© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Wo der Raffer sprintet
Oster-Brauchtum lebt: Von der See bis in die Alpen pflegt jede Region ihre Traditionen
Mathias Pellack

Eier zu bemalen, ist wahrlich keine neue Idee. Die ältesten Belege für dekorierte Eierschalen stammen aus Europa und Afrika. Sie sind 60.000 Jahren alt. Doch ist das diesjährige Osterfest eine kleine Rückkehr in die alte Zeit. Ein Zumsammenkommen für groß und klein, für jung und alt bei knackenden Eiern, knisternden Feuern und dem heiligen Jesus. Ein Tanz mit Freunden und Familie um das geschürte Osterfeuer, ob es nun aus wegeworfenen Tannenbäumen aufgeschichtet wird, oder Strohballen den Flammen richtig Zunder geben. Egal. Überall feiern Deutsche das Auferstehungsfest und den beginnenden Frühling. Wenn auch in jeder Region etwas anders, wie unsere Station in Hamburg-Blankenese zeigt.

Hier versuchen, so ist seit 300 Jahren überliefert, die Ortsteile Osten, Knüll, Viereck und Mühlenberg die meisten Tannenbäume für ihr „Lager“ zusammenzutreiben. Mit der Frage „Tannenbaumlager?!“ hielten junge Männer früher gar Passanten auf den Straßen an, um einerseits zu kontrollieren, daß keine Fremden bereits aufgeschichtete Bäume klauen. Andererseits konnte ein festgesetzter Eindringling dem feindlichen Lager Lösegeld in Form von weiteren Bäumen wert sein, so berichten Alteingesessene noch aus den 1970ern. Der Durchgang ist dieser Tage meist gestattet. Starke Konkurrenz um die höchsten Flammen herscht weiter.

Osterfeuer sind dabei nichts ausschließlich Norddeutsches. Allerdings schichten Schleswiger und Holsteiner das Brenngut über einer Grube, um mittels Kamineffekt noch höhere Flammen zu erzeugen. Eine besondere Wirkung suchen ferner die Lausitzer im Osten der Republik. Sie umrahmen ihr großes Osterfeuer mit einem noch größeren Feuerwerk, so etwa in Cottbus. Hier veranstaltet die größte Stadt der Region am Ostersamstag ein spektakuläres Feuerwerk am Branitzer Park.

Das Judastreiben in Oberammergau zieht viele Zuschauer an

Viele weitere Varianten, mit Entzündlichem böse Geister und die Kälte des Winters zu vertreiben, kennen die Deutschen südlich des Mains. Besonders in den katholischen Regionen des Rheinlands, Bayerns, Kärntens und der Steiermark ist es heute teils noch üblich, eine Judas-Figur durch Flammen verzehren zu lassen. Vor Jahrzehnten noch in katholischen Gegenden gelebter Brauch, haben eine Reihe Gemeinden die Tradition fallengelassen oder abgewandelt. Judas ersetzen sie durch eine andere Figur, die für das Schlechte oder Böse steht. So heizen die Bauern in Teilen Österreichs gern einem übergroßen Schaf aus Holz und Holzwolle ein. Die traditionelle Variante des „Judastreibens“ findet beispielsweise im bayerischen Oberammergau statt. Der Brauch entstammt dem Mittelalter und geht auf die Leidensgeschichte Christi zurück, in der Judas Iskariot Jesus verraten hat. 1664 erwähnt es ein Kirchrechnungsbuch erstmals.

Beim Judastreiben ziehen am Karsamstagabend verkleidete Männer und Frauen durch die Straßen von Oberammergau und jagen eine Judas-Puppe durch das Dorf. Die Vermummten und Schaulustige bewerfen sie mit Steinen und allerlei Geschossen. Schließlich wird sie verbrannt. Das Judastreiben soll zeigen, daß der Jünger Jesu für seinen Verrat bestraft wird. Die Teilnehmer sind sehr aufwendig verkleidet. Teufel und Hexen bis hin zu wilden Tieren lassen Schaulustige von weither kommen, um sich das Treiben anzuschauen. Etwas weniger martialisch geht es in der fränkischen Gemeinde Neunkirchen am Sand zu. Dort findet ein gigantischer hölzerner Osterhase sein Ende auf dem Scheiterhaufen.

Beim Schwammzundeln kommt geweihtes Feuer direkt nach Haus

Eine gar nicht so seltene Variante, sich das Osterfeuer gar ins Haus zu holen – natürlich ohne Schaden anzurichten –, ist die Schwammweihe. Dafür ziehen Österreicher, Bayern und Schwaben einen langen Draht durch spezielle Baumschwämme. Die mit geweihtem Feuer aus der Kirche zum Glühen gebrachten Pilze sollen das Haus und die Gesundheit bewahren. Der Ursprung dieses geruchsstarken Zundelns geht wohl auf die jährliche Erneuerung des Herdfeuers zurück. In Zeiten ohne Feuerzeug und Streichholz war der Hausbesitzer darauf angewiesen, sein Ofenfeuer zu hüten. Ging es aus, mußte neues beschafft werden. Die brennenden Baumpilze werden geschwenkt und im Kreis gedreht. So verströmt der Rauch kräftig, und die Glut glimmt fort.

Wer lieber nichts verbrennen will oder den Osterhasen leben lassen möchte, kann sich stattdessen ins Osterdorf Oberprechtal (Baden) begeben. Riesenosterhasen begrüßen die Gäste schon an den Ortseingängen. Leiterwagen und Schubkarren sind mit bunten Eiern bestückt und stehen neben Hasen, Hennen und anderen Motiven im Kurpark. Ein „Stationenweg“, der an den Leidensweg Christi erinnert, darf natürlich nicht fehlen. Und überall findet der Besucher Marktstände regionaler Aussteller mit Osterschmuck, Eierdeko, Blumen und feinen Leckereien.

