© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Alle marschieren nach links
Gefährliches Meinungskartell: Der frühere „Bild“-Journalist Ralf Schuler beklagt einen demokratiegefährdenden Konformitätsdruck in Leitmedien und an den Universitäten
Ulrich Vosgerau

Ralf Schuler, jahrelang Leiter des Hauptstadtbüros der Bild-Zeitung, hat vor etlichen Monaten den Springer-Verlag verlassen, nachdem dessen Vorstandsvorsitzender, Mathias Döpfner, auf einen Gastbeitrag von Wissenschaftlern in der Welt mit der Veröffentlichung einer wüsten Schimpfrede reagiert hatte. Diese hatten auf den Umstand hingewiesen, daß es nur zwei Geschlechter gibt – den Zusatz „biologisch“ sollte man sich hier wahrhaft sparen, denn: inwiefern denn sonst? – und teils groteske Fehldarstellungen der natürlichen Tatsachen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beklagt. Schulers neues Buch ist auch der Versuch der persönlichen Aufarbeitung und Einordnung derjenigen gesellschaftlichen Veränderungen, die sogar dazu geführt haben, daß an allen Eingängen der Springer-Zentrale nun der Aufkleber „LGBTQ Safe Zone“ prangt, als würden Transsexuelle normalerweise durch die Straßen gejagt und könnten sich nun zu Springer flüchten. Die Modalitäten des Endes seiner Springer-Laufbahn bilden Anfang und Ende des Buches; dazwischen sucht er seine Leitfrage zu beantworten: „Wie entstehen Konformität und taktisches Verbiegen unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft?“ Nun gelingt ihm die Beantwortung dieser Leitfrage nicht in dem Maße, wie das der Untertitel „Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde“ eigentlich erwarten läßt – wobei der verlagsseitige Einsatz kaufanreizender Untertitel, deren Versprechen der Text dann so nicht einlöst, bei journalistischen Sachbüchern inzwischen eher der Regelfall als eine Ausnahme ist. Denn diese Antwort müßte dann schon in einigen klaren Thesen zur Kausalität bestehen, ohne die die Modalität ohnehin nicht erklärt werden könnte. 

In einem breiten Mittelteil stellt der Verfasser anhand zahlreicher Einzelfälle faktischer Ein-schränkungen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit dar, was ist. Das wissen wir aber im großen und ganzen schon, nun würden wir gern erfahren, warum es heute so ist und wie genau es dazu hat kommen können. Viele verbergen ihre Skepsis gegenüber dem Adoptionsrecht von Homosexuellen, um ihre Karriere nicht zu gefährden? Stimmt! Aber das erklärt ja nichts, sondern wirft die Frage auf: Warum und seit wann genau befinden in Deutschland allein kompromißlose und intolerante Förderer der Homosexuellenadoption über Karrieren? In der Unions-Fraktion wird bei Einwanderungskritik nur unter dem Tisch geklopft, damit das Präsidium nicht sieht, wer es ist? Glauben wir sofort! Aber gerade vom ausgewiesenen Unionsexperten Schuler hätten wir gerne gewußt: seit wann und warum eigentlich entscheidet offenbar die Bertelsmann-Stiftung, wer für die Union in den Bundestag kommt? Das war doch früher anders?

Manchmal scheint der Autor auch beträchtlich zu schwanken. Sind „abweichende“ Äußerungen nun mit erheblichen sozialen und beruflichen Gefährdungen verbunden, oder sind die Leute heute unglaublich feige? Aber auch der Verweis auf „Feigheit“ würde wiederum nichts erklären – sondern die Frage aufwerfen, warum bei uns ordentliche Bürger Angst vor den Linken haben und nicht umgekehrt. Und warum will er seine Kündigung bei Springer für einen „ganz normalen Jobwechsel“ gehalten haben, wenn er deren Grund zugleich als traumatisierend für zahlreiche Mitarbeiter und als Epochenbruch nicht nur der Konzerngeschichte, sondern der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt beschreibt? Von entscheidender Wichtigkeit für den völligen Wandel politischer Diskurse sind offenbar die „sozialen Medien“gewesen, allen voran Twitter. In fast jeder seiner Fallgeschichten ist die Entfaltung eines „Shitstorms“ (ein Wort übrigens, das es im Englischen nicht gibt und das den native speaker ratlos erschaudern läßt) auf Twitter entscheidend für meinungsbedingte Karrierebrüche. Die politische Öffentlichkeit, die sich früher in gedruckten Zeitungen, dem Vereinswesen und Wirtshäusern entfaltete, scheint heute zur Gänze vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseits und Twitter andererseits aufgesogen worden zu sein, und in beiden Mediengattungen haben offenbar fanatische Linke jeweils eine über neunzigprozentige Mehrheit. Nur: Wenn man weiß, daß Twitter ähnlich repräsentativ ist wie eine mit zweiprozentiger Wahlbeteiligung gewählte Studentenvertretung – warum hält man das Medium dann für relevant, warum fürchtet man es, warum hat man dort überhaupt einen Account?

Sehr erhellend sind die Erfahrungsberichte des Autors aus der Universität, die die stetig wachsende Verblödung der akademischen Jugend illustrieren. Aber auch diese erklärt nicht die heutigen Verhältnisse, sondern ist das Ergebnis viel früherer Weichenstellungen. Wer keine Ahnung hat, was ein Partizip sein könnte, dem kann man auch schwer erklären, warum es zur Neutralisierung des grammatischen Geschlechts ungeeignet ist. Eine Jugend, die von überwiegend linksgrünen Lehrern erzogen wurde, versteht die Demokratie nicht mehr, weil hier notwendig die Wahrheitsfrage offen und die Moral privat bleibt; die Grünen haben jedoch in Jahrzehnten der Demokratie eine neoreligiöse Bewegung entgegengestellt, mit Erfolg. Die von Schuler besuchten Studenten der Kommunikationswissenschaft halten dementsprechend die öffentliche Äußerung nicht-grüner Auffassungen für schier unvorstellbar – und bereiten sich erkennbar auf den Beruf des Zensors nach ihrem akademischen Abschluß vor.

Ralf Schuler: Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde. Fontis Verlag, Basel 2023, gebunden, 208 Seiten, 22,90 Euro