© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/23 / 24. März 2023

Lektüre der Woche
Antirassistisch urlauben
Christian Vollradt

Einen „brutalen Angriff auf ihre Menschenwürde“ beklagt eine Lehrerin aus Ulm. Nicht wegen renitenter Schüler, sondern wegen Wolfgang Koeppen. Der ist zwar seit über einem Vierteljahrhundert tot, aber sein Roman „Tauben im Gras“ soll ab nächstem Schuljahr Lektüre für das Deutsch-Abitur an beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg werden. Weil in dem Text (von 1951) über hundertmal das Wort „Neger“ vorkommt, sei die erste Beschäftigung damit „einer der schlimmsten Tage“ ihres Lebens gewesen, empörte sich die Lehrerin, die „Rassismus selbst erlebt“ habe. Prompt kündigte sie an, das kommende Schuljahr nicht unterrichten zu wollen, und startete eine Petition, für die sie bereits zahlreiche Unterstützer fand. Koeppen raus aus dem Kanon fordern inzwischen Professoren und Politiker. Das zuständige Tübinger Regierungspräsidium teilte nun mit, die Lehrerin sei beurlaubt worden. Das grün regierte Kultusministerium in Stuttgart hält unterdessen an der Pflichtlektüre fest und will das Werk nicht zurückziehen: Alles müsse im Kontext gelesen werden. Das will die Bewegung „Mein Ich gegen Rassismus“ nicht hinnehmen. Alternativ könnte den Schülern vielleicht ein echter Klassiker zum Abitur serviert werden, etwa der olle Goethe. Der schrieb keine „Tauben im Gras“, eher über Trauben im Glas. Zum Beispiel die berühmte Wirtshausszene im „Faust“. Da heißt es: „Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.“ Das widerspricht allerdings dem Gedanken der Völkerverständigung; und könnte jene verletzen, deren Vorfahren Hugenotten waren; und spricht es nicht denen, die aus welchen Gründen auch immer auf Alkohol verzichten, die Möglichkeit ab, echte Deutsche zu werden? Wahrscheinlich wäre es im Sinne von Antirassismus und Emanzipation das Beste, man würde das Fach Deutsch gleich ganz abschaffen. Oder das Abitur.