© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

Am Ende wurde aus dem König ein Kaiser
Im Februar nimmt in Frankreich mit dem Sturz des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe das europäische Revolutionsjahr 1848 seinen Anfang
Jan von Flocken

Frankreichs Ministerpräsident François Guizot zeigte sich 1845 siegesgewiß: „Unser Land marschiert an der Spitze der Zivilisation“, verkündete er. In Paris schien die Welt der gemäßigten Monarchie für alle Zeit gefestigt. Seit 1830 saß der liberale „Bürgerkönig“ Louis-Philippe auf dem Thron, ein Mann der Hochfinanz und des ungebremsten Wirtschaftswachstums. Dieser Bourbone gab als Parole aus: „Enrichissez-vous!“ (Bereichert euch). 

Doch was Bankiers, Fabrikbesitzern, Geschäftsleuten, Bodenspekulanten und Bauherren so gut gefiel, stieß bei einer wachsenden Opposition auf Widerspruch. Und die verlangte lautstark Gehör. Was Republikaner, Liberale und Sozialisten einte, war vorrangig die Ablehnung des sogenannten Zensuswahlrechts. Demgemäß durfte nur wählen, wer erhebliche Finanzmittel aufweisen konnte. Dieser Nachweis erfolgte durch Steueraufkommen, Grundeigentum oder festes Vermögen. Somit waren weniger als zehn Prozent der männlichen Bevölkerung wahlberechtigt.

Das sollte auch so bleiben. Der König, einst beliebtester Mann im ganzen Land und selbst 17 Jahre zuvor durch eine Revolution auf den Thron gelangt, zeigte sich immer unzugänglicher. Eine Reform des Wahlrechts lehnte er als unerhört ab. Für die Opposition stellte es eine gezielte Herausforderung dar, als Louis-Philippe sich Ende Dezember 1847 „in einer starrsinnigen und ungeschickten Thronrede nicht weniger hochmütig wie einst Ludwig XIV. als alleiniger Vertreter der politischen Wahrheit bezeichnete“, wie der französische Historiker René de la Croix in dem Kompendium „La fin des Rois“ bemerkte.

Die Stimmung in Paris und der Provinz ist höchst unterschiedlich

Dieser Hochmut sollte sich schnell rächen. Anfang 1848 begann ein revolutionärer Umschwung. Unter aktiver Teilnahme mehrerer linksliberaler Zeitungen wurden auf Pariser Straßen öffentliche Bankette veranstaltet, bei denen radikale Politiker für eine Änderung des Wahlrechts agitierten. Ein großes Bankett war für den 22. Februar auf der Place da la Madeleine festgesetzt. Doch der Polizeipräfekt der Hauptstadt verbot diese Zusammenkunft, weil sie eindeutig politischen Charakter trage und drohte mit dem Einsatz von Militär.

Am Abend des 23. Februar 1848 versammeln sich Arbeiter, Handwerker und Studenten im Stadtzentrum. Untergetauchte Männer der aufgelösten republikanischen Geheimgesellschaften rufen zum Aufstand. Die Regierung antwortet mit der Einberufung der Nationalgarde, deren Milizionäre sich aber größtenteils mit den Aufständischen verbrüdern. In der Nacht zum 24. Februar kommt es auf dem Boulevard des Capucines zu ersten blutigen Gefechten zwischen Arbeitern und dem regulären Militär.

Der König entschließt sich daraufhin, Guizot zu entlassen. Aber es ist bereits zu spät. Die Massen gehen bewaffnet auf die Straße. In der Nacht zum 24. Februar schießen Regierungstruppen vor dem Außenministerium auf Demonstranten. Jetzt nimmt der Aufstand allgemeinen Charakter an. Die Pariser bauen 2.000 Barrikaden, und am Morgen des 24. Februar sind alle Kasernen und Waffenarsenale in die Hände der Aufständischen gefallen. König Louis-Philippe flieht in letzter Sekunde aus Paris, während der Pöbel schon das Palais Royal und das Tuilerien-Schloß plündert. Sein Thron wird auf einem Platz öffentlich verbrannt.

Kurz darauf setzt man eine provisorische Regierung unter dem liberalen Schriftsteller Alphonse de Lamartine ein und proklamiert die Republik. Dem elfköpfigen Ministerrat gehören Männer unterschiedlicher politischer Strömungen an. Sie versuchen, die teilweise gegensätzlichen Interessen der revolutionären Kräfte auszugleichen. Außenpolitisch konservativ, innenpolitisch gemäßigt liberal, fällt die Regierung einige wichtige Entscheidungen: Beendigung der Sklaverei in den Kolonien, Abschaffung der Todesstrafe für politische Delikte, Pressefreiheit und allgemeines Wahlrecht.

Doch wie fast immer in der Geschichte Frankreichs ist die Stimmung der Pariser nicht identisch mit der im Rest des Landes. Bei den Wahlen vom 9. April 1848 triumphiert die Provinz und sendet eine überwältigende Mehrheit gemäßigter Republikaner und Konservativer ins Parlament. Die Linksradikalen verlieren rapide an Bedeutung und wollen das nicht hinnehmen. Im Juni 1848 bricht in Paris ein erneuter Barrikadenaufstand aus, der vom Militär mit äußerster Härte unterdrückt wird. 5.700 Tote sind das Resultat. Ende 1848 wird dann Napoleon Bonaparte, Neffe des verstorbenen Kaisers, zum Präsidenten der Zweiten Republik gewählt. Mit einem Staatsstreich putscht er sich 1851 an die absolute Macht, läßt sich ein Jahr später zum Kaiser ausrufen, und unversehens ist Frankreich wieder eine Diktatur geworden.

Das Jahr 1848 war in vielen Ländern Europas das Signal für die Ausbreitung einer revolutionären Bewegung. Nur ihr Ursprungsland, die „Grande Nation“, hatte so gut wie nichts erreicht, saß vielmehr zum zweiten Mal nach 1815 auf einem politischen Trümmerhaufen.