© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/23 / 27. Januar 2023

Klicks statt Koranverteilung
Islam 2.0: Radikale Salafistenprediger bekommen auf Social Media neuen Aufschwung
Eric Steinberg

Anders als noch zu seinen Kindertagen muß der Islam heutzutage längst nicht mehr nur mit dem Schwert verbreitet werden. Mittlerweile reichen radikalen Salafistenpredigern schon TikTok und YouTube, um fundamentalistische Glaubensansätze in der jungen muslimischen Community unter die Leute zu bringen. Die Methoden sind neu, die Inhalte bleiben mittelalterlich. Und haben dennoch Erfolg. 

Über eine Milliarde monatliche Nutzer kann TikTok vorweisen. In Deutschland sind es knapp 20 Millionen. Ein Großteil von ihnen ist jung: 60 Prozent der Nutzer sind im Alter zwischen 16 und 24 Jahren. Das Potential, die Heranwachsenden auf dem Medium unkompliziert von den streng wahhabitischen Glaubenslehren zu überzeugen, hat auch die führenden Köpfe der Salafistenszene auf den Plan gerufen. Neben den häufig in Erscheinung tretenden Abul Baraa, Ibrahim Al-Azzazi oder Marcel Krass hat sogar Salafisten-Urgestein Pierre Vogel den Sprung in die digitale Welt geschafft.

Auf harmlose Fragespielchen folgen drastische Aussagen

Und die Zahlen geben ihnen recht. Der TikTok-Account „Islamcontent5778“, auf dem Al-Azzazi und Baraa ihre Thesen verbreiten, hat knapp 250.000 Abonnenten. Auch die Zuschauerzahlen können sich sehen lassen. Während einige Videos nur knapp über 30.000 Klicks haben, kommt das erfolgreichste auf 1,7 Millionen Aufrufe. Auch andere Seiten wie „LoveAllah.de“ oder „Islam_in_Alemania“ haben Zehntausende Abonnenten. Wer sucht, wird daher schnell fündig. 

Die Clips der radikalen Prediger verteilen sich über ein breites Netz aus muslimischen Accounts, die die Kurzvideos munter weiterverbreiten. Der Algorithmus erledigt im Anschluß den Rest: Durch den Erfolg einiger Videos landen diese so auch im Newsfeed von Kanälen, die mit Salafismus bis dahin nicht in Berührung gekommen sind.

Dahinter steckt ein Konzept. Die Rekrutierung des Nachwuchses erfolgt durch millionenfach geklickte unproblematische Videos. Das Publikum stellt Fragen zur vermeintlich richtigen Auslegung des islamischen Glaubens, die Prediger geben in den Clips Antwort. Unter die Inhalte mischen sich deshalb auch vermeintlich seltsame Titel wie „Darf man Coca-Cola trinken?“ oder „Darf man Naruto schauen?“. Die schrägsten Videos erhalten jedoch die meisten Klicks und verhelfen den Profilen so zu großer Reichweite. Ist das Publikum erst einmal an den Kanal gebunden, kann es auch mit weitgreifenden Glaubenslehren vertraut gemacht werden. Denn: Es geht um ganzheitliche Ausrichtung, um Richtig und Falsch. Die Antworten sind simpel, aber dogmatisch. Wer sie nicht befolgt, kann kein guter Muslim sein. 

Neben trivialen Ratschlägen finden sich daher nicht überraschend problematische Inhalte auf den Accounts. Der Salafist Furkan bin Abdullah etwa, der auf seiner Seite „Im Auftrag des Islam“ eigentlich gegen „Haßprediger, Terror und Volksverhetzung“ eintreten möchte, versteckt sich hinter harmlos wirkendem Koranunterricht. Er vertritt nebenbei aber etwa die These, daß Juden und Freimaurer schuld seien, daß es kein Kalifat und keinen Kalifen mehr gibt. 

