbereitet wird, wer davon profitiert und wie Sie Ihr Vermögen davor schützen. Kopp Verlag, Rottenburg 2023, gebunden, 208 Seiten, 19,99 Euro