© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Der Teufel liegt nicht nur im Detail
Ukraine-Krieg: Peking versucht sich als Friedensstifter, springt aber nicht über seinen Schatten
Marc Zoellner

Chinas Diplomaten haben dieser Tage viele Hände zu schütteln: Zwar mußte ein bereits im Dezember vereinbarter Besuch des US-Außenministers Antony Blinken in Peking Anfang Februar von Washington kurzfristig abgeblasen werden, als mutmaßliche chinesische Spionageballons im Luftraum der USA aufgetaucht waren. Doch bereits am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz traf Blinken am 18. Februar erneut auf seinen ehemaligen chinesischen Amtskollegen Wang Yi, der im Januar zum Direktor des chinesischen Büros für auswärtige Angelegenheiten – und somit zum Vorgesetzten über Chinas neuen Außenminister Qin Gang – befördert wurde. Neben der Ballon-Affäre war in diesem Gespräch der Ukraine-Krieg zentrales Thema, zu welchem Blinken Wang eindringlich „vor den Auswirkungen und Konsequenzen“ chinesischer Waffenlieferungen nach Rußland warnte.

Dessen ungeachtet durfte Wang bereits wenige Tage später im Kreml Platz nehmen. Nicht distanziert am gewohnt langen Tisch wie anderer Staatsbesuch, sondern symbolträchtig in Handschlagreichweite zu Rußlands Präsident Wladimir Putin. Eine Geste, die über russische und chinesische Fotografen entsprechend Würdigung fand. „China ist bereit, diesen Besuch als Chance zu nutzen und mit Rußland zusammenzuarbeiten“, pries ein Sprecher Wangs die Beziehungen, „um die legitimen Rechte und Interessen beider Seiten zu verteidigen und eine aktive Rolle für den Weltfrieden zu spielen.“ 

Bereits im Vorfeld war Wang nach Frankreich und Italien gereist, während Qin neben Telefonaten nach Belgien, den Niederlanden und Japan ein Treffen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit dem iranischen Staatsoberhaupt Ebrahim Raisi in Peking koordinierte. Der iranischen Delegation folgt diese Woche der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko; demnächst, verkündete die Ukraine, wolle auch Wolodymyr Selenskyj mit Xi persönlich sprechen.

Sie alle eint die Notwendigkeit, über Chinas jüngsten Friedensplan zur Lösung des Ukrainekriegs zu diskutieren: Zwölf Punkte hatte Peking zum ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs veröffentlicht, die nach Ansicht der Chinesen dienlich seien, den Konflikt grundlegend beizulegen. Für Xi und seinen Diplomatenstab glich bereits die Ausarbeitung einem Drahtseilakt: „China konzentriert sich zu Recht auf die Dringlichkeit, einen politischen Kompromiß zwischen einem strategischen Partner [Rußland] und einer anderen Nation, zu der es ebenfalls freundschaftliche Beziehungen unterhält [Ukraine], zu finden, bevor der erbitterte Konflikt noch weiter außer Kontrolle gerät“, urteilt die Hongkonger South China Morning Post.

Die Crux beginnt bereits in der Formulierung. Noch immer weigert sich Moskau, vom „Krieg“ in der Ukraine zu sprechen. Der Kreml verwendet stattdessen den Terminus der „speziellen Militäroperation“. Auch Chinas Zwölfpunkteplan umschifft gekonnt das Reizwort „Krieg“; es sei denn in Pekings Forderung nach Schutz und Austausch von Kriegsgefangenen sowie in der Mahnung vor dem Wiederaufflammen einer „Mentalität des Kalten Kriegs“. Zum Ärger Kiews ist der Abzug russischer Truppen kein Bestandteil des Friedensplans. Moskau wiederum zeigte sich sichtlich verstimmt über Pekings Grundbedingung, es müsse „die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder wirksam gewahrt werden.“ Noch am Montag teilte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow mit, eine Rückgabe der besetzten Gebiete sei für Moskau „ausgeschlossen“. Speziell die Krim sei „ein integraler Bestandteil der Russischen Föderation.“

Ex-Präsident Dmitri Medwedew droht mit Vernichtung der Ukraine 

Unverkennbar liegt Chinas Augenmerk nicht nur in der Prävention einer Ausweitung des Kriegs. Von der „Erleichterung der Getreideexporte“ bis zur „Stabilisierung der Industrie- und Lieferketten“ behandeln gleich mehrere Punkte des vorgelegten Programms auch für China relevante wirtschaftliche Aspekte. Dazu gehört ebenso die „Beendigung einseitiger Sanktionen“, die bezüglich geplanter Drohnenlieferungen neben Moskau demnächst auch Peking treffen könnten.

Bisherige Reaktionen auf den chinesischen Vorstoß fallen gemischt aus. Von einem „guten Zeichen“ spricht Zhanna Leshchynska, die ukrainische Botschafterin in China. „Wir hoffen, daß sie auch Rußland auffordern, den Krieg zu beenden und seine Truppen abzuziehen.“ Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte, China habe „nicht viel Glaubwürdigkeit, weil es nicht in der Lage war, die illegale Invasion in der Ukraine zu verurteilen“. Die USA wiederum halten große Teile des Friedensplans für überflüssig. China hätte „bei Punkt eins aufhören können, nämlich bei der Achtung der Souveränität aller Nationen“, erklärte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan. „Die Ukraine hat Rußland nicht angegriffen. Rußlands Ziel in diesem Krieg war es, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen und sie in Rußland zu absorbieren.“

 Unerwarteten, wenn auch unbeabsichtigten Zuspruch erhielt Sullivan in dieser Einschätzung von Dmitri Medwedew. „Der Sieg wird errungen, wir werden unsere Gebiete zurückholen“, verkündete der jetzige Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats. Verhandlungsentscheidungen würde im Anschluß nicht der ukrainische Präsident Selenskyj treffen, „falls er noch lebe“, so Medwedew auf Telegram, sondern „die andere Seite des Ozeans“. Und Rußland würde bis dahin „die Grenzen der Bedrohung unseres Landes so weit wie möglich verschieben, auch wenn dies die Grenzen Polens sind“.