© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

„Polizei nein, Helfer ja“
Mit Hilfe einer Arbeitsgruppe Verfassungsschutz unter Führung des Bundestagsabgeordneten Roland Hartwig will die AfD ihre Beobachtung verhindern. Kritiker fürchten einen parteiinternen Spitzeldienst
Moritz Schwarz

Herr Dr. Hartwig, kommt jetzt die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz?

Roland Hartwig: Nein, das glaube ich nicht, denn Voraussetzung dafür ist, daß die Partei verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgt. Das zu behaupten ist für unsere Bürger- und Rechtsstaatspartei völlig absurd.

Warum setzt sich dann laut „Focus“ – das Blatt beruft sich auf interne Informationen – der neue Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang für eine Beobachtung ein?

Hartwig: Das hat mich auch sehr überrascht, zumal die behördeninternen Diskussionen ja noch nicht einmal abgeschlossen sind. Ich vertraue darauf, daß dies keine Voraussetzung für seine Ernennung war – aber wir werden sehen.

Mit welchem Szenario rechnen Sie?

Hartwig: Ich fürchte, daß man derzeit prüft, zwar nicht die ganze Partei, aber doch einzelne Mitglieder, Gruppen oder auch Landesverbände unter Beobachtung zu stellen – statt die ganze Bundespartei –, was aber auch schon schlimm genug wäre! Auch das muß mit aller Kraft verhindert werden, weshalb unsere Maßnahmen für die Partei so wichtig sind.   

Sind Sie also der künftige „Großinquisitor“ der AfD, wie Ihre Kritiker befürchten?

Hartwig: Nein, diese Sorge ist völlig unbegründet, schon aus einem rein formalen Grund: Unsere Arbeitsgruppe Verfassungsschutz ist lediglich ein vom Bundesvorstand berufenes Beratungsgremium. Wir sind kein Organ der Partei und haben folglich auch keinerlei Exekutivmacht. Alles, was wir tun, ist Empfehlungen auszuarbeiten. Und diese setzt dann der Bundesvorstand um, wenn er sie für richtig hält. Natürlich muß die Arbeit der AG koordiniert werden, was als deren Leiter mir obliegt. Gleichwohl aber verstehe ich auch die Sorge, die aus der von Ihnen zitierten Kritik spricht.

Inwiefern?

Hartwig: Ich verstehe die Skepsis, ob es sich bei unserer AG nicht vielleicht doch um eine Art heimliche Ermittlungsbehörde handeln könnte, die die Partei durchleuchten soll. Nein, ganz im Gegenteil! Wir sind da, um zu helfen. Etwa wenn Funktionsträger oder Parteimitglieder tatsächlich einmal auf eine verfassungsfeindliche Äußerung oder Handlung eines einzelnen stoßen. 

„Die Polizei, dein Freund und Helfer“?  

Hartwig: Polizei nein, Helfer ja: Die Partei braucht Hilfe dabei, wie mit der angedrohten Beobachtung durch die Verfassungsschutzämter umzugehen ist. Denn das zu verhindern ist ein Ziel, über das sich fast alle in der Partei einig sind.

Sind Sie sich da so sicher? 

Hartwig: Ja. Aber Sie spielen mit Ihrer Frage wohl auf die unglückliche Äußerung Björn Höckes von einer angeblichen „politischen Bettnässerei“, bezüglich der Sorge um eine Beobachtung, an.

Oder André Poggenburgs von den „Ängstlichen und Zauderern“ einerseits – gemeint ist vermutlich unter anderem Ihre AG – und den furchtlosen „echten deutschen Patrioten“ andererseits. 

Hartwig: Höckes Aussage ist inzwischen von Alexander Gauland in aller Klarheit zurückgewiesen worden. Aber sicher gibt es auch ein paar Leute in der Partei, die ihr eigenes politisches Süppchen kochen wollen, indem sie das Mißtrauen gegen unser Bemühen kultivieren.

Die „Stuttgarter Erklärung“, die sich gegen Ihre Arbeit und „Denk- und Sprechverbote“ wendet, haben immerhin etwa eintausend Parteimitglieder unterzeichnet.  

Hartwig: Ja, von mehr als dreißigtausend. Zudem haben die Initiatoren der Erklärung diese formuliert, ohne zuvor Kontakt mit uns aufgenommen und sich erkundigt zu haben, um was es uns eigentlich geht. Ich meine, das sagt alles.  

