© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/23 / 24. Februar 2023

Frisch gepreßt

Dávila. Der deutsche Philosoph Vittorio Hösle befaßt sich mit dem kolumbianischen Aphoristiker und Philosophen Nicolás Gómez Dávila. „Befassen“ meint in diesem Fall allerdings kein Zusammentragen biographischer Daten und auch keine essayistische Annäherung. Stattdessen geht Hösle in eine sehr direkte Auseinandersetzung mit dem katholischen Reaktionär: Eine Reihe an ausgewählten Aphorismen kontert er mit Gegenaphorismen, Variationen, Ergänzungen. Von „Gegenaphorismen“ kann man deshalb sprechen, weil sich Hösle offensichtlich mehr in der Tradition der Aufklärung und des Liberalismus verhaftet sieht, als es bei Dávila der Fall ist, andererseits aber doch platonisch und gläubig genug ist, um sich von dessen Antimodernismus faszinieren zu lassen. Dabei formuliert er kluge Erwiderungen, erreicht jedoch zu keinem Moment die Gewitztheit und den zynischen Humor seines Widersachers. Zusätzlich interessant ist das Anfangskapitel, in dem Hösle sich den „Notas“ aus dem Frühwerk des Kolumbianers widmet und deren Aphorismen und Essays auf ihre philosophischen Bezüge hin strukturiert. Gerade für Leute, die erst frisch in das Werk Dávilas einsteigen, bietet dieses Kapitel einen guten Überblick auf die Gedankenwelt des Autors. (lb)

Vittorio Hösle: Im Dialog mit Gómez Dávila. Gegenaphorismen, Variationen, Korollarien. Zu Klampen Verlag, Springe 2022, gebunden, 191 Seiten, 20 Euro





Goethe. Der nächste Autor, der im Titel das Modewort „Erfindung“ verwendet, sollte zehn Hiebe auf die nackten Fußsohlen fürchten müssen. Ob eine solche Strafandrohung den britischen Literaturhistoriker Jeremy Adler allerdings davon abgehalten hätte, Goethe als „Erfinder der Moderne“ auszurufen, ist zu bezweifeln. Zu begeistert ist Adler von der Bedeutung des Weimarer Titanen, zu überzeugt von dessen zentraler Rolle bei der „Herausbildung der westlichen Zivilisation“, als daß einen bescheideneren Titel für seine Biographie hätte wählen können. Deren Botschaft Loriot schon vorweggenommen hat: Ein Leben ohne Goethe ist möglich, aber sinnlos. Einschüchtern lassen sollte sich der Leser von solchen Posaunentönen jedoch nicht. Daß Goethe zwar nicht die, aber zumindest eine „Gründerfigur der europäischen Moderne“ ist, führt der 1947 in England geborene Germanist mit deutsch-jüdischem Migrationshintergrund so gelehrt wie unterhaltsam aus. Dabei auf den Spuren von Walter H. Bruford („Die gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit“, Weimar 1936)wandelnd und dem sozialhistorischen wie dem politischem Entstehungskontext von Goethes Werken erfreulich viel Raum gebend. (wm)

Jeremy Adler: Goethe. Die Erfindung der Moderne. Verlag C.H. Beck, München 2022, gebunden, 655 Seiten, Abbildungen, 34 Euro