© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

Ausverkauf am Baumwall
Gruner + Jahr: RTL stößt zahlreiche Titel ab
Paul Leonhard

Das Magazin Geo Epoche hat doch noch eine Chance, im RTL-Haus zu überleben. Thomas Rabe ist sich noch nie zu fein gewesen, getroffene Entscheidungen zu revidieren, nur die Zahlen müssen stimmen. Bei dem Geschichtsmagazin könnte das der Fall sein. Ansonsten nur bei wenigen anderen Titeln der einstigen Gruner+Jahr-Welt (G+J) am Hamburger Baumwall. Die Konsequenz ist der große Ausverkauf oder wie Franziska Reich, Politikchefin beim Focus, schreibt: Bertelsmann-Chef Rabe habe „dem einst größten Verlag Europas das Rückgrat gebrochen, es zu einem Mosaikstein der bundesrepublikanischen Geschichte zerhackt“.

Fast zwei Dutzend Zeitschriften sollen eingestellt oder verkauft, bis zu 700 von 1.900 Stellen abgebaut werden. Von einer „Schockwelle in der deutschen Verlagswelt“ sprechen die Mitbewerber auf dem Markt. Wie Aschenbrödel hat Rabe die Titel sortiert. Stern, Geo, Capital und Stern Crime werden „aufgrund der großen Synergien mit den RTL-TV-Redaktionen“ künftig in der RTL News GmbH geführt. Der Verbund von TV-, Streaming- und Publishing-Geschäften von RTL Deutschland mache Sinn, so Rabe in seiner Funktion als Vorsitzender der Geschäftsführung von RTL Deutschland: „Er schafft einen erheblichen Mehrwert von etwa 75 Millionen Euro jährlich in so wichtigen Bereichen wie Inhalte, Vermarktung, Tech & Data sowie bei den Corporate-Funktionen.“

Gleichzeitig soll investiert werden

Und dann gibt es noch jene Zeitschriftentitel bei G+J, mit denen man in Köln nichts so recht anzufangen weiß, die aber noch ausreichend lukrativ sind: Brigitte, Gala, Schöner Wohnen, Häuser, Couch, Geolino und Geolino Mini; vorerst geparkt in der Gruner+Jahr Deutschland GmbH und verschiedenen Tochtergesellschaften. Eltern und Chefkoch wird es nur noch digital geben. Landlust steht auf dem Prüfstand, Beef, Business Punk, P.M. und 11 Freunde stehen dagegen zum Verkauf.

Schon Ende 2012, als die Financial Times Deutschland aus Kostengründen eingestellt wurde, klagten auch Stern und Brigitte über stark rückläufige Auflagen. 2014 gab schließlich die Verlagsgründerfamilie Jahr auf und verkaufte ihre Sperrminorität von 25,1 Prozent an den Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann, der seitdem 100 Prozent von G+J besitzt. Für Rabe war das „ein klares Bekenntnis zum Journalismus und dem Wert journalistischer Inhalte auch im digitalen Zeitalter“. Schon damals klangen seine Sätze in Sachen Journalismus so, als hätten sie ihm „die Pressestelle aufgeschrieben, und vermutlich ist es auch genau so“, analysiert die taz, für die der 57jährige ein reiner Machtmensch der Zahlen ist. Tatsächlich ist es nicht Rabes Aufgabe, die Zeitschriftenwelt aus Hamburg zu retten, sondern für einen steigenden Aktienkurs bei RTL Deutschland zu sorgen.

Bereits als der Verkauf des Verlagshauses an RTL Deutschland für 230 Millionen Euro erfolgte und spätestens als im vergangenen August der Fahnenwechsel vom G+J-Logo zu den bunten RTL-Farben am Baumwall erfolgte, konnte jeder wissen, was die Stunde geschlagen hat. Die erfolgreiche Vermarktung der Autobiographie von Michelle Obama als eine neue Königin der Herzen war so eine durch Synergien entstandene Erfolgsgeschichte des Konzerns, wie sie Rabe vorschwebt.

Inzwischen muß der Stern auch Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg oder Dieter Bohlen auf die Titelseite setzen und sich der Chefredakteur an der Wahrheit vorbeiwinden, wenn er erregten Lesern versichert, daß diese Titelgeschichten nichts, aber rein gar nichts damit zu tun hätten, daß beide gerade bei RTL angeheuert haben – der Stern als eine Art Hörzu des Kölner Fernsehsenders.

Rabe macht im Prinzip alles richtig: Digitalisierung und Besinnung auf die Kernmarken mit solidem Journalismus. Und er muß liefern, Wachstum generieren, RTL pushen. So verlangt es Bertelsmann. Auch wenn dabei der Stern im RTL-Boulevardsumpf versinkt, weil ein „bißchen journalistische Frischzellenkur für einen in Uralt-Quatsch gefangenen Fernsehsender“ nicht ausreicht, wie es die Focus-Politikchefin formuliert.

Vorerst wird aber investiert, allein 30 Millionen Euro in die Digitalisierung des Flaggschiffs dessen Name nur noch in fast unlesbarer Schrift auf dem Titel steht und nach dessen Gründer nicht mal mehr ein Journalistenpreis benannt werden darf, außerdem in Geo, Capital, Brigitte, Gala, Schöner Wohnen: „Wir haben uns entschieden“, so Rabe, „uns auf die Kernmarken zu konzentrieren und sie mit Investitionen von etwa 80 Millionen Euro bis 2025 weiterzuentwickeln.“ Den Mitarbeitern reicht das nicht, sie protestieren gegen den Ausverkauf. Die Geo-Chefredakteure Markus Wolff und Jens Schröder sind zurückgetreten und kommen laut Zeit damit dem Personalabbau zuvor.