Haben Sie denn das Gespräch mit den „Stuttgartern“ gesucht?

Hartwig: Nein.

Warum nicht? Kann man Ihnen dann nicht das gleiche vorwerfen, was Sie den „Stuttgartern“ vorwerfen?

Hartwig: Nein, weil wir uns um Aufklärung und Information bemühen, und zwar indem wir in einer breitgestreuten E-Mail unsere Aufgaben und Arbeit erklärt haben. Und zudem inzwischen eine Handreichung mit unseren Empfehlungen in der Partei verteilen – anhand derer sich jeder davon überzeugen kann, was wir tatsächlich tun und raten und was eben nicht. 

Sie verstehen Ihre AG also als eine Art Dienstleister?

Hartwig: Ganz genau. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt im politischen Diskurs auch Formen von – etwa polemischer oder pauschal formulierter – Kritik, die per se selbstverständlich legitim und keinesfalls verfassungsfeindlich sind. Die aber dennoch ein erhöhtes Risiko bergen, so mißverstanden zu werden. Das gleiche gilt für einige politische Begriffe, wie etwa Überfremdung oder Systemkritik. Wir geben nun Empfehlungen, wie am besten mit solchen Begriffen beziehungsweise Formen der kritischen Rede umzugehen ist, um damit nicht ungewollt einer Verfassungsschutzbeobachtung Vorschub zu leisten.

Lassen Sie mich raten – Sie empfehlen, darauf zu verzichten? 

Hartwig: Nein, das ist ja eben das, was uns die Kritiker zu Unrecht vorwerfen. Nehmen wir noch einmal die genannten Beispiele: Selbstverständlich soll niemand auf zulässige polemische Kritik oder Begriffe verzichten müssen. Wir empfehlen aber, solche überlegt einzusetzen. Und zwar indem man stets klarmacht, was tatsächlich damit gemeint ist und was nicht. Pauschale Kritik etwa kann erst dann von einem Verfassungsschutzamt als Anhaltspunkt für Verfassungsfeindlichkeit gewertet werden, wenn sie eine ganze Bevölkerungsgruppe herabzuwürdigen scheint. Wenn man also etwa pauschal formuliert, Migranten wandern in unser Sozialsystem ein, dann empfehlen wir, dazu immer eine belegbare Zahl zu nennen – damit klar ist, daß man sich auf das tatsächlich vorhandene Phänomen bezieht und dies nicht jedem Migranten per se unterstellt.

Klingt konstruktiv. Was aber entgegnen Sie jenen, die einwenden, daß Sie natürlich so reden – es am Ende aber doch um Maulkörbe und Gesinnungsschnüffelei geht? 

Hartwig: Daß sie uns bitte an unseren Taten messen! 

Wenn tatsächlich nur Beratung die Zielsetzung der AG ist, wie erklären sich dann Mißtrauen und Unmut, die sie in der Partei bereits hervorgerufen hat?

Hartwig: Neben den schon genannten wenigen, die versuchen, dieses Mißtrauen zu schüren, vermute ich zwei eigentliche Quellen: zum einen den typischen Abwehrreflex, den wir in der AfD schon öfter erlebt haben, wenn vom Bundesvorstand, also „von oben“, Initiativen kommen. Und der wohl auch wegen der schlechten Erfahrungen unter Bernd Lucke und Frauke Petry so ausgeprägt ist, die ja tatsächlich – anders als die AG – versucht haben, die Partei in ein Korsett zu zwängen. Zum anderen rührt das Mißtrauen etlicher Mitglieder einfach von der Unkenntnis darüber, was die AG tatsächlich macht. Deshalb ist es so wichtig, darüber aufzuklären, etwa durch die genannte Info-E-Mail oder die verschickte Handreichung.   

Diese Handreichung basiert auf einem von der Partei in Auftrag gegebenen Gutachten des Staatsrechtlers Dietrich Murswiek. Das jedoch erst recht dazu beigetragen hat, Ihre AG in der Partei und die Partei in der Öffentlichkeit in die Kritik zu bringen. 

Hartwig: Ja, doch völlig zu Unrecht, wie Professor Murswiek in einer Presseerklärung extra selbst noch einmal klargestellt hat: nämlich, daß sein Gutachten von den Medien in einer Art interpretiert und der Öffentlichkeit gegenüber dargestellt wurde, die in keiner Weise den eigentlichen Aussagen des Gutachtens entspricht. 