Eine Opferrolle, in die sich die Prediger nicht selten begeben. Alles Schlechte vereint sich für sie im Westen, dem Zionismus und Amerika. Auch Al-Azzazi wird abseits seiner Seite radikaler. Auf dem YouTube-Account des Vereins „Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V.“ äußert er sich zu den Rechten der Frau: „Die Frau hat natürlich einige Rechte im Islam, die sie in der vorislamischen Zeit nicht hatte. Aber wenn man sagt, Frauenrechte sind zum Beispiel, daß sie sich mit dem Mann gleichstellt oder den Kopf nicht bedeckt, dann sagen wir: Nein, solche Rechte hat sie nicht.“ In einem anderen Video auf dem Kanal „Weg der Sahaba“ führt er weiter aus: „Genau so sagen wir, daß es zu ihren Rechten gehört, daß wenn er sie schlägt, nicht ins Gesicht schlägt und nicht beschimpft.“ 

Das Phänomen problematischer islamischer Videos ist allerdings nicht rein deutsch. Die englischsprachige Seite „islammotivate“ etwa gibt ihrem Publikum Ratschläge, wen eine gute Muslima heiraten sollte. Die Antwort ist simpel: Natürlich keinen Nicht-Muslim. Statt dessen kommt nur ein gläubiger Anhänger des Islam in Frage.

Abseits des Mediums TikTok, auf dem die Prediger die größte Fanschar hinter sich versammeln können, dienen auch YouTube und Instagram als Verbreitungsplattformen. Abul Baraa bringt es mit seinem YouTube-Konto auf immerhin 77.000 Abonnenten, auch wenn die Klickzahlen sich häufig im niedrigen Tausenderbereich bewegen. Marcel Krass, der in Anzug und Hemd auf dem Account „Föderale Islamische Union“ für den Islam wirbt, hat mit Videos, die zehntausenfach geklickt werden, nur unweit mehr Erfolg. 

Die unterschiedlichen Herangehensweisen werden anhand der beiden Kanäle trotzdem deutlich: Während sich Krass mit Hilfe seiner Kleidung einen seriösen Anstrich geben möchte, tritt Abul Baraa immer noch in traditionellen Kleidern vor die Kamera. Immerhin: Wenigstens mit einer Handvoll bunter Thumbnails konnte letzterer seine Kanalansicht aufhübschen. Die Fassade fällt bei You­Tube allerdings ebenso wie bei TikTok erst auf den zweiten Blick. Der Kanal der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft e.V., die vom Verfassungsschutz ins Auge genommen wird, dient hier als Sammelbecken für radikalere Ansichten. 

Neben den bereits genannten Gottesaktivisten sind auf dem Account noch weitere Prediger zu finden. Die inhaltliche Linie wird allerdings fortgesetzt, etwa wenn Abu Rumaisa über die Gleichberechtigung im Islam spricht: „Der Mann hat das Anrecht darauf, daß seine Frau ihm gehorcht. Die Frau andersherum aber nicht.“

Im Internet können Unterstützer anonym bleiben

Auch bei Instagram versuchen es die Salafisten. Der Content dort unterscheidet sich nicht von den übrigen Plattformen. Auch hier sind es kurze, 30sekündige Videos, die zum fundamentalistischen Glauben locken sollen. Lediglich Pierre Vogel und Marcel Krass setzen bei der Anwendung des Meta-Konzerns häufiger auf Bildinhalte. Es scheint sich zu lohnen, Vogel versammelt mit 12.900 Abonnenten die meisten Fans. 

Der Rückzug in digitale Gefilde mag auch mit den Veränderungen innerhalb der Szene zu begründen sein. „Der Salafismus hat insbesondere seit der militärischen Zerschlagung des IS sowie dem Rückgang klassischer salafistischer Missionierungsaktivitäten wie Islamseminare oder Koranverteilungen an Attraktivität verloren“, heißt es im Verfassungsschutzbericht aus dem vergangenen Jahr. Der Salafismus sei mittlerweile weniger sichtbar und überregionale Strukturen hätten sich zurückentwickelt. Der Straßenkampf für Allah, wie ihn etwa der Prediger Ibrahim Abou-Nagie im Rahmen der Lies!-Koranverteilungskampagne führte, gehört langsam, aber sicher der Vergangenheit an. 

Das Internet macht es dem Salafismus einfacher, neues Personal zu rekrutieren, und bietet dabei einen weiteren Vorteil: Anhänger bleiben im anonymen Umfeld des Internets leichter unter dem Radar und können verhindern, etwa in das Fadenkreuz des Verfassungsschutzes zu geraten. Eine gefährliche Mischung.