Dapfner Brauchtumseier spenden gute Wünsche auf altdeutsch

Ebenfalls in Baden-Württemberg, aber im schwäbischen Teil des südlichsten Bundeslandes findet sich der Eiermarkt von Dapfen bei Gomadingen. Hier bieten die „Eierfrauen“ ihre kulturellen Kunstwerke an. Etwa 10.000 Eier, die seit jeher für Fruchtbarkeit und neues Leben stehen, bemalen, marmorieren oder schmücken die Dapfnerinnen wochenlang schon seit Jahresbeginn. „Eier sind Symbole des Lebens“, erklärt Ideengeberin Ursula Bogner-Kühnle. Dabei bleibt es nicht. Die Idee, die Eier zu beschriften, stammt von der genannten Pfarrersfrau. Gefragt, was sie in altdeutscher Schrift auf die zerbrechlichen Einzelstücke schreibt, erklärt sie: „Es sind segensreiche Worte, die der Seele guttun, keine Bibelworte mit Forderungen.“ Etwas, das Trost spendet, gut tut und jeden mitnehmen kann. Und: „Wenn man einen Psalm zehnmal schreibt, kommt es anders bei einem an.“ Ihre „Dapfener Brauchtums­eier“ seien inzwischen weltweit beliebt. Sie wisse von Stücken, die es bis nach Japan, Grönland, Südamerika oder Afrika und Australien geschafft haben.

Ganz besondere Eier lassen sich gleichermaßen bei den Sorben finden, der kleinen Minderheit im Osten Sachsens und Brandenburgs. Besonderen Wert legen die brauchtumsbewußten Westslawen auf die reiche Ornamentik ihrer Kunstwerke. Dazu werden mit verschiedensten Techniken Muster auf die Schalen von Hühner-, Straußen- oder Wachtel­eiern gebracht. Diese lassen sich bestens färben. Dann wird gewachst, gemalt, geätzt, geritzt, gekratzt, geklebt, gespritzt, gewickelt oder gebohrt, was die Kreativität hergibt und die Eierschale aushält.

Die Sorben halten sich meist an traditionelle Symmetrien, Wiederholungen und ein gewisses optisches Gleichgewicht. Auch die Zahl Drei hat besonderes Gewicht bei der Gestaltung, steht sie doch für die christliche Dreifaltigkeit und für die Einheit aus Mutter, Vater und Kind. Als Farbstoff taugen herkömmliche Zwiebelschalen für Brauntöne, Erlenzapfen oder Walnußschalen geben Schwarz; Rot läßt sich aus der Rotbuche oder mit Roter Beete gewinnen. Blaubeeren und Spinat färben ebenfalls stark. Mit einem leuchtenden Gelb kann Kurkuma oder Kamillenblüte dienen. 

Auch Römer kennen Ostereier, aber  Germanen und Slawen werfen sie

Slawen und Germanen teilen derweil eine weitere Tradition, die es – wahrscheinlich inspiriert durch deutsche Einwanderer – sogar bis ins Weiße Haus in Washington geschafft hat. Das jährliche Ostereierrollen, zu dem der amtierende Präsident US-Kinder einlädt, hat wohl der 19. Präsident Rutherford B. Hayes im Jahr 1878 eingeführt. 

Die Sorben nennen es „Waleien“ und die verschiedenen deutschen Stämme kennen es als Eierschieben, Eierschippeln, Eiertrudeln, Eierhetzeln, oder wie in Friesland Eiertrüllen. Dafür trifft sich beispielsweise der gesellige Friese auf dem nächstbesten Hügel, wahlweise der Düne, und bewegt die Eier, entweder rollend eine Bahn herunter, oder wirft sie direkt zum Zielei. So unterschiedlich wie die Namen dieses vermutlich heidnischen Treibens sind die regionalen Regeln. Entweder die geringste Distanz zum Ziel oder die größte Entfernung zum Werfer bestimmen, wer sein Ei zuerst essen darf respektive muß. Unchristlich ist daran nicht das bemalte gegarte Hühnerprodukt, sondern die Idee, es einen Hang herrunter zu befördern. Schließlich sind bunte Ostereier überdies schon unter den Christen im alten Rom des vierten Jahrhunderts bezeugt.

In der westlichsten Ecke Deutschlands, in Schön­ecken in der Eifel, haben junge Männer – mit rohen Eiern – dagegen ganz andere Pläne. Bei der „Eierlage“ – einem Wettlauf mit genau 104 ungekochten Exemplaren – messen zwei Junggesellen als Raffer und Läufer ihre Fähigkeiten. Den Brauch dokumentierte ein Gericht 1764. Geschichtsforscher vermuten aber eine Herkunft aus dem 15. Jahrhundert.

Der Raffer muß die aufgereihten Eier einzeln aufnehmen und in einen Eierkorb rund 65 Meter entfernt ablegen. Zusammengezählt sprintet er stattliche 6,9 Kilometer, samt Bücken, Aufheben und Umkehren. Der zweite, der Läufer, rennt in den Nachbarort, läßt sich dort seine Ankunft bestätigen und muß wieder zurück. Bewältigt er seine 7,6 Kilometer schneller, siegt er. Die Idee geht wahrscheinlich auf eine Wette zurück, bei der Ritter ihre Laufburschen gegeneinander antreten ließen. Die Eier dürfen natürlich nicht beschädigt werden. 

So oder anders. Die hiesigen Traditionen leben, und sie werden künftigen Archäologen zahlreiche Gelegenheiten bieten, bunte Eierschalen zwischen Rhein und Oder auszugraben.