© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Immer für Überraschungen gut
G20-Gipfel: Smart gegenüber Peking, hart gegen Merkels Multilateralismus-Traum / US-Präsident zelebriert das Treffen in Buenos Aires
Paul Leonhard

Am Ende des G20-Gipfeltreffens gab es doch noch eine Überraschung, mit der kaum jemand gerechnet hatte: Die beiden größten Volkswirtschaften der Welt, China und die USA, wollen ihren Wirtschaftskonflikt nicht verschärfen. Zumindest vorerst. Die für den 1. Januar geplante Erhöhung der Sonderzölle auf chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar von zehn auf 25 Prozent werde für 90 Tage ausgesetzt, teilte US-Präsident Donald Trump, der zuvor noch bekundet hatte, er sei sich nicht sicher, ob er überhaupt eine Entspannung wolle, nach einem Gespräch mit Chinas Präsident Xi Jinping mit.

Dieser Beginn neuer chinesisch-amerikanischer Verhandlungen ist eines der wenigen konkreten Ergebnisse des zweitägigen Treffens im argentinischen Buenos-Aires und für beide Länder ein großer Erfolg. Noch kurz vor dem Gipfeltreffen hatte die Neue Zürcher Zeitung einen derartigen „Waffenstillstand und die Verpflichtung auf einen festen Fahrplan für Verhandlungen“ als das „Höchste der Gefühle“ bei einem möglichen „Buenos Aires-Deal“ bezeichnet.

Moskau nicht erbaut über Trumps „Demütigung“

Das geplante Gespräch mit Präsident Wladimir Putin, bei dem es um die Zukunft des 1987 geschlossenen INF-Vertrages zur Abschaffung landgestützter nuklearer Mittelstreckenraketen gehen sollte, sagte Trump dagegen unter Verweis auf die aktuellen russisch-ukrainischen Konflike ab. Zuvor hatte Trump seine Meinung bezüglich des Treffens mit Putin in 24 Stunden dreimal geändert. Daß die Absage dann nicht auf diplomatischem Weg, sondern per Twitter erfolgte, wurde von Moskau als demütigend empfunden. Liebe könne eben nicht erzwungen werden, kommentierte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow.

Putin und Xi Jinping rückten dagegen näher zusammen und sprachen sich in einer gemeinsamen Erklärung für den Multilateralismus, die Wahrung der Werte und Mechanismen der Welthandelsorganisaton und der Handelsliberalisierung sowie gegen Alleingänge und Protektionismus aus, was eindeutig auf die US-Politik bezogen war. Denn im Gegensatz zu den anderen G20-Mitgliedern, die sich für eine multilaterale, auf internationalen Verträgen und Organisationen basierende Weltwirtschaftsordnung einsetzen, favorisieren die USA insbesondere in der Handelspolitik bilaterale Abkommen.

Längst gelten die USA in diplomatischen Kreisen als unberechenbarer Kandidat. Ob es bei dem Treffen der Staatsführer der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie der EU, die immerhin beinahe zwei Drittel der Weltbevölkerung vertreten, nennenswerte Ergebnisse geben werde, hänge vor allem davon ab, wie gerade die Stimmung bei Trump und seinem Team sei, prognostizierten Politologen im Vorfeld. Letztlich stellte sich heraus, daß Trumps Stimmung wegen der angekündigten Entlassungen bei General Motors und dem Eingeständnis seines Ex-Anwalts Michael D. Cohen, vor dem Kongreß gelogen zu haben, schlecht war.

Trump ging keinen Schritt auf seine durch das wechselhafte Verhalten Wa-shingtons verunsicherten europäischen Verbündeten zu, sondern verdeutlichte durch sein Treffen mit den Premierministern Australiens und Japans, Scott Morrison und Shinzo Abe, daß die Interessen der USA sich neben China und Indien vor allem auf den Pazifik konzentrieren.

Durch sein Verhalten beschleunige Trump die „internationale Unordnung“ und schwäche langfristig den US-Einfluß, zitierte die New York Times den ehemaligen Vize-Außenminister der Obama-Regierung, William J. Burns. Auch habe der Präsident mit seiner „America First“-Politik bei globalen Zusammenkünften einen seltsamen Flickenteppich von Partnern hinterlassen.

Kanzlerin Angela Merkel, deren Verspätung die sorgfältig getakteten Gesprächstermine durcheinanderbrachte,  blieb es vorbehalten, mit Putin über die Situation im Asowschen Meer zu sprechen.

Im Ergebnis forderten Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Angaben eines russischen Pressesprechers überraschend deutlich Putin auf, die Matrosen der ukrainischen Kriegsmarine freizulassen, die im vergangenen Monat von Rußland festgenommen worden waren, und künftig Schiffen den ungehinderten Zugang zu ukrainischen Häfen zu ermöglichen.

Trump setzt sich mit Vetopolitik durch

Wie schwer es fällt, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, zeigt  das verabschiedete Abschlußdokument. Beobachter sprachen von „massiven Differenzen“ in allen wichtigen Fragen: beim Welthandel, beim Klimaschutz, bei der Migration. 

Eine Niederlage mußte Merkel einstecken, die darum gekämpft hatte, daß die gemeinsame Lösung von Problemen durch internationale Mechanismen im Text festgeschrieben wird, aber letztlich sorgte Trump dafür, daß das von ihr ausdrücklich gewünschte Wort „Multilateralismus“ nicht auftaucht. Es ist lediglich vage von internationaler Kooperation die Rede.

Am Ende haben sich die USA mit ihrer Kompromißlosigkeit durchgesetzt. Schon vor dem Treffen hatte Washington kundgetan, sein Veto gegen starke Formulierungen zum Klimawandel oder gegen den Protektionismus einzulegen und gegebenenfalls eine gemeinsame Abschlußerklärung zu torpedieren. Tatsächlich bekannten sich außer den Vereinigten Staaten alle G20-Staaten zu den Pariser Klimaschutzzielen von 2015, und man schaffte es sogar durch einen Kniff – die Formulierung, daß die Erderwärmung nicht um mehr als 1,5 Grad ansteigen soll –, daß die Erklärung inhaltlich nicht hinter die Ergebnisse des Gipfels 2017 in Hamburg zurückgefallen ist.