© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

GegenAufklärung
Karlheinz Weissmann

Unappetitlich: Nach einem Bericht der französischen Tageszeitung Le Figaro hat New York als sechster Bundesstaat der USA die Kompostierung menschlicher Körper erlaubt. Der Leichnam werde in einen halboffenen Behälter gelegt, von Holzspänen, Luzernen oder Stroh umgeben, was die Arbeit der Mikroben begünstige, die die Verwesung vorantrieben. Den Behälter koppele man mit einem Heizungs-, Lüftungs- und Klimatisierungssystem, damit der Prozeß unter optimalen Bedingungen ablaufen könne. Er dauere zunächst sechzig Tage. Dreißig Tage später werde der Inhalt der Schachtel analysiert, außerdem zerkleinere man die verbliebenen Knochen. Nach weiteren dreißig Tagen händige man die Überreste an die Familie aus. Der so gewonnene Kompost eigne sich gleichermaßen zum Anpflanzen von Blumen, Gemüse oder Bäumen. Katrina Spade, Gründerin von Recompose, einem ökologischen Bestattungsinstitut in Seattle, lehnt die traditionelle Einäscherung ab, da dabei „fossile Brennstoffe verwendet“ würden, „während die Beerdigung viel Land verbraucht und einen CO2-Fußabdruck hat“. Solche Belastungen der Umwelt ließen sich mit Hilfe des von ihr praktizierten „grünen“ Verfahrens zur Entsorgung menschlicher Überreste vermeiden.

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Das Baerbocksche Diktum, daß der, der lebt, auch Fehler macht, bleibt eine Binse. Was stört, ist der Ton pfäffischer Selbstgerechtigkeit.

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Catharina Bruns hat in der Welt (Online-Ausgabe vom 9. Februar) das Hohelied des migrantischen Drangs zur Selbständigkeit gesungen. Dessen Wirkungen sind ebenso unbestreitbar wie vielfältig, stehen auf jeden Fall vor Augen, wenn man durch deutsche Innenstädte geht: die Thai-Massage neben dem libanesischen Supermarkt neben dem türkischen Barber neben dem Kebab-House neben der Shisha-Bar neben dem Nail- und dem Handy-Shop mit extra günstigen Angeboten für das Telefonat nach Afrika oder in den Orient.

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„Die Geschichte sagt zu den Besiegten: Schade, aber ich kann dir nicht helfen und keine Nachsicht zeigen.“ (W. H. Auden)

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Anfang Februar hat der Rat der spanischen Stadt Valencia einen Antrag zur Einführung der „zivilen Begrüßungszeremonie bei Aufnahme in die Staatsbürgerschaft“ genehmigt. Landläufig „Ziviltaufe“ genannt.

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Laut der jüngsten demoskopischen Erhebung „Noir, jaune, blues“ – „Schwarz, gelb, blues“ zur Stimmungslage der Belgier ist eine Mehrheit von 70 Prozent der Bürger überzeugt, daß die Institutionen des Landes außerstande sind, die politischen Probleme zu bewältigen. Damit verfestigt sich eine Tendenz, die seit Jahren registriert wird und ihren Niederschlag in wachsendem Mißtrauen nicht nur gegenüber der Verfassungsordnung, sondern auch gegenüber Parteien, Gewerkschaften, Medien und den tonangebenden Intellektuellen findet, denen vorgeworfen wird, notorisch das Interesse der eigenen Bevölkerung zu übergehen. Fast zwei Drittel der Befragten sprachen sich für eine autoritäre Führung aus, die die Ordnung wiederherstellen solle.

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Marxens Einsicht, daß alle historischen Ereignisse zweimal ablaufen – einmal als Tragödie, einmal als Farce – gilt auch für den Nationalbolschewismus.

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Appetitlich: Lieblingsspeisen sind ein wichtiger Identitätsmarker. Weshalb man überrascht feststellt, wie fluide doch die Ernährungsgewohnheiten der Nationen sind. Vor allem dann, wenn es um schmack- oder nahrhafte Neuerungen geht. Im Fall unserer westlichen Nachbarn ist das schon an der Adaption der italienischen als „typisch französische“ Küche feststellbar, in unserem eigenen an der Einführung der Kartoffel (im 17. Jahrhundert) oder der Currywurst (nach dem Zweiten Weltkrieg). Aber etwas überrascht registriert man doch, daß ausgerechnet die Engländer ursprünglich Kaffeetrinker waren und Tee für eine Marotte des „bloody outlander“ hielten, bis sich unter dem Eindruck der vermehrten Importe aus Indien die Tendenz Mitte des 18. Jahrhunderts umkehrte. Etwas anders verhält es sich mit dem Gin, den man auf der Insel wohl der Glorreichen Revolution von 1689 verdankt, als das Parlament Wilhelm von Oranien zum König machte. Anfangs war der niederländische Wacholderschnaps Genever aus der Heimat des neuen Herrschers ein Luxusgetränk für Gentlemen und Ladies, aber das änderte sich rasch. „Betrunken für einen Penny, sternhagelvoll für zwei!“ lautete das Verkaufsargument, und der Massenalkoholismus nahm ganz neue Formen an. Angesichts solcher historischen Beispiele scheint durchaus glaubwürdig, daß das Leibgericht heutiger Briten Chicken Tikka Masala – ein pseudoindisches Gericht mit Hühnerfleisch – ist, das Fish and Chips aus dem Feld geschlagen hat, übrigens eine Kombination, die noch im 19. Jahrhundert auf der Insel von feineren Leuten als „schmutzig“ und „typisch jüdisch“ abgelehnt wurde.

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Für die gegenwärtige Misere ist vor allem die Linke verantwortlich; schwer zu sagen, ob eher die dumme oder eher die perfide.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 3. März in der JF-Ausgabe 10/23.