© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Das koloniale Erbe übernommen
Präventivschlag gegen Spanien: Wie die USA nach 1898 die Verhältnisse im Pazifik und in der Karibik neu ordneten
Paul Leonhard

In der Bucht von Santiago de Cuba und entlang der Küste liegen die Reste untergegangener Schiffe zu Dutzenden. Darunter der einstige Stolz der spanischen Kriegsmarine. Deren erstes Geschwader unter Admiral Pascual Cervera war 1898 von der US Navy hier im Osten Kubas eingeschlossen und beim Ausbruchsversuch vernichtet worden.Der Untergang der Panzerkreuzer bedeutete das Ende der Kolonialmacht Spanien. Nicht einmal vier Monate hatten die USA benötigt, um die Machtverhältnisse im Pazifik und in der Karibik neu zu ordnen. Spanien spielte fortan keine Rolle mehr und den Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerikana war demonstriert worden, wer ab jetzt das Sagen hat. 

In dem am 10. Dezember 1898 in Paris unterzeichneten Friedensvertrag trat Spanien Kuba, Puerto Rico inklusive der Spanischen Jungferninseln, Guam und die Philippinen an die USA ab. Dafür erhielt das Königreich eine Entschädigung von 20 Millionen Dollar, was heute inflationsbereinigt rund 570 Millionen Dollar entspricht. 

Kuba galt als unverzichtbar für die US-Interessen

In den USA wertete man die Eroberung der Inselgruppe im Pazifik als „Gottesgeschenk“ und „Sprungbrett nach China“, dessen gigantische Märkte Amerika jetzt offenständen. Bis zu ihrer Eroberung durch die Japaner 1941 blieben die Philippinen amerikanisch besetzt, erst 1946 wurden sie unabhängig. Guam und Puerto Rico wurden 1898 US-Überseebesitzungen, letzteres erhielt 1941 einen assoziierten Status und könnte demnächst der 51. Bundesstaat werden.

Ein Sonderfall blieb Kuba. Der sich hier herausbildenden Nation standen die USA von Anfang an spektisch gegenüber. Einerseits hielt man die Insel für „unverzichtbar“ und wollte sie als Bundesstaat eingliedern, allerdings lehnte Spanien in den 1850er Jahren Kaufgesuche ab, andererseits schreckte der hohe Bevölkerungsanteil an Schwarzen ab. Washington erschien sowohl die spanische Herrschaft als auch eine nationale Unabhängigkeit den eigenen Interessen abträglich. Man fürchtete die Herausbildung einer Republik ohne weiße Vorherrschaft. Entsprechend dieser Doktrin wurden Waffenlieferungen für die Rebellen beschlagnahmt, gleichzeitig aber ein Anlaß gesucht, Spanien offiziell den Krieg erklären zu können.

Bereits im Dezember 1896 hatten die USA Spanien aufgefordert, die seit 1865 anhaltenden Aufstände auf Kuba endlich in den Griff zu bekommen, ein Jahr später wurde eine militärische Intervention angedroht. Ende Januar 1898 schickte US-Präsident William McKinley trotz spanischer Proteste das Schlachtschiff Maine zu einem „Freundschaftsbesuch“ nach Havanna, wo es am 25. Januar eintraf und am 15. Februar aus bis heute nicht geklärten Umständen in die Luft flog. 

Nachdem Spanien dem Ultimatum des US-Kongresses, einen sofortigen Waffenstillstand mit den Rebellen abzuschließen und seine Truppen umgehend abzuziehen, nicht nachkam, wurde McKinley ermächtigt, „alle militärischen Mittel einzusetzen“, die nötig seien, um Kubas Unabhängigkeit von Spanien zu sichern. Der Beschluß vom 20. April, sich in die inneren Angelegenheiten des spanischen Kubas mit militärischen Mitteln einzumischen, ließ Spanien die diplomatischen Beziehungen abbrechen und den USA am 23. April den Krieg erklären.

Sofort exerzierten die USA ihr langfristig vorbereitetes Kriegsszenario gegen das militärisch unvorbereitete Spanien durch. Die spanischen Besitzungen auf den Philippinen wurden angegriffen, der Hafen von Manila gesperrt, und die vor Key West versammelte US-Flotte blockierte Kuba. Nach der Kapitulation Santiago de Cubas am 17. Juli 1898 wurde am 12. August 1898 in Washington ein Vorfriedensprotokoll unterzeichnet.

Bei den Friedensverhandlungen konnte verhindert werden, daß Kuba zum US-Überseebesitz erklärt wurde, die Insel blieb aber weiterhin besetzt. Bis 1934 behielten sich die USA das Recht vor, bei einer Gefährdung seiner Interessen jederzeit militärisch eingreifen zu können. Streitpunkt ist bis heute der US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay. 

Vom Niedergang Spaniens, das fortan als koloniale Weltmacht ausschied, profitierte auch das Deutsche Reich, bekam aber gleichzeitig seine Grenzen aufgezeigt. So erwarb es von Spanien die Karolinen, die Palauinseln und die Marianen, scheiterte aber bei dem Versuch, auf den Philippinen eine  Monarchie mit einem deutschen Prinzen zu bilden. Im Sommer 1898 wäre es beinahe zu einem Gefecht zwischen einem starken Südseegeschwader unter Otto von Diederich und einem US-Kampfverband bei Manila gekommen. Fünf Jahre später, in der zweiten Venezuelakrise, drohte erneut eine Konfrontation zwischen den USA und dem mit Großbritannien und Italien kooperierenden Deutschen Reich. Als letzteres mit Kanonenbooten venezolanische Schulden eintreiben wollte, drohte Präsident Theodore Roosevelt, einst Offizier der Invasionstruppen auf Kuba, Berlin mit offener Konfrontation. Einen Plan für einen deutsch-amerikanischen Krieg hatte die US Navy bereits Jahre zuvor ausgearbeitet.

Kolonialabsichten anderer Mächte zuvorgekommen

Der Unabhängigkeitskampf Kubas war für die USA letztlich ein willkommener Anlaß, so der Harvard-Historiker John T. Bethell, um in einem „Präventivschlag“ gegen Spanien den kolonialen Bestrebungen Rußlands, Deutschlands und anderer europäischer Großmächte in Fernost zuvorzukommen. Da es fortan keine nennenswerten europäischen Bastionen auf dem amerikanischen Kontinent mehr gab, wurden die USA zum unbestrittenen Führer, was insbesondere in Lateinamerika alle Regierungen zu spüren bekamen, die nicht den Weisungen Washingtons gehorchen wollten: Dem Friedensschluß in Paris folgten US-Interventionen1903 in Panama, 1911 in Nicaragua und Honduras, 1915 auf Santo Domingo und 1914 in Mexiko.