© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Ein kleines Ländchen an der Oder
Festival der deutschen Kultur 2018 in Hultschin: Deutschunterricht ab der Grundschule gefordert
Rose-Marie Zippe

Etwa 40.000 deutsche Staatsangehörige leben im oberschlesischen Hultschiner Ländchen im heutigen Tschechien nahe der drittgrößten Stadt Tschechiens Mährisch-Ostrau, die an der Oder liegt. Von den deutschen Staatsangehörigen stimmen meist ein Viertel regelmäßig bei Wahlen in Deutschland mit ab. In Haatsch bei Hultschin fand am 30. November das Festival „Heimat Oberschlesien“ der deutschen Kultur statt. Wie kam es dazu, daß noch heute so viele Deutsche im Hultschiner Ländchen leben? Mehrere tschechische Universitätsdozenten trugen – mit deutscher Simultanübersetzung – bei dieser Konferenz dazu vor. 

Von 1306 bis 1742 gehörte die Gegend unter böhmischer Krone zur habsburgischen Monarchie. Dann verlor Kaiserin Maria Theresia das Hultschiner Ländchen an Friedrich den Großen und es blieb für 180 Jahre preußisch. 1920 wurde dieser Teil Schlesiens unter Umgehung des Selbstbestimmungsrechtes der oft ihre mährische Mundart sprechenden Hultschiner Bestandteil der neugegründeten Tschechoslowakei. Ein provisorisches Plebiszit ging zu 90 Prozent für das Deutsche Reich aus. 

Keine rigorose Vertreibung nach 1945 in Hultschin

Nach 1921 mußten sich die Hultschiner entscheiden, entweder tschechisch zu werden oder ihre Heimat zu verlassen. Viele Deutsche zogen fort, da Prag verschiedene diskrimierende Maßnahmen einleitete, besonders bei der Gewerbefreiheit und Arbeitsmöglichkeiten „im Ausland“, womit der Grenzverkehr zu Oberschlesien behindert wurde. Das galt auch für historische Bindungen zu benachbarten Gemeinden, die durch eine willkürliche Grenzziehung – angeblich hatte diese ein französischer General 1919 mit dem Lineal festgelegt – gekappt wurden. Auch das deutsche Schulwesen wurde in der Zwischenkriegszeit fast vollständig behindert. Für deutsche Privatschulen habe den meisten das Geld gefehlt, resümierte Pavel Kotlár, der ehemalige Bürgermeister von Haatsch (tschechisch Hat). 

Nach der Münchner Konferenz im Herbst 1938 wurde das Hultschiner Ländchen dem Deutschen Reich angegliedert, kam aber aufgrund des Sudetengaugesetzes von 1939 zum schlesischen Landkreis Ratibor. Anders als im Sudetenland wurden die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Hultschiner Ländchen nicht rigoros vertrieben. Nur die relativ kleine Anzahl von meist ursprünglich aus dem Deutschen Reich oder Sudetenland stammenden Bewohnern, aber auch monolinguale Hultschiner mußten ihre Heimat verlassen. 

Die verbleibenden Hultschiner konnten erst zehn Jahre nach dem Krieg ihre zuvor enteigneten Grundstücke zurückkaufen und auch die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit beantragen. Später wurden aber sogar diese Käufe aufgrund der Beneš-Dekrete für ungültig erklärt. Bis heute seien die Grundstücke nicht offiziell den eigentlichen Eigentümern zurückgegeben worden, sie gehörten immer noch dem Staat, beklagte ein Referent der „Gemeinschaft schlesisch-deutscher Freunde im Hultschiner Ländchen e.V.“

Deren Vorsitzende Marie Roncka erklärte, daß angesichts der hohen Zahl von etwa 40.000 Schlesiern mit deutscher Staatsangehörigkeit im Hultschiner Ländchen dringend ab der dritten Grundschulklasse Deutschunterricht erteilt werden müßte. Das Angebot an einer weiterführenden Schule benachteilige die deutsche Sprache, da viele Schüler neben Englisch keine weitere Sprache mehr zusätzlich wählen würden. Ihr Verein bemüht sich darum, den Kindern im Hultschiner Ländchen die deutsche Sprache und Kultur zu vermitteln, auf dem Festival Ende November wurden in Trachten deutsche Lieder vorgetragen und getanzt.

Auch für die Vertreter der benachbarten Deutschen im polnischen Oberschlesien ist der Schulunterricht eine zentrale Frage. Manche fühlen sich von der Bundesrepublik im Stich gelassen, wenn sie in diesem Sektor auf staatliche Diskriminierung seitens der Warschauer PiS-Regierung stoßen. Deutschland gäbe viel Geld für die Einwanderer aus Vorderasien und Afrika aus, kümmere sich aber zuwenig um die Deutschen an der oberen Oder, so deren häufig zu hörender Eindruck. In Polen gäbe es zwar seit 28 Jahren Deutschunterricht in Oberschlesien, aber viele Kinder könnten nicht richtig Deutsch, was auch an der Qualität des Deutschunterrichts liege. Außerdem bedauern viele Oberschlesier, daß polnische Pfarrer nicht die deutsche Messe lesen würden.