© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Rote Linie gegen Diskriminierung
Karlsruhe I: Das Bundesverfassungsgericht gibt der AfD recht und kippt die Praxis der Finanzierung parteinaher Stiftungen
Jörg Kürschner

Den Erfolg der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Ausschluß der ihr nahestehenden Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) von staatlicher Förderung nimmt die Ampelkoalition borniert zur Kenntnis. Trotz teils vernichtender Kritik an der Praxis der etablierten Parteien, den ihnen nahestehenden Stiftungen dreistellige Millionenbeträge in Kungelrunden, „Stiftungsgespräche“ genannt, zuzuschanzen und der AfD staatliche Finanzmittel zu verweigern. Die Richter sehen das Recht auf Chancengleichheit verletzt, doch SPD, Grüne und FDP schert das wenig. Hat die AfD nur einen „formellen Sieg“ errungen?

„Eine schallende Ohrfeige“, frohlockte DES-Chefin Erika Steinbach. Und tatsächlich fehlt es in dem 87 Seiten starken Urteil des Zweiten Senats nicht an Rügen der etablierten Politik. Da „verkennt sie den Gegenstand des Rechtsstreits“, heißt es beispielsweise. Eine „Verfälschung der politischen Wettbewerbslage zwischen den Parteien“ stehe dem Grundsatz der Chancengleichheit entgegen. Und Klartext der acht Richter in dem Organstreitverfahren: „Aufgabe staatlicher Finanzierung politischer Stiftungen kann es nicht sein, einen Beitrag zur Versteinerung des bestehenden Parteiensystems zu leisten und die Entstehung oder Verstetigung neuer politischer Strömungen zu verhindern“. 

Die anderen Parteien spielen offenbar auf Zeit

Peinlich mutet es an, daß ein geladener Sachverständiger, der Lüneburger Politikwissenschaftler Michael Koß, die Argumentation von Parlament und Regierung zerpflückte, die Höhe der jährlichen Zuschüsse richte sich streng nach den Wahlergebnissen. Dazu vermerkt das Urteil, der Experte habe nachgewiesen, daß trotz Stimmenverlusten von CDU und SPD bei den letzten vier Bundestagswahlen die staatlichen Fördermittel für die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung gestiegen seien.

Die Ampel hätte die Klatsche aus Karlsruhe vermeiden können, hätte sie rechtzeitig ihren eigenen Koalitionsvertrag umgesetzt. „Die Arbeit und Finanzierung der politischen Stiftungen wollen wir rechtlich besser absichern“, versprachen SPD, Grüne und FDP bei Regierungsantritt im Dezember 2021 vollmundig. Doch es passierte nichts. Was Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz heute ärgert. Das Heft des Handelns habe man somit ohne Not aus der Hand gegeben. „Die finanzielle Förderung parteinaher Stiftungen ist nur auf der Grundlage eines Gesetzes möglich“, erkannte auch FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Und wie Notz gab der Liberale die Marschrichtung vor: „Jeder Euro Steuergeld für die AfD-Stiftung wäre ein Euro zuviel“. Der Justitiar der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, assistierte: „Kein Geld für Verfassungsfeinde.“ Die Anti-AfD-Front im Bundestag steht. 

Die sechs parteinahen Stiftungen waren 2019 vom Bund mit insgesamt rund 660 Millionen Euro gefördert worden. In der Organklage ging es ausschließlich um die sogenannten Globalzuschüsse, die für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit gedacht sind. Im Jahr 2019 waren das rund 130 Millionen Euro, für dieses Jahr sind 148 Millionen Euro eingeplant. Die DES und die AfD hatten 900.000 Euro für 2019 verlangt.

Die Zustimmung zu dem Urteil hält sich in Grenzen. „Nachdem das Bundesverfassungsgericht klar gesagt hat, daß der DES staatliche Mittel jedenfalls für die Jahre 2019, 2020 und 2021 zustehen, wäre es einfacher gewesen, wenn es auch – was ich ja angeregt hatte – eine Vollzugsanordnung erlassen hätte, die klarstellt, wie wir nun an unser Geld kommen“, meinte AfD-Prozeßvertreter Ulrich Vosgerau gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Dies habe das Gericht aber nicht getan „mit der Begründung, die übrigen Akteure würden das Urteil gewiß auch so respektieren“. Da ist der Jurist skeptisch. „Die anderen Parteien verzögern bislang absichtlich jegliche Geldausschüttung an die DES und werden diese Praxis vermutlich noch jahrelang fortsetzen wollen.“ Die Stiftung werde demnächst beim Bundesverwaltungsamt „Nachzahlung unserer Mittel für die genannten Jahre verlangen“, kündigte Vosgerau an. 

Die Stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Mariana Harder-Kühnel gab sich „sehr zuversichtlich“, daß die Stiftung rückwirkend die Gelder erhalten wird. „Hierzu müssen wir noch weitere Hürden überwinden, haben aber schon mit dieser Entscheidung einen sehr großen Schritt in die richtige Richtung getan“, sagte die Juristin, die bei der Urteilsverkündung anwesend war, der jungen freiheit.

Mit einem Passus räumt Karlsruhe dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum bei der Regelung der Chancengleichheit ein: So komme „als gleichwertiges Verfassungsgut insbesondere der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Betracht“. Ein Stiftungsgesetz darf nach Ansicht der Richter „nicht zu einer Veränderung der vorgefundenen Wettbewerbslage“ führen“, es sei denn, dies sei „zum Schutz von Verfassungsgütern, die dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten können, geeignet und erforderlich“. Es geht also um eine Abwägung verschiedener Grundrechtsgüter. Eines davon ist „insbesondere“ der Schutz der demokratischen Grundordnung. Ohne eine genaue Definition der Förderkriterien wird es also kein Stiftungsgesetz geben, das vor dem höchsten deutschen Gericht Bestand hat. 

Harder-Kühnel betonte gegenüber der JF, AfD und Erasmus-Stiftung „verfolgen gerade das Ziel, unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, auch gegen die Etablierung von politischen Kartellen, zu schützen“. Etwaige Regelungen im kommenden Stiftungsförderungsgesetz „ würden die Auszahlung der Fördermittel an die DES letztlich nicht verhindern können“, ist sie sich sicher. Und schränkt umgehend ein, dies bedeute nicht, „daß die etablierten Parteien bei der Verteilung der Gelder von weiteren unlauteren Versuchen in diese Richtung absehen werden“. 

Nicht ausreichend, da zu allgemein gehalten, dürfte der in das Haushaltsgesetz 2022 eingefügte Passus sein, der die Zuschüsse an das Bekenntnis zur „freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ knüpft. Dazu will sich das Gericht aus Zeitgründen erst später äußern. Die Senatsvorsitzende Doris König sprach von einer „neuen verfassungsrechtlichen Frage“. 

Dann könnte auch die seit 1999 geförderte Rosa-Luxemburg-Stiftung ins Spiel kommen, die der Linkspartei nahesteht. Die AfD hatte geltend gemacht, „es (sei) unbeachtlich, wenn innerparteiliche Unterorganisationen der nahestehenden Partei vom Verfassungsschutz beobachtet würden“. Gemeint ist etwa die „Kommunistische Plattform“, die von der Linkspartei als Bundesarbeitsgemeinschaft anerkannt und zuletzt im Verfassungsschutzbericht 2021 ausdrücklich erwähnt wird. Prominentestes langjähriges Mitglied: Sahra Wagenknecht.