© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Unstillbar neugierig auf Ideen
Publizistik: Der französische Philosoph Alain de Benoist feiert seinen 75. Geburtstag
Karlheinz Weißmann

Alain de Benoist ist der einflußreichste Rechtsintellektuelle unserer Zeit. Anders als die prominenten Sprecher des angelsächsischen oder des deutschen Konservatismus, gar nicht zu reden von den Vertretern der Altright oder vergleichbarer Tendenzen, hat der Herausgeber der Zeitschriften Nouvelle École und Krisis tatsächlich über sein eigenes Land und seinen eigenen Sprachraum hinausgehend Wirkung entfaltet.

Geboren wurde Benoist am 11. Dezember 1943 in Saint-Symphorien, einem kleinen Ort vor den Toren der Stadt Tours. Das war in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, ein gutes halbes Jahr später würden die Alliierten an der Küste der Normandie landen und Frankreich würde es mit einer Vierten Republik versuchen. Sehr erfolgreich war der Anlauf nicht, bestimmte aber die ersten politischen Eindrücke des jungen Benoist. Daß die ihn auf die Seite der Rechten führten, hatte wenig mit der familiären Herkunft zu tun. „Mir ging es so, daß ich mich meiner Epoche zutiefst entfremdet fühlte“, sagt er in seiner Autobiographie „Mein Leben“ rückblickend auf seine Kindheit (JF-Edition, 2014).

Entscheidend war deshalb von Anfang an die geistige Auseinandersetzung mit den großen weltanschaulichen, religiösen, philosophischen Fragen. Und die Ergebnisse, zu denen Benoist aufgrund intensiver Lektüre kam – Bücher interessierten ihn „tausendmal mehr als Spielsachen“ –, zeigten rasch, daß er sich keiner klassischen Denkfamilie der Rechten einordnen würde: nicht dem Monarchismus, Bonapartismus oder katholischen Traditionalismus, aber auch nicht dem Faschismus oder den Nostalgien der Vichy-Anhänger.

Die Strömung, der sich Benoist anschloß, hat er selbst als „revolutionäre Rechte“ bezeichnet, eine eher marginale, aber ambitionierte Richtung, die sich in ihrer Gegnerschaft zum „System“ mit der radikalen Linken berührte, nur eben nicht auf den Internationalismus, sondern auf den Nationalismus setzte.

Er konzentriert sich auf die Metapolitik

Die Entstehung dieser „revolutionären Rechten“ ist nur im Kontext der Zuspitzung der politischen Lage am Ende der fünfziger Jahre zu verstehen. Die Vierte Republik versank damals in Agonie. Mancher glaubte, sie stehe am Rande des Bürgerkriegs. In jedem Fall führte die Auseinandersetzung um Verteidigung oder Aufgabe von Französisch-Algerien zu massiven Konflikten, die für die revolutionäre Rechte ein besonders günstiger Nährboden zu sein schienen. Aber zuletzt konnte sie sich weder gegen den Machtanspruch De Gaulles und die Stabilität der Fünften Republik noch gegen die revolutionäre Linke behaupten. Das trieb die einen in die Resignation, die anderen in den Untergrund und dritte in einen hektischen Aktivismus.

Benoist hat alle diese Sackgassen vermieden und eine grundsätzliche Entscheidung getroffen: Konzentration auf das, was er „Metapolitik“ nannte. Der Begriff bedeutet soviel wie „über die Politik hinaus“, Politik verstanden als Tagespolitik. Dahinter stand die Überzeugung, daß der Aufstieg der Linken im wesentlichen ihrer geistigen Vorarbeit zu verdanken war und daß man dem nur wirksam entgegentreten könne, wenn man von der Gegenseite geistige Vorarbeit für ein neues Weltbild leistete.

Daß dieses Konzept mit dem Begriff „Neue Rechte“ verknüpft wurde, hat Benoist eher hingenommen als befördert, jedenfalls immer betont, daß die „Neue Rechte“ nicht einfach als Reaktion auf die „Neue Linke“ zu verstehen sei, daß es sich vielmehr um einen selbständigen Ansatz handelte, der nicht nur die Fehlentwicklungen seit 1968, sondern eigentlich die Fehlentwicklungen seit 1789 korrigieren wollte. Das Programm war entsprechend ambitioniert und die Entschlossenheit zu einer umfassenden Feindbestimmung groß: gegen den Liberalismus, Egalitarismus, Individualismus, Nationalismus und das Christentum, für den geschlossenen Handelsstaat, die Herrschaft eines „neuen Adels“, die Wiederverwurzelung in der Region, Großeuropa und eine heidnische Renaissance.

Souverän im Umgang mit Andersdenkenden

Als ich Benoist bei einem Besuch auf das Kruzifix ansprach, das über einer Tür in seinem Landhaus hing, und etwas spöttisch fragte, ob er seine Feindschaft gegen die Kirche und ihre Lehre aufgegeben habe, antwortete er: „Das nicht, aber ich bin auch kein Sektierer.“ Wahrscheinlich ist das einer seiner hervorstechendsten Charakterzüge: ein hohes Maß an Gelassenheit, Verzicht auf jedes Ressentiment gegen die, die die öffentliche Anerkennung erfahren haben, Souveränität im Umgang mit Andersdenkenden und eine unstillbare Neugier, die ihn zur Beschäftigung mit immer neuen Ideen und der Wiederaufnahme der Beschäftigung mit alten Ideen bringt.

Dieser Konzentration verdankt die mit mehr als 200.000 Bänden größte private Büchersammlung Frankreichs ihre Entstehung, und darauf geht letztlich auch die unerschöpfliche Produktivität Benoists zurück. Als er die letzte Bibliographie des eigenen Werks zusammengestellt hat, umfaßte sie 467 Druckseiten, auf denen neben der Sekundärliteratur 78 seiner Buchtitel (französische Originalausgaben und Übersetzungen zum Beispiel ins Deutsche, Italienische, Spanische, Englische, Russische usw.) sowie 1.826 Artikel für Zeitungen und Zeitschriften standen. Das war im Jahr 2010. Seither dürfte die Menge der Publikationen aus seiner Feder nicht unbeträchtlich angewachsen sein, und es ist kaum damit zu rechnen, daß der Strom versiegt. Solange es seine Kräfte zulassen, wird Benoist weiter lesen, denken, schreiben.

Angesprochen auf die Wirksamkeit dieser intellektuellen Arbeit, zeigt er sich allerdings skeptisch, und das nicht aus falscher Bescheidenheit, sondern weil Benoist klar ist, daß geistige Tätigkeit zahlloser Vermittler, Vereinfacher und Verbreiter bedarf, damit alternative Ideen in das Kapillarsystem der Gesellschaft einsickern. Immerhin dürfte er sich im Hinblick auf die von ihm stets behauptete Relevanz dreier großer Themen bestätigt fühlen: die Bedeutung kollektiver Identität, die Dysfunktion einer auf schonungslose Ausbeutung der Natur setzenden Industrie und das Ende jener politischen Kräfte, die die Nachkriegszeit beherrscht haben. Das ist als Bilanz nicht übel.