© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/23 / 06. April 2023

Carsten Stahl. Keiner liest der Politik so die Leviten wie Deutschlands bekanntester Anti-Mobbing-Trainer.
Der Engel der Rache
Moritz Schwarz

Wenn Gott den Grünen einen Racheengel geschickt hat, dann ist es Carsten Stahl. Der Anti-Mobbing-Experte und Kinderschutzaktivist läßt keine Gelegenheit aus, auf die Partei mit dem Weltretterkomplex loszugehen: „Eure Politik hat für die Menschen katastrophale Folgen ... Eure Abgehobenheit, Doppelmoral und Heuchelei sind unerträglich!“, wettert er auf seinem Youtubekanal. Es sind genau die Vorwürfe, die die Grünen früher gegen die etablierte Politik schleuderten, die sie nun selbst zu schmecken bekommen. Der Moralismus, den sie gepachtet zu haben glaubten, wendet sich nun gegen sie: „Eure Ideologie drängt die Leute in Not und Armut. Aber die Menschen sind euch scheißegal!“ hat sich Stahl inzwischen in Rage geredet, und dabei er hat gerade erst angefangen ... 

„Ich bin für viele ein Sprachrohr, Millionen Menschen fühlen sich durch das, was ich sage, vertreten.“

Der Mann mit dem heiligen Zorn ist nicht irgendwer: „Für viele bin ich ein Sprachrohr, Millionen Menschen fühlen sich durch das, was ich sage, vertreten“, so Stahl über sich selbst. Und er könnte recht haben: Der ehemalige Jugendganganführer, Türsteher und Hauptdarsteller der RTL-Serie „Privatdetektive im Einsatz“ dürfte Deutschlands bekanntester Trainer für Jugendgewaltprävention sein, der vor allem in der Bild-Zeitung regelmäßig zu Wort kommt. Zuletzt reiste er nach Heide, wo vor zwei Wochen eine 13jährige von mehreren Mädchen gequält worden war, und erreichte eine Versöhnung des Opfers und der Täterinnen. Kurz zuvor hatten ihn die Eltern der Siebzehnjährigen eingeschaltet, die mit ihrem 19jährigen Freund am 8. Februar in einem Regionalzug bei Brokstedt von einem Asylbewerber erstochen worden war. 

Doch nicht nur die Grünen macht Stahl verantwortlich: Alle Parteien verschleierten und verleugneten die Realität einer Politik, „durch die Menschen zu Tode kommen“, weil man Leute „unkontrolliert ins Land läßt und sie nicht integriert“, wobei Messermorden und Gruppenvergewaltigungen auch hiesige Ausländer zum Opfer fielen. 

Ganz besonders liegt Stahl allerdings der Kinderschutz am Herzen. Und auch hier scheint er, während er die Sätze spricht, regelrecht zu explodieren: „Unsere Justiz versagt! Ein Mann mißbraucht ein Kind 129mal – zweieinhalb Jahre Bewährung! Bewährung, immer wieder Bewährung! Ein Mann, der Ratten gequält hat, bekam dagegen unlängst drei Jahre! Die Wahrheit ist: Deutschland ist ein Paradies für Kinderschänder, weil die Politik nichts unternimmt!“ 

Das Volkstribunhafte, das Stahl mit der Energie eines brodelnden Vulkans vertritt, hat allerdings zwei Seiten. Natürlich ist seine hemmungslose Wut auf eine Politik, die ihre Opfer nicht kümmert, berechtigt, ja geboten, soll sich etwas ändern. Andererseits aber ist er in seinem cholerischen Rigorismus den Grünen nicht unähnlich. Und würde jeder sein Anliegen wie Stahl vortragen, gäbe es im Bundestag wohl bald die ersten Prügelszenen.

Dennoch trifft der 51jährige Berliner immer wieder ins Schwarze. Etwa als er angesichts der sozialen Folgen, Stichwort Heizkosten, der nun anstehenden Abschaltung der letzten AKW die Grünen erneut überführte: Wenn diese für die Ukrainer in puncto Waffenlieferung ihre Ideologie über den Haufen werfen könnten – warum dann eigentlich nicht auch für die eigenen Bürger beim Thema Energie?