Im Klartext: Die Medien berichteten fast einhellig, Murswieks Gutachten selbst attestiere der AfD Verfassungsfeindlichkeit. Und Ihre innerparteilichen Kritiker empörten sich, das Gutachten empfehle, die Meinungs- und Redefreiheit in der Partei einzuschränken. Etwa, indem bestimmte Begriffe und Formen der kritischen Rede – wie die von Ihnen vorhin genannten – durch Ihre AG verboten werden sollten. 

Hartwig: Ja, aber das alles ist, wie erklärt, völlig falsch. Und eben darauf zielte ja bereits Professor Murswieks Presseerklärung. Ich muß aber einräumen, daß es zu diesen Mißverständnissen auch deshalb kam, weil das Gutachten leider vorzeitig und unkommentiert an die Öffentlichkeit gegeben worden ist. Die Folge war, daß jeder sich seinen eigenen Reim darauf machte und unterstellte, daß sein Verständnis auch das Verständnis des Bundesvorstandes wäre. Sprich, Kritiker zum Beispiel, die in dem Gutachten eine Aufforderung zu Sprechverboten sahen, unterstellten, daß der Bundesvorstand das Gutachten genau so interpretieren werde. Das aber war falsch, was jeder anhand unserer Handreichung nun sieht – von Sprechverboten keine Spur! Aber weil das Gutachten die Grundlage unserer Arbeit ist, lassen Sie es mich Ihnen noch einmal kurz vorstellen, es behandelt drei Komplexe: 1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Partei tatsächlich beobachtet werden kann? 2. Wie geht man als Funktionär mit tatsächlich verfassungsfeindlichen Äußerungen oder Handlungsweisen in der Partei um, sollte es doch einmal zu einem solchen Vorfall kommen? Wobei die Hauptbotschaft lautet: Auf keinen Fall wegschauen, weil das Ganze unangenehm ist, sondern Verantwortung zeigen und handeln! 3. Wie geht man mit Äußerungen um, die – wenn auch in der Sache zu Unrecht – vom Bundesamt oder einem der Landesverfassungsschutzämter als verfassungsfeindliche Anhaltspunkte gewertet werden können. Das betrifft eben jenen Bereich der Kritik und Begriffe, die ich vorhin als Beispiel genannt habe.       

Erfahrungsgemäß tun der politische Gegner und auch zahlreiche Medien allerdings alles, um auch jene Aussagen von AfD-Politikern, die eigentlich nicht zu beanstanden sind, möglichst als verfassungsfeindlich mißzuverstehen. Das beweisen – neben einigen tatsächlichen Skandalaussagen – zahlreiche aus dem Zusammenhang gerissene, von Politik und Medien künstlich skandalisierte AfD-Äußerungen. Angesichts dessen fragt man sich, was Ihre Empfehlungen überhaupt erbringen können – selbst wenn sich ab jetzt alle in der Partei eisern daran hielten? 

Hartwig: Irrtum, denn in puncto Beobachtung braucht es gerichtsfeste Belege. Lediglich von Medien als „verfassungsfeindlich“ stilisierte Vorfälle stellen in dieser Hinsicht also keine Gefahr dar.    

Gut, aber woher nehmen Sie angesichts des Falls Gedeon die Zuversicht, daß Ihr Konzept sich durchsetzt? Bekanntlich ist 2016 der des Antisemitismus beschuldigte Abgeordnete im Landtag von Baden-Württemberg Wolfgang Gedeon zum Problem geworden. Der zuständige Funktionär – der damalige Fraktionschef Jörg Meuthen – hatte zwar umgehend gehandelt, er scheiterte jedoch an zu geringer Unterstützung in der Fraktion. Wobei Meuthen stets beteuerte, diese fehle ihm nicht, weil zu viele Abgeordnete Gedeons Ansichten teilten, sondern weil die meisten seiner „Unterstützer“ für die Freiheit plädierten – auch, wie Gedeon, unsinnige Dinge zu verbreiten. Wenn das die Haltung nicht nur in der Stuttgarter Fraktion, sondern in der ganzen Partei ist, ist dann Ihr Ansatz nicht zum Scheitern verurteilt? 

