© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Griff nach dem Unesco-Stern
Gründungsort der Brüdergemeine: Herrnhut möchte Weltkulturerbe werden
Paul Leonhard

Weihnachtssterne hängen in der Adventszeit, aber auch danach in vielen europäischen Städten und insbesondere evangelischen Kirchen. Haben sie 25 Zacken, dann handelt es sich um Herrnhuter Sterne, entstanden in der Manufaktur der gleichnamigen Brüdergemeine in der Oberlausitz. Die Nachfahren der Evangelischen Brüderunität Mähren, deren Missionare weltweit aktiv sind, achten streng darauf, daß nur Originale gezeigt werden, Fälschungen werden mit aller Härte des Gesetzes geahndet, was vor Jahren einige Discounter zu spüren bekommen haben.

Derzeit greifen aber die Herrnhuter noch nach ganz anderen Sternen: Nachdem sie vor zwei Jahren durch die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa den Ehrentitel „Reformationsstadt Europas“ erhalten haben, wollen sie jetzt Stätte des Unesco-Weltkulturerbes werden. Mut macht ihnen dabei die Herrnhuter Siedlung im dänischen Christiansfeld. Diese erhielt den Titel 2015 – nach 15jährigem Kampf. Christiansfeld, das inzwischen in der Stadt Kolding aufgegangen ist, wurde 1773 als Kolonie der Brüdergemeine gegründet und ist laut Unesco „eines der am besten erhaltenen Beispiele für die Handwerks­tradition, Stadtplanung und Architektur der Herrnhuter Brüdergemeine“.

Entsprechend den Idealen dieser evangelisch-lutherischen Glaubensgemeinschaft wurde die Siedlung in Südjütland um einen zentralen Kirchplatz errichtet. Die auffällig schlichte, schmucklose Kirche veranschaulicht die Idee der Gleichheit und Harmonie sowie den einfachen Lebensstil der Gemeinschaft. Bis heute sind die Gebäude­ensembles mit großen Gemeinschaftshäusern für Witwen und unverheiratete Mitglieder der Brüdergemeine intakt. So viel Glück hatte Herrnhut nicht. Der Gründungsort der Brüdergemeine wurde einen Tag nach Kriegsende von sowjetischen Soldaten niedergebrannt.

Diese Wunden bestimmten jahrzehntelang den Anblick der kleinen Stadt, erst in den letzten Jahren wurde vieles unternommen, um dem Ortskern sein historisches Aussehen zurückzugeben. Trotzdem dürfte es schwer werden, mit Wiederaufgebautem Weltkulturerbe zu werden. Deswegen ist es gut, daß die Welterbe-Idee an die Herrnhuter von außen herangetragen wurde.

Das sächsische Innenministerium hatte angefragt, ob sie sich vorstellen könnten, gemeinsam mit der 1741 gegründeten Stadt Bethlehem in Pennsylvania (USA) einen Bewerbungsprozeß zu durchlaufen. Es bestünde der Wunsch, nach Christiansfeld weitere historische Orte aus dem Netzwerk der Brüdergemeine auf den Weg zu bringen, und Herrnhut ist nun einmal der Ursprungsort der Brüder-Unität, die „Idealstadt“, in der vorgelebt wurde, daß alle Menschen vor Gott gleich sind. Herrnhut könnte durch Bethlehem mit auf die Unesco-Bewerbungsliste der USA kommen. Ziel ist es, daß eine internationale Reihe von Welterbestätten entsteht, die alle den gleichen historischen Hintergrund haben.

In Tansania ist die größte Herrnhut-Gemeinde

Der Plan von Bürgermeister Willem Riecke sieht vor, daß der Stadtrat im ersten Quartal des neuen Jahres einen entsprechenden Beschluß faßt. Anschließend würde der mindestens zweieinhalb Jahre dauernde Bewerbungsprozeß beginnen. Eine Zeit, die aussreicht, um den Kirchensaal zu sanieren. Denn ohnehin steht in vier Jahren der 300. Jahrestag der Herrnhuter Brüdergemeine – als Gründungsdatum gilt der 17. Juni 1722, als die Böhmischen Brüder auf dem Besitz des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf eine Siedlung gründeten.

Dann wollen auch die Historiker Lars-Arne Dannenberg und Matthias Donath ihr Projekt „Die Herrnhuter. Von Sachsen nach Europa“ vorstellen, mit dem sie die Ausbreitung der Freikirche in Europa erforschen wollen. Allerdings hat sich die Missionsarbeit der Herrnhuter längst nicht auf den Kontinent beschränkt, wo sie 34 Siedlungen in sieben Ländern gründeten. Weltweit gehören ihnen etwa 1,2 Millionen Menschen an, die meisten davon in Afrika. Die größte Gemeinde befindet sich in Tansania.

Der Herrnhuter Stern wurde übrigens in der Unitäts-Knabenanstalt in der ostsächsischen Kolonie Niesky anläßlich des fünfzigsten Jahrestag der Einrichtung erfunden. Vom 4. bis 6. Januar 1821 schwebte dort ein beleuchteter Stern mit 110 Zacken im Hof. Die geschäftstüchtigen Brüder erkannten schnell den hohen Symbolcharakter des Sterns von Bethlehem. Der manufakturmäßigen Fertigung folgte die industrielle, und für diese erwies sich eine Version mit 25 Zacken als besonders geeignet. Jährlich liefert die Herrnhuter Sterne GmbH rund 600.000 Sterne in unterschiedlichen Größen in alle Welt. Auch nach Bethlehem in Pennsylvania, wo er als „Moravian Star“ zur traditionellen Weihnachtsdekoration gehört.