© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Aus Fehlern lernen
Fachkräftezuwanderungsgesetz: Die Bundesregierung will Geringqualifizierte anwerben
Beatrix von Storch

Wer über das Investor Program der Provinz Québec in Kanada einwandern will, muß ein Vermögen von zwei Millionen Kanada-Dollar nachweisen und bereit sein, mindestens 1,2 Millionen Kanada-Dollar im Land zu investieren. Doch das reicht für den begehrten „Permanent Resident“-Status nicht aus: Der Einwanderer darf nicht zu alt sein und muß zudem über eine brauchbare Ausbildung und Kenntnisse in Englisch oder Französisch verfügen.

Wer ohne Kapital als Facharbeiter (Skilled Worker) nach Kanada kommen will, muß gesund sein, einen sechsmonatigen Bewerbungsprozeß durchlaufen und noch viel mehr Forderungen nach einem 100-Punkte System erfüllen: Er muß etwa eine in Kanada gesuchte Berufsausbildung nachweisen und einen kanadischen Arbeitsplatz in Aussicht haben. Die Einwanderung (inklusive Asyl und Familiennachzug) ist auf etwa 300.000 Personen jährlich gedeckelt.

So sollen qualifizierte und integrationswillige Fachkräfte gewonnen  werden, die den Wohlstand des dünnbesiedelten Landes mehren und nicht in Konkurrenz mit den einheimischen Arbeitern stehen. Die Bundesregierung will hingegen am 19. Dezember ein Fachkräftezuwanderungsgesetz beschließen, das Migranten die Einreise nach Deutschland ermöglicht, die weder über eine Berufsausbildung noch über ein Angebot für einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz verfügen.

Es soll auch nicht mehr geprüft werden, ob nicht ein arbeitsloser Deutscher oder EU-Bürger die Stelle ausüben kann. Die Vorrangprüfung soll abgeschafft werden. Damit droht das nächste Migrationsdesaster. Doch Angela Merkel hatte versprochen, die Arbeitsmigration aus Afrika zu erleichtern. Das entspricht auch der Forderung aus dem UN-Pakt für Migration, illegale Migration in legale Migration umzuwandeln (JF 47/18).

Die Massenmigration nach Deutschland wird mit dem angeblichen Fachkräftemangel gerechtfertigt. Doch in den arabischen und afrikanischen Ländern, aus denen das Gros der Zuwanderer kommt, gibt es relativ wenige hochqualifizierte Fachkräfte. Deshalb setzt die Bundesregierung auf die Erleichterung der Zuwanderung für Geringqualifizierte. Die Einwanderung in den Sozialstaat ist damit vorprogrammiert, denn die Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften geht kontinuierlich zurück. Im Jahr 2000 gingen noch 30 Prozent der Beschäftigten einer Tätigkeit nach, für die keine Berufsausbildung erforderlich war. Schon im Jahr 2006 waren es nur noch 23 Prozent. Das entsprach einem langfristigen Trend.

1977 waren Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Bildungsniveaus noch etwa gleich stark von Arbeitslosigkeit betroffen. 2015 lag die Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen bei 2,4 Prozent und von Personen ohne Berufsabschluß bei 20 Prozent. Diesen Trend wird die „Industrie 4.0“ verstärken (JF 23/18).

Die „Industrie 4.0“ baut körperliche Arbeit ab

Auch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit geht in seinem Bericht vom April davon aus, daß Serviceroboter künftig Tätigkeiten übernehmen können, die bislang als unersetzbar galten. „Kollaborative Roboter“ können unterschiedliche Tätigkeiten an verschiedenen Orten ausüben. Sie sind mit Sensoren ausgestattet, um flexibel auf ihre Umwelt reagieren zu können. 

Sie übernehmen körperliche Arbeit in den Bereichen Logistik, Transport, Kundenbegleitung, Pflege und Patientenbetreuung – also in den Bereichen, für die die Bundesregierung nun verstärkt Geringqualifizierte anwerben will. Das wird gravierende Probleme schaffen, denn mittelfristig ist das größte Problem nicht der Fachkräftemangel, sondern der zu erwartende massive Abbau von Arbeitsplätzen. 2013 veröffentlichte die Oxford University eine Studie, wonach 47 Prozent der US-Arbeitsplätze infolge der Digitalisierung wegfallen könnten.

Zwei Jahre später übertrug eine ING-DiBa-Studie dies auf Deutschland: Aufgrund des höheren Industrieanteils könnten sogar 59 Prozent der Arbeitsplätze in ihrer heutigen Form verschwinden. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kam zu ähnlichen Ergebnissen: Demnach arbeiten in Deutschland 42 Prozent der Beschäftigten in Berufen, in denen Arbeitsplätze der Automatisierung zum Opfer fallen können.

Die Auswirkungen der Digitalisierung und Automatisierung kosten allerdings nicht nur Arbeitsplätze, es entstehen auch neue Arbeitsplätze. Eine weitere IAB-Studie geht davon aus, daß sich das Gesamtniveau der Beschäftigung nicht wesentlich verändern werde, es werde jedoch zu Verschiebungen zwischen Branchen, Berufen und den Anforderungen an die Arbeitnehmer kommen. Gefragt sind Kompetenzen in den Bereichen Elektro- und Automatisierungstechnik und Informatik. Das heißt, auch die neuen Tätigkeiten erfordern eine höhere Qualifikation. Sprich: Wenn der deutsche Arbeitsmarkt etwas nicht braucht, dann ist es die Einwanderung von Geringqualifizierten.

Das geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz wird zu einem ähnlichen Desaster führen wie schon die gezielte Anwerbung geringqualifizierter Gastarbeiter aus der Türkei in den sechziger Jahren. Die Zentralbanken betrieben damals – wie auch heute – eine Politik des billigen Geldes, was dazu führte, daß die Wirtschaft heißlief. Viele Gastarbeiter fanden damals kurzfristig Arbeit am Fließband – etwa bei den großen Automobilfirmen. Doch mit der Ölkrise 1973 und der folgenden Rezession war es mit der Vollbeschäftigung vorbei.

Die Firmen rationalisierten, die Fließbandarbeitsplätze verschwanden, und angelernte Gastarbeiter gehörten zu den ersten, die ihre Arbeit auch wieder verloren. Die SPD-FDP-Regierung von Willy Brandt erließ 1973 einen Anwerbestopp und initiierte Rückkehrprogramme. Wir sollten aus der Geschichte lernen und begangene Fehler nicht wiederholen. Doch die Bundesregierung ist dazu unfähig und unwillig. Die Einwanderung von Geringqualifizierten ist keine Lösung für unseren Arbeitsmarkt, sie verschärft nur die Probleme.






Beatrix von Storch ist Bundestagsabgeordnete und Vizechefin der AfD-Fraktion.

 beatrixvonstorch.de