© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Im Dauerstreß
Diffamieren, ausgrenzen, angreifen: AfD-Politiker sollen mundtot gemacht werden
Thorsten Hinz

Die AfD-Kandidatin für das Amt der Bundestagsvizepräsidentin, Mariana Harder-Kühnel, hat bei der ersten Abstimmung nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Sie bekam nur 223 von 654 abgegebenen Stimmen. Der drittstärksten Partei im Parlament wird weiterhin verweigert, was die viert-, fünft- und sechststärkste Partei – FDP, Linke, Grüne – als selbstverständliches Recht für sich in Anspruch nehmen.

Betrachtet man die Lage von ihrem Standpunkt aus, dann handelt die Zweidrittel-Blockademehrheit nur konsequent und gemäß ihrer politischen Logik. Denn ein Platz im Bundestagspräsidium würde der AfD einen Zugewinn an Prestige und Aufmerksamkeit bescheren und damit auch ihren Themen noch mehr politische Legitimität und Relevanz verschaffen. Sie käme der vielzitierten „Augenhöhe“ ein weiteres Stück näher.

Eben das wollen die etablierten Funktionseliten unbedingt verhindern. Weil sie sich in zentralen Fragen wie der Massenzuwanderung, der inneren Sicherheit, der Schuldenunion usw. gegen fundamentale Kritik argumentativ nicht behaupten können, versuchen sie sich als berufene Statthalter sakraler demokratischer und humanistischer „Werte“ –des Guten schlechthin – zu behaupten. Innerhalb dieser Selbstwahrnehmung sind politische Gegner nur als Komplementärgestalten, als Inkarnationen eines metaphysischen Bösen denkbar, die mit einem Stigma versehen und mit aller Kraft niedergehalten werden müssen. Ihnen einen gleichberechtigten Platz einzuräumen hieße, mit dem eigenen Handlungsmuster in Widerspruch zu geraten. Also werden informelle Regeln, Gepflogenheiten und sogar Gesetze disponibel gemacht.

Soziale Isolation und öffentliche Stigmatisierung

In diesem Fall erlebt Frau Harder-Kühnel die Diskriminierung als Politikerin im Politikbetrieb, das heißt in vergleichsweise milder Form. Härter traf es die AfD-Fraktionschefin im bayerischen Landtag, Katrin Ebner-Steiner, die aus einer Gaststätte im Münchner Haus der Kunst, die sie mit einer Freundin aufgesucht hatte, „hinauskomplimentiert“ wurde. Die Wirtin begründete den Rauswurf nachträglich mit Hinweis auf die multikulturellen Künstler, Ausstellungen und Mitarbeiter in dem Museum für zeitgenössische Kunst.

Ein Kommentar in der Sonntagsausgabe der FAZ feierte diesen Angriff auf die soziale und Privatwelt der Politikerin begeistert ab. Die Wirtin habe in juristischer wie „in moralischer Hinsicht das Recht, einen Gast hinauszuwerfen, der eine Politik mitträgt, die sich direkt gegen das Personal richtet, von dem er sich bedienen lassen wollte. Der Rauswurf ist ein Realitätscheck, die Botschaft, daß man nicht nur senden kann, sondern auch zuhören muß. Und daß man sich nicht gleichzeitig der Annehmlichkeiten der postmigrantischen Gesellschaft bedienen und dieser fortwährend redend das Fundament entziehen kann.“ Ebner-Steiner gehöre zu den Leuten, „deren Hauptbeschäftigung darin besteht, ihre Daseinsberechtigung in Frage zu stellen, und es gibt Leute, die sich schützend vor diese Leute stellen“.

Der Nachweis, daß die AfD-Frau die „Daseinsberechtigung“ anderer Menschen bestreitet, und zwar als „Hauptbeschäftigung“, dürfte dem FAS-Autor schwerfallen. Seine Argumentation ist so schwach, daß man sie mit Leichtigkeit umkehren kann. Schließlich müssen auch die Gegner und Kritiker der „postmigrantischen Gesellschaft“ deren Kosten und Unannehmlichkeiten mittragen. Da dürfen sie ein bißchen Kompensation doch wohl erwarten, oder? Der Schreiber affirmiert den Versuch, eine politische Auseinandersetzung zu ersticken, indem man die Vertreter des gegnerischen Meinungslagers durch soziale Isolation und öffentliche Stigmatisierung zermürbt und schließlich mundtot macht.

Zutreffend ist allerdings, daß solche Hausverbote aus politischen Gründen juristisch gedeckt sind. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (Antidiskriminierungsgesetz) wendet sich nur gegen Benachteiligungen aus „Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Nach höchstrichterlicher Auffassung wird als Weltanschauung „die mit einer Person verbunde Gewißheit über seine Stellung in der Welt und über bestimmte Aussagen zum Weltganzen“ bezeichnet. „Eine politische Haltung ist lediglich die eigene Sympathie zu einer bestimmten politischen Strömung. Diese ist nicht notwendigerweise gleich eine komplette Weltanschauung.“

Wohl wahr, aber was sind die Konsequenzen? Wer aus seiner religiös eingefärbten Weltanschauung die ungläubigen Deutschen als „Köterrasse“ bezeichnet, darf sich auf das Antidiskriminierungsgesetz berufen. Wenn ein Deutscher dem Beleidiger empfiehlt, hinzugehen wo der Pfeffer wächst, drückt sich darin eine feindlich-negative, eine politische Haltung aus, die Hausverbote, die Kündigung des Arbeitsplatzes, gegebenenfalls die Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigt.

