© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/23 / 20. Januar 2023

Sein Weg aus der staatlichen Knechtschaft
Wirtschaftsliteratur: Eine neue Biographie des Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek mit ideengeschichtlicher Bedeutung
Erich Weede

Bruce Caldwell und Hansjörg Klausinger beschreiben in ihrem Buch vor allem das Leben, aber auch die Ideen des späteren Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek und deren politische Wirksamkeit. In Anbetracht der Länge von Hayeks Leben (1899 bis 1992, zwei Weltkriege, mehrere Staats- und Systemwechsel) und der Vielzahl seiner Ideen und Werke muß ein Rezensent auswählen. Hoffentlich gelingt es hier, die Schwerpunkte so zu setzen, daß auch Hayek das akzeptieren könnte, nämlich das Werk in den Vordergrund zu stellen.

In seiner Habilitationsschrift und anderen in zeitlicher Nähe seines Wechsels von Wien nach England, zur London School of Economics, verfaßten Schriften entwickelt Hayek eine Konjunkturtheorie. Wenn das freiwillige Sparen der Investitionsbereitschaft entspricht, dann gilt der natürliche Zins. Wenn durch monetäre Expansion der Zins unter das natürliche Niveau gesenkt und zu viel Kredit vergeben wird, dann wird die Struktur von Volkswirtschaften verzerrt, dann kommt es zu vielen Investitionen, die angefangen, aber nicht beendet werden. Es folgt eine Krise mit Deflation und Arbeitslosigkeit. Falls diese Diagnose Hayeks zutrifft, dann sollten die Ersparnisse vermehrt und auch die Investitionen in den Wirtschaftszweigen erhöht werden, die relativ zur Nachfragestruktur in der Krise vorher bei gleichzeitigen Überinvestitionen anderswo vernachlässigt wurden. Offensichtlich ermutigt diese Theorie viel weniger als die kurze Zeit später entwickelte keynesianische Theorie Staatseingriffe, Nachfragesteuerung und schon gar nicht defizitäre Staatshaushalte. 

Der vielleicht wichtigste Beitrag Hayeks betrifft das menschliche Wissen und seine Nutzung. Das hat Hayek in einem Aufsatz im American Economic Review 1945 dargestellt. Es unterscheidet explizites und implizites Wissen. Ersteres kann in Texten oder Formeln festgehalten werden. Implizites Wissen ist in Arbeitspraktiken oder auch Traditionen inhärent. Es gibt universell gültiges Wissen, aber auch an konkrete Zeiten und Orte gebundenes Wissen. Aus der Vielfalt des Wissens und der Menge des Wissens folgt für Hayek, daß jeder nur einen Bruchteil des Wissens überschaut, daß die Wissensnutzung dezentrale Entscheidungen und wirtschaftliche Freiheit erfordert, daß eine rationale Ressourcenallokation Wettbewerb und nicht nur dessen Simulation erfordert, daß sozialistische Planwirtschaft nicht funktionieren kann.

Die Kommunisten haben ihre Zentralverwaltungswirtschaft zwar konsequenter als andere aufgebaut, aber planwirtschaftliche Neigungen sind weit verbreitet. Hayek hat daher sein Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ den „Sozialisten aller Parteien“ gewidmet. In dem 1944 zuerst in England erschienenen Werk macht er allerdings den Anhängern des sozialen Ausgleichs weitreichende Zugeständnisse. Hayek akzeptiert nicht nur staatliche Fürsorgeleistungen, sondern auch, daß diese sich mit steigendem gesellschaftlichem Wohlstand von Grundbedürfnissen lösen dürfen; weshalb ihm von Libertären Sozialdemokratismus vorgeworfen wird.

Man kann das als Problem der schiefen Ebene oder der ständigen Ausweitung der Staatsaufgaben und -ausgaben bezeichnen. In späteren Werken hat Hayek immer wieder damit gerungen. Im dreibändigen Werk „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“ (1973–79) skizziert er eine Verfassung, die die Staatstätigkeit begrenzen soll. Das ist zwar in akademischen Schriften, aber nicht in der Politik aufgegriffen worden. Dasselbe läßt sich von seinem Plädoyer für die Entstaatlichung des Geldes und Währungswettbewerb sagen.

Die neue Biographie ist gut geschrieben, informativ und lesenswert. Das Buch behandelt das Privatleben Hayeks sehr ausführlich, etwa seine Scheidung und deren Auswirkung auf Freundschaften. Es enthält aber viele ideengeschichtliche Perlen, etwa kompetente Zusammenfassungen von Theorien seiner Vorläufer, wie Carl Menger, Eugen Böhm Ritter von Bawerk oder Ludwig von Mises. Trotz der Buchlänge vermißt der Rezensent eine Beurteilung von Hayeks Ideen und Theorien in Anbetracht wirtschaftlicher Ereignisse. Hat sich etwa seine Konjunkturtheorie in der großen Rezession bewährt? Oder hat das Schicksal des Kommunismus seine Wissenstheorie bestätigt? Weil die Biographie 1950 endet, Hayek aber viel länger gelebt, geforscht und publiziert hat, wollen die Autoren – künftig von dem Zwickauer VWL-Professor Stefan Kolev unterstützt – noch einen zweiten Band schreiben.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln, Bologna und Bonn. 1998 gehörte er zu den Gründern der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft.

Bruce Caldwell, Hansjörg Klausinger: Hayek – A Life. 1899–1950. University of Chicago Press, Chicago 2022, gebunden, 840 Seiten, 43,65 Euro