© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 8/23 / 15. Februar 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ministerin im Spagat
Peter Freitag

Mit Netz und doppeltem Boden – so in etwa läßt sich die Kandidatur Nancy Faesers als SPD-Spitzenkandidatin bei der hessischen Landtagswahl im kommenden Herbst zusammenfassen. Klappt’s nicht mit dem Einzug in die Wiesbadener Staatskanzlei, bleibt’s beim Chefsessel im Bundesinnenministerium. Das hat sich die 52jährige bei Kanzler Olaf Scholz ausbedungen.

Vermeiden will Faeser ein Schicksal à la Norbert Röttgen. Der war 2012 Bundesumweltminister und CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen. Weil er sich nicht festlegen wollte, ob er im Falle einer Niederlage Oppositionsführer in Düsseldorf werden oder Minister in Berlin bleiben wolle, wurde er weder das eine, noch blieb er das andere. Erfolgreicher erfolglos war Norbert Blüm, der als Bundesarbeitsminster 1990 für die CDU in Nordrhein-Westfalen mit wenig Chancen und einem lauen Wahlkampf Ministerpräsident werden wollte. Er blieb dann noch acht Jahre in seinem Bonner Amt. 

Faeser muß sich nun vorhalten lassen, sie nutze ihre Berliner Prominenz, um in der hessischen Heimat zu punkten. 40 Prozent ihrer Dienstreisen absolvierte sie jüngst dorthin, wie eine Recherche des Medienformats „Achtung, Reichelt!“ ergab. Alles rechtens, erwiderte das Ministerium, parteipolitische Anlässe habe es dafür nicht gegeben. Die Opposition im Bundestag fordert, die Innenministerin solle schon den Anschein vermeiden, sie betreibe Wahlkampf auf Steuerzahlerkosten. Daß Faeser sich zumindest mittelbar einen Vorteil verschafft, wenn sie aus dem Berliner Amt heraus als SPD-Spitzenkandidatin in Hessen antritt, zeigt ihr Umgang mit den Sozialen Medien. So fügte sie kurz nach Verkündung ihrer Kandidatur auf ihrem Twitter-Account an die Amtsbezeichnung „Bundesministerin des Innern und für Heimat“ den Zusatz „Landesvorsitzende SPD Hessen“ an, der dort vorher nicht stand. Auch die Verlinkung änderte sie – von der offiziellen Seite ihres Ministeriums auf ihre private Seite „nancy-faeser.de“.

Das monierten sogleich nicht nur die Mitbewerber. Sie sind überzeugt, daß wesentlich mehr Leute Faeser als Bundesinnenministerin folgen als der Parteipolitikerin und Wahlkämpferin Faeser. So habe sie in ihrer Zeit als Kabinettsmitglied rund 130.000 „Follower“ hinzugewonnen, also mehr Reichweite erhalten, die sie jetzt für ihren Wahlkampf nutzen könne. Der Medienrechtler Christian Conrad warf der Ministerin vor, sie habe mit der Umwandlung ihres zunächst auch amtlich betreuten Kanals zu einem parteipolitischen Wahlkampfaccount „nicht nur rechtswidrig, sondern wegen des damit verbundenen Eingriffs in den demokratischen Willensbildungsprozess auch demokratiefeindlich und verfassungswidrig“ gehandelt.

Als weniger anstößig wurde übrigens der umgekehrte Weg wahrgenommen, wenn also – abgewählte – Ministerpräsidenten ins Bundeskabinett wechselten. Faesers hessischer Landsmann und Genosse Hans Eichel etwa zog 1999 nach seiner Niederlage von Wiesbaden nach Berlin, um Bundesfinanzminister bei Gerhard Schröder zu werden.