© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Wie in feudalistischen Zeiten
Gesetzesentwurf: AfD fordert Entpolitisierung von Justiz und Beamtenschaft
Jörg Kürschner

Überlange Strafverfahren, überlastete Gerichte, offene Haftbefehle – das Vertrauen in die Justiz bröckelt. Nach Ansicht der AfD-Bundestagsfraktion ist der Imageverlust der dritten Gewalt auch zurückzuführen auf deren Politisierung. Ihr Gesetzentwurf zur „Entpolitisierung der Justiz und Sicherheitsbehörden“ sieht vor, die Wahl der Bundesverfassungsrichter und weiterer Gerichte durch Politiker zu beenden und durch eine Wahl aus den Reihen der Justiz selbst zu ersetzen.

Die Initiative der größten Oppositionspartei stand im zeitlichen Zusammenhang mit der Wahl des Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth zum Richter am höchsten deutschen Gericht. Die 16 Richter, jeweils acht pro Senat, werden mit Zweidrittelmehrheit zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt. Traditionell haben die großen Parteien das Vorschlagsrecht. Jedoch ist die Wahl aufgrund der Verluste von Union und SPD kompliziert geworden. Der bald 47jährige Rechtsanwalt war also nicht nur auf die Stimmen des Koalitionspartners SPD angewiesen. Auch FDP und Grüne mußten den CDU-Mann mittragen. 

Und so bestätigten Parlament und Länderkammer Harbarth als Vizepräsidenten, der aller Voraussicht den derzeitigen Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle 2020 ablösen und damit protokollarisch fünfter Mann im Staat wird. Dann endet die Amtszeit des Rechtsprofessors, der 2008 von der SPD vorgeschlagen worden war. „Unsere Kanzlerin konnte sich den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts selbst aussuchen“, kommentierte der AfD-Rechtspolitiker Roman Reusch das Wahlverfahren. Darin sieht er ein „Überbleibsel aus feudalistischen Zeiten“, auch wenn er Harbarths juristische Qualifikation nicht in Frage stellt. Kandidaten für Bundesgerichte und Oberlandesgerichte „haben ausschließlich aus der Justiz zu kommen“ und sollten von einem nur mit Juristen zusammengesetzten Ausschuß gewählt werden, begründete Reusch den Gesetzentwurf während der ersten Lesung im Bundestag. „Eine eigene Richterkaste, die sich dann auch selbst ernennt“, sei demokratisch nicht legitimiert, wurde Reusch aus den Reihen der Union entgegengehalten. Der AfD gehe es um eine Diskreditierung des Rechtsstaats, meinten Redner von FDP und Linken.

Doch es waren auch Zwischentöne zu hören. Über mehr Transparenz bei der Ausschreibung der Richterstellen könne man reden, gab die Grünen-Parlamentarierin Canan Bayram zu bedenken, auch wenn der Entwurf „aus der AfD-Giftküche kommt“. Der Linken-Abgeordnete Niema Movassat kritisierte, Harbarth werde als Verfassungsrichter über Gesetze entscheiden, die er selbst mitbeschlossen habe. Solche Interessenkonflikte sollten vermieden werden.

Generalbundesanwalt wider Willen abgesetzt

Weniger polemisch wurde im Parlament der AfD-Vorstoß aufgenommen, das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber ihren Generalstaatsanwälten abzuschaffen. „Sie sollten richterliche Unabhängigkeit bekommen“, sagte Reusch, der seine rechtspolitischen Vorhaben gern mit seinen Erfahrungen als früherer Leitender Oberstaatsanwalt begründet. „Ich bin dafür“, erklärte kurz und bündig der FDP-Politiker Jürgen Martens, sächsischer Justizminister von 2009 bis 2014. An der Dienstaufsicht dürfe aber nicht gerüttelt werden, sonst könnte ein Staatsanwalt bestimmen, „was er erledigt, in welcher Geschwindigkeit, wann er zur Arbeit kommt, wann er wieder geht“. 

Dabei hat der Streit über das Weisungsrecht einen ernsten Hintergrund. Die Justiz ist nicht selbstverwaltet, gehört doch der Justizminister zur Exekutive. „Daher ist die Gewaltenteilung bei uns eingeschränkt“, stellte kürzlich auch Jens Gnisa fest, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. Die politische Unabhängigkeit der Strafverfolger war zuletzt 2015 in den Fokus geraten. Vor drei Jahren hatte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Generalstaatsanwalt Harald Range gegen dessen Willen in den Ruhestand versetzt. Er begründete den Rausschmiß mit den von Range eingeleiteten Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik. Diese hatten vertrauliche Dokumente des Verfassungsschutzes zur Internet-Überwachung veröffentlicht.

Range, der der FDP angehörte, beklagte, von Maas angewiesen worden zu sein. „Auf Ermittlungen Einfluß zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.“ Maas löste Range umgehend ab. „Das sind Einzelfälle“, tat der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg die Rechtsfrage ab, die seinerzeit für erhebliches Aufsehen gesorgt hatte.

Die AfD will außerdem den Kreis der politischen Beamten begrenzen, die jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Von den Parlamentarischen Staatssekretären und dem Regierungssprecher abgesehen, müßten die Beamten nicht ständig mit der Regierungslinie übereinstimmen, argumentierte Reusch.  „Sie sollten Beamte auf Lebenszeit sein“ mit der Möglichkeit, auch mal nein zu sagen. Er führte den Fall des kürzlich abgelösten Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen an und sorgte im Bundestag für Empörung. „Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe einen Präsidenten auf Lebenszeit ernannt, der die Bekämpfung des Rechtsextremismus auf null herunterfährt“. Eine Schreckensvision nicht nur für den SPD-Abgeordneten Uli Grötsch. Der AfD-Entwurf wird jetzt im Rechtsausschuß beraten und voraussichtlich abgelehnt.