© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Wolgast ist wütend
Exportstopp: Wegen der Politik gerät eine Werft in Not
Paul Leonhard

Die Sanktionspolitik der schwarzroten Bundesregierung gegen mißliebige Länder schädigt häufig weniger diese als deutsche Industrie-

unternehmen und deren Beschäftigte. Aktuelles Beispiel ist die Peene-Werft in Wolgast. Der einst von der sowjetischen Militäradministration 1945 gegründete Schiffbauer arbeitet gegenwärtig einen Auftrag über dreißig je 35 bis 40 Meter lange Patrouillenboote für Saudi-Arabien ab. Nachdem die dortige Regierung wegen der Ermordung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi in der Türkei in Ungnade fiel, verhängte Berlin einen Lieferstopp für die Boote. Die Folge ist, daß die Werft die Serienproduktion stoppen und für einen Großteil der 300 Beschäftigten nun Kurzarbeit anmelden mußte. Die aktuelle Auslastungslücke zieht sich voraussichtlich bis ins zweite Quartal 2019.

Betroffen ist aber auch die Stadt Wolgast, die um Einnahmen in Höhe von fünf Millionen Euro bangt. Die Werft sei das „Herz der Stadt, und uns droht der Herzinfarkt“, beschreibt der parteilose Bürgermeister Stefan Weigler die Situation. Entsprechend ist die Stimmung in der 12.000-Einwohner-Stadt nahe der polnischen Grenze. Die Peene-Werft GmbH & Co. KG, die zur norddeutschen Werften-Gruppe Lürssen gehört, ist mit ihrer Marine- und Reparaturwerkstatt der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt. Ein Drittel aller Arbeitsplätze hängen an der Werft, 1.800 insgesamt. Die für Dezember vorgesehene Verabschiedung des städtischen Haushalts wurde jetzt aufgrund der Unwägbarkeiten schon einmal auf das kommende Jahr verschoben.

„Mit 60 Prozent des Gehalts in die Adventszeit“

Auch ein Wegzug der Facharbeiter droht. Denn die auf der modernen Peene-Werfte Beschäftigten verfügen genau über jenes Spezialwissen, das derzeit auf anderen Werften händeringend gesucht wird. So sind Hunderte Stellen an den Standorten Wismar, Rostock und Stralsund ausgeschrieben. Wenn Facharbeiter aber erst einmal weggezogen sind, ist es schwer, sie wieder zurückzuholen, weiß auch Bürgermeister Weigel.

Der Aktionismus der Merkel-Regierung steht ganz im Gegensatz zur amerikanischen Wirtschaftspolitik. Während Berlin gegenüber Saudi-Arabien einen Wirtschaftsboykott für militärisch nutzbare Güter verhängt, hat Washington zum gleichen Zeitpunkt dem Verkauf von 44 Abschußrampen sowie von Raketen des Flugabwehrsystems THAAD im Wert von rund 13 Milliarden Euro zugestimmt. Das isolierte Handeln der Bundesregierung stößt insbesondere den Politikern der AfD bitter auf, für die der Schutz einheimischer Arbeitsplätze Vorrang haben sollte (siehe Interview auf dieser Seite).

Kritik kommt auch von der Linkspartei und der Gewerkschaft. Während aber erstere fordert, zivile Aufträge für die Werft zu akquirieren, verlangt die IG Metall Küste ein stärkeres Engagement der deutschen Marine. Statt langwieriger Ausschreibungsverfahren seien schnelle Entscheidungen der Bundesregierung gefordert, um dem durch politische Entscheidungen in eine Schieflage geratenen Werftstandort Wolgast zu helfen, sagte Bezirksleiter Meinhard Geiken.

Es könne nicht Aufgabe eines Unternehmens sein, die politischen Unwägbarkeiten auf die eigenen Schultern zu nehmen, heißt es auch seitens des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). Die Lürssen-Werft hat bisher den vor mehr als fünf Jahren akquirierten Auftrag für Saudi-Arabien ordnungsgemäß abgearbeitet und seit 2016 bereits 15 Boote ausgeliefert. Verbands-Hauptgeschäftführer Reinhard Lüken schlug gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor, daß die Bundesregierung die durch sie entstandene Fertigungslücke schließen könnte, indem sie die Patrouillenboote erwerbe und beispielsweise im Mittelmeer vor der libyschen Küste zur Bekämpfung des Menschenschmuggels einsetze.

Nach einem Krisengespräch mit der Unternehmensführung der Lürssen-Gruppe kündigte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) vage neue Aufträge an. So sei der Bau einer Explorer-Yacht zu Beginn des Jahres 2019 in Vorbereitung, und es werde einen Auftrag der Bundesmarine geben. Die Entscheidung für den Bau weiterer Patrouillenboote, eventuell für den Einsatz bei der Marine, müsse aber Berlin treffen, sagte Glawe. 

Am Freitag vergangener Woche nahmen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Vorpommern-Staatssekretär Patrick Dahlemann (beide SPD) an einer nichtöffentlichen Mitarbeiterversammlung der Peene-Werft teil. „Der Stopp betrifft Familienväter, die jetzt mit 60 Prozent Gehalt in die Adventszeit gehen“, kritisierte die Regierungschefin im Anschluß an das Treffen vor Journalisten. Ein Mitarbeiter habe ihr gesagt, er wisse nicht, wie er mit seiner sechsköpfigen Familie jetzt über die Runden komme, berichtete Schwesig. Von der Bundesregierung forderte die SPD-Politikerin mehr Unterstützung für die Werft. Im Gespräch sei etwa der Bau von zwei Korvetten. 

Zur Zeit liegen zwei ursprünglich für Saudi-Arabien bestimmte Boote auslieferungsfertig auf Reede. Der Exportstopp ist derzeit noch auf zwei Monate beschränkt. Die Kurzarbeit ist für ein Jahr angemeldet. Wie der Norddeutsche Rundfunk berichtete, plane die Lürssen-Gruppe derweil, das Kurzarbeitergeld für die Peene-Beschäftigten aufzustocken. Ziel sei es offenbar, die Werftarbeiter in Wolgast zu halten.