Es bleibt nicht bei punktuellen Lokalverboten. Der rheinland-pfälzische AfD-Vorsitzende Uwe Junge wurde 2016 von vier Schlägern attackiert, im Gesicht verletzt und mußte operiert worden. Die Organisatorin der „Merkel muß weg“-Kundgebungen, Uta Ogilvie, gab entnervt auf, nachdem nächtens ihr Haus mit Parolen beschmiert wurde und Steine durchs Fenster in das Zimmer flogen, in dem ihre Kinder schliefen.

Stellvertretend seien die Verfasser des Buches „Mit Rechten reden“ zitiert, die behaupten, die „Rechten“ würden „um die Opferrolle betteln“; sie „spucken und fauchen von ihrem selbstgewählten Kreuz“; sie seien „aggressive Jammerlappen“, die vorsätzlich „Mitleid“ erzeugten, um „ihren Anhang“ zu mobilisieren. Das ist eine so zynische wie perverse Auslegung. Man schlägt dem Gegner, der durch einen Tritt in die Kniekehlen zu Fall gebracht wurde, ins Gesicht und fordert ihn auf zu gestehen, daß der soziale und psychische Dauerstreß, die Vernichtung privater Rückzugs- und Ruheräume, die Gefährdung seiner Kinder und sogar Körperverletzungen ihn in Wahrheit positiv erregen. Er wird als inverse, anrüchige, nicht wirklich zurechnungsfähige Person hingestellt; die materielle Exklusion und situative Demütigung wird durch die moralische Degradierung als subtile Form der Entmenschlichung ergänzt.

 „Zivilcourage“ erschöpft sich in Mitläufertum

Das ist so opportunistisch wie intellektuell feige, denn es blendet die simple Tatsache aus, daß „rechtes“ Engagement auf jeden Fall mit Risiken behaftet ist, die Teilnahme am „Kampf gegen Rechts“ hingegen Vorteile unterschiedlicher Art bringt. Was heute „Haltung“ oder „Zivilcourage“ genannt wird, erschöpft sich in der Praxis überwiegend in Mitläufer- und Pharisäertum. Auch die Münchner Wirtin, die der AfD-Frau die Tür wies, wußte sehr wohl, daß sie sich keiner Unwägbarkeit oder öffentlichen Kritik aussetzen würde. Vielmehr durfte sie sich als die Vollstreckerin der Staatsideologie und -propaganda fühlen.

Der „Kampf gegen Rechts“ ist nicht spontan. Er wird durch Dauerberieselung und Indoktrination induziert und staatlich und mehr noch semistaatlich institutionalisiert. Die Medien gehören dazu; Künstler und Kultureinrichtungen haben sich mit der „Erklärung der Vielen“ in die Einheitsfront eingereiht (JF 48/18), ebenso der Historikerverband mit seiner kaum verklausulierten Ergebenheitsadresse an die Kanzlerin. Flächendeckend gibt es Initiativen, Aktionsgruppen, Internetplattformen, die sich mit Hilfe öffentlicher Förderung der Überwachung, Kontrolle, Denunziation und aktiven Bekämpfung von Rechtsabweichlern widmen und als Frontkämpfer in einem molekularen Bürgerkrieg wirken.

Wo aber minderwertige Eigenschaften zu staatsbürgerlichen Tugenden erhoben werden, treten geistig-moralisch prekäre Existenzen auf den Plan. Das olympische Gefühl, die leiblichen Vertreter eines metaphysischen (Nazi-)Bösen zu bekämpfen, verbindet sich bei ihnen mit „historischer Demenz“ (Nicolaus Fest). Aus dieser Kombination entsteht die Gefahr der absoluten Selbstermächtigung und der mimetischen Anverwandlung an eine Vergangenheit, auf die man so falsch wie zwanghaft fixiert ist.

Mit dem Slogan „Kein Kölsch für Nazis“ reagierten im Frühjahr 2017 rund 150 Gastronomen auf den AfD-Parteitag in Köln. Die an der Aktion beteiligten Klubs und Kneipen wollten, wie es hieß, damit ein Zeichen gegen Rassismus und gegen die AfD setzen. Das geschah unter voller Zustimmung der gesamten Zivilgesellschaft. Nur haben Gastwirte oder Hotels eigentlich keinen Grund, eine solide, zahlende Kundschaft auszusperren. Es sei denn, man hat ihnen klargemacht, daß ein Boykott des Boykotts schmerzhafte Strafmaßnahmen nach sich ziehen würde.

Es ist eine offene Frage, was in einer derart konditionierten und strukturierten Gesellschaft potentiell möglich ist und welche Maßnahmen den Delinquenten nach der Verbannung aus dem öffentlichen und halböffentlichen Raum noch bevorstehen. Derartige Entwicklungen besitzen, wie die Geschichte zeigt, eine Eigendynamik. Und woher soll eine Gesellschaft von Mitläufern gegebenenfalls die Kraft zum Widerstand schöpfen? Ob in der Zukunft unter allen Umständen noch das Tötungsverbot gilt? Sicher kann man nicht sein.