© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Schlammschlacht in Hohenschönhausen
Fall Knabe: Der Gerichtsstreit um die Entlassung geht in die nächste Runde / Berlins Kultursenator wird „kriminelle Energie“ vorgeworfen
Jörg Kürschner

Seit der Kündigung des Direktors der Stasiopfer-Gedenkstätte Hubertus Knabe wegen angeblicher Führungsschwäche vor mehr als zwei Monaten haben CDU und Linkspartei gemeinsam die Zerstörung des Lebenswerks und der Reputation des antikommunistischen Historikers betrieben. Doch es regt sich Widerstand gegen dessen unwürdigen Rausschmiß.

Zu verantworten ist dieser vom fünfköpfigen Stiftungsrat der Gedenkstätte, dem Berlins Kultursenator Klaus Lederer vorsteht. Der Linken-Politiker, Jahrgang 1974, gehört zu jener seltenen Spezies in der SED-Nachfolgepartei, die sich aufgeschlossen und umgänglich geben. So räumte er bei der Eröffnung der Sonderausstellung „Der rote Gott – Stalin und die Deutschen“ ohne Umschweife dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vergötterung durch die SED-Führung ein. Einen Schlußstrich dürfe es nicht geben. So sah es auch Lederers Antipode Knabe, der die zahlreichen Zuhörer im einstigen Folterkeller des Stasi-Untersuchungsgefängnisses wissen ließ, daß Lederers Spitzen-Genossin, die Parteiikone Sahra Wagenknecht, noch 1992 dem sowjetischen Diktator huldigte. Knabes Hinweis dürfte seinem Vorgesetzten nicht gefallen haben.

Der Linken-Politiker war im Herbst 2016 ins Amt gekommen; unter öffentlichem Protest des Gedenkstättendirektors. Zweifellos kannte er dessen Stärken und Schwächen. In knapp 18 Jahren hat der Historiker den einstigen Stasi-Knast zur bedeutendsten Gedenkstätte entwickelt, die an die kommunistischen Verbrechen erinnert. Zum Ärger vieler DDR-Versteher unter seinen meist aus dem Westen stammenden Fachkollegen. Doch der Erfolg gab Knabe recht, der – mit scharfem Intellekt und rhetorischer Brillanz versehen – unerbittlich sein kann. „Jeder Satz ein Peitschenhieb“, kommentierten Beobachter dessen Auftritte.

Auf der anderen Seite ist Lederer nicht verborgen geblieben, daß die kleinteilige Regelung von Mitarbeiter-Problemen seinen Direktor nicht wirklich begeistern konnte. Die Kündigungsserie in der Verwaltungsleitung der Gedenkstätte hat die interne Arbeit erschwert. Und diese Schwachstelle, die Unlust etwa sich mit Personalplanung abzugeben, nutzte Dienstherr Lederer. Aus anonymen Sexismusvorwürfen von Mitarbeiterinnen gegenüber Knabes Vize Helmuth Frauendorfer, die dessen Rechtsanwalt als zum Teil berechtigt anerkannte, drehte Lederer dem Direktor einen Strick. 

Ihm gelang Ende September in dem von CDU und Linkspartei dominierten Stiftungsrat das Kunststück, die sofortige Freistellung und dessen ordentliche Kündigung zum 31. März 2019 durchzusetzen. Einstimmig. Knabe habe die Mitarbeiterinnen nicht geschützt, vielmehr „strukturellen Sexismus“ zugelassen, das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Ein Coup. Die Überraschung war groß und das Entsetzen spürbar, auch bei dem 59jährigen Knabe selbst, der auf langjährige gute Kontakte zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion verweisen kann. Jetzt steht er beruflich vor dem Nichts, sein Lebenswerk scheint zerstört. Doch Lederer unterlief ein Fehler. 

Er berief Marianne Birthler interimistisch zur Vertrauensperson in der Gedenkstätte. Die frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen werde dort für einen „Kulturwandel“ sorgen und die Belästigungsvorwürfe aufklären, zeigten sich Lederer und Kulturstaatsministerin Monika Grütters optimistisch. Die Behörde der CDU-Politikerin ist mit einer weisungsgebundenen Vertreterin im Stiftungsrat vertreten und hat für das einstimmige Votum gegen Knabe gesorgt. Birthler hätte diese Aufgabe wegen Befangenheit ablehnen müssen. Wer ihre haßerfüllten Ausfälle gegen Knabe im wissenschaftlichen Beirat der Gedenkstätte erlebt hat, kann über diese Berufung nur den Kopf schütteln. Dazu kommt, daß ihr Bericht widersprüchliche Angaben über die von ihr befragten Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte enthält.

Ein Bericht mit weitreichenden Folgen, diente er doch dem Landgericht Berlin als Grundlage für den Beschluß, Knabe die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz in der Genslerstraße 66 zu verwehren. In dessen Sinne hatte zuvor eine andere Kammer des Gerichts per Einstweiliger Verfügung entschieden, so daß der geschaßte Direktor am Montag vergangener Woche sein Büro in der dritten Etage aufsuchte, dieses fünf Stunden später aber unter demütigenden Umständen wieder räumen mußte. Was war geschehen? Lederer hatte noch einen draufgesetzt und tags zuvor, am Sonntag, den nicht vollständig besetzten Stiftungsrat zu einer Sondersitzung einberufen und wiederum einstimmig beschließen lassen, daß Knabe mit sofortiger Wirkung als Direktor und Vorstand fristlos abberufen wird. Eine neue Rechtslage. Das Gericht gab Lederers Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung statt. Ein neuer Verhandlungstermin des Gerichts ist noch nicht bekannt.

Grütters drückt sich vor einer Stellungnahme

Die politischen Reaktionen auf die Schlammschlacht um Knabe sind beredtes Zeugnis dafür, welchen Stellenwert der DDR-Aufarbeitung bald 30 Jahre nach dem Mauerfall noch beigemessen wird. SPD und Linke hüllten sich weitgehend in Schweigen, die Berliner Grünen sorgten sich um sexistisch bedrängte Frauen, denen Gerechtigkeit widerfahren müsse. AfD-Bundesvize Georg Pazderskis zeigte sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erschüttert, daß „selbst die Berliner CDU keine Skrupel mehr hat, die politische Willkür der SED-Nachfolgepartei Die Linke zu unterstützen“. Die Berliner CDU-Landesvorsitzende Grütters lasse eine „schrittweise Aushöhlung des bisherigen Konsenses zur Aufarbeitung der DDR-Verbrechen zu“, kritisierte der Hauptstadt- und Fraktionschef der AfD. So sieht es in der CDU wohl auch Fraktionsvize Arnold Vaatz, der letzte DDR-Häftling im Bundestag. 

Als einziger CDU-Politiker hat er eindeutig Partei für Knabe ergriffen, Lederer „kriminelle Energie“ vorgeworfen, dessen Rücktritt und von Grütters mehrfach Aufklärung verlangt. Doch die Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückt sich bisher vor einer Stellungnahme. Der Unmut über ihr Einvernehmen mit der Linkspartei aber wächst. Jetzt soll sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem „Fall Knabe“ befassen.