Hartwig: Ich glaube, der Fall Gedeon zeichnete sich noch durch einen besonderen Aspekt aus – wie er auch bei den schon erwähnten Vorhaben von Lucke und Petry im Spiel war –, nämlich daß dabei bestimmte politische Lager in der Partei favorisiert werden sollten. Von einer solchen Parteinahme zugunsten der einen oder anderen innerparteilichen Strömung ist bei uns dagegen nichts zu finden. Die Scheidelinie ist also nicht links, rechts oder mittig, sondern allein: verfassungskonform oder nicht verfassungskonform. Und da wir auf diese Neutralität besonders genau achten, kann von den Fällen Gedeon, Lucke und Petry nicht auf zwangsläufig gleichartige Probleme bei uns geschlossen werden. 

Aber natürlich werden einzelne oder Gruppen in der Partei versuchen, Ihre Arbeit für taktische Spielchen zu instrumentalisieren – wie etwa alte Rechnungen zu begleichen, Rivalen aus dem Weg zu räumen oder eben Flügelkämpfe auszutragen. 

Hartwig: Ja, aber gerade weil wir uns dessen bewußt sind, werden wir solchen Versuchen konsequent entgegenwirken. 

Die wahren Problemfälle sind allerdings nicht die klar jenseits der Verfassungskonformität liegenden, sondern die uneindeutigen – zumal bei einem „gärigen Haufen“.

Hartwig: Das stimmt natürlich, und sicher werden wir nicht jeden Fall perfekt lösen können. Ich glaube aber schon, daß das gemeinsame Interesse in puncto Verfassungsschutz so groß ist, daß es mit unserem Ansatz in vielen Fällen zu konstruktiven Lösungen kommen wird.

Was droht, wenn nicht? 

Hartwig: Da stellen Sie die entscheidende Frage. Denn es kann doch nicht das Ziel der Partei sein, schlicht beim Erreichten zu verharren. Wir müssen uns vielmehr weiterentwickeln, wollen wachsen. Wir müssen weitere Wähler gewinnen, was – da sind sich die meisten in der Partei einig – in erster Linie im bürgerlichen Lager möglich ist. Wir müssen aber auch weitere Kompetenzen gewinnen, denn um irgendwann einmal auch regierungsfähig zu sein – und nur das kann das Ziel sein, weil man sonst nur wenig verändern kann –, brauchen wir qualifiziertes Personal aus zahlreichen Fachgebieten. Und solches, ebenso wie mehr bürgerliche Wähler, gewinnen wir nur dann, wenn wir nicht mit einer Verfassungsschutzbeobachtung belastet sind. Denn allein die Beobachtung würde von den Medien – wir wissen ja, wie das läuft – nicht als das, was sie wäre, nämlich Prüfung eines Verdachtsfalls, dargestellt werden, sondern als Urteil: Aus einem Prüffall würde dann in der Darstellung ein „verfassungsfeindlich“. Sie erinnern sich, daß die Partei Die Republikaner gegen ihre Beobachtung geklagt und nach neun Jahren auch recht bekommen hat. Nur war die Partei bis dahin, nicht zuletzt auch wegen der Beobachtung, bereits bedeutungslos geworden. Ich glaube zwar nicht, daß sich so etwas im Zeitalter Sozialer Medien wiederholen würde. Aber da das Risiko den meisten in der AfD klar ist, egal welcher Strömung sie angehören, ist die Einigkeit in dieser Frage auch so groß. Was uns wiederum die Möglichkeit gibt, mit dem von der AG erarbeiteten Konzept diese Situation unterm Strich erfolgreich zu meistern. Und sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen. Denn in jeder Herausforderung liegt auch eine Chance. Und genau die wollen wir nutzen! 






Dr. Roland Hartwig, der Rechtsanwalt ist Abgeordneter des Deutschen Bundestags der Alternative für Deutschland für Bergisch-Gladbach und Umgebung. Der Partei gehört der 1954 in Berlin geborene ehemalige Chefsyndikus der Bayer AG in Leverkusen seit Mai 2013 an. 

Foto: Die AfD im Visier des Verfassungsschutzes: „Unsere Partei muß wachsen, neue Wähler und qualifiziertes Personal gewinnen, was nur möglich ist, wenn wir nicht durch eine Verfassungsschutzbeobachtung belastet sind. Da sind sich die meisten in der Partei einig, egal welcher politischen Strömung sie angehören. Daher bin ich zuversichtlich, daß wir Erfolg haben werden“

 

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