© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Franziskus wünscht vorerst keine Aufklärung
Katholische Kirche: Nach einer Intervention des Vatikans beschließt die US-Bischofskonferenz keine Maßnahmen im Umgang mit sexuellen Mißbrauchsfällen
Marco F. Gallina

Unsere Bischöfe müssen wissen, daß das Spiel vorbei ist. Es ist nicht die Kirche von Franziskus, sondern die Kirche Jesu Christi.“ Harte Worte aus dem Mund eines katholischen Laien. Aber James Grein, der am 13. November vor dem Tagungszentrum von Baltimore mit anderen Demonstranten protestierte, ist nicht irgendwer. Grein wurde 18 Jahre lang sexuell mißbraucht – von dem damaligen Kardinal Theodore McCarrick. Sein Fall brachte den Stein ins Rollen, der den heute 88jährigen McCarrick im Sommer dieses Jahres den Kardinalshut kostete. Jetzt spricht Grein bei der Kundgebung „Silence stops now“. Er tue das heute, damit auch andere die Kraft fänden, vorzutreten. 

Die Bischöfe im Tagungszentrum standen unter doppeltem Druck. Noch bevor die Vollversammlung der US-Bischöfe begann, erreichte den Chef der Bischofskonferenz ein Fingerzeig aus Rom. Kardinal Daniel DiNardo war im Vorfeld mit der Devise aufgetreten, die Mißstände schonungslos aufzuklären. Doch am ersten Tag der Konferenz mußte DiNardo zerknirscht zurückrudern. Eigentlich wollten die Prälaten über Maßnahmen gegen den grassierenden Mißbrauch in der römisch-katholischen Kirche in den USA abstimmen. Aber: „Der Heilige Stuhl hat darauf bestanden, daß wir nicht über die beiden Maßnahmen abstimmen sollen.“ DiNardo fügte hinzu, er sei „enttäuscht“ von der Entscheidung des Vatikans. Mit einem einzigen Brief desavouierte der Vatikan die Bischöfe von 196 Diözesen und Erzdiözesen. 

Die Bischofskonferenz von Baltimore galt vielen Beobachtern als das wichtigste Treffen der US-Bischöfe dieses Jahrzehnts. Das Zentrum bildeten die Skandale, die seit Monaten im medialen Fegefeuer stehen. Die gesamte römisch-katholische Kirche ist davon erschüttert worden, es droht sogar ein bundesweites Ermittlungsverfahren (RICO), wie es üblicherweise nur gegen Mafia-Organisationen angewandt wird. So bedeutende Würdenträger wie der Erzbischof von Washington, Donald Wuerl (78), hielten ihre schützende Hand über die Täter. Mittlerweile hat Wuerl seinen Amtsverzicht erklärt – aber das Netzwerk aus Vertuschung, Täterschutz und Komplizenschaft, das in großem Stil von einer Lobby homosexueller Kreise betrieben wird, bedarf immer noch der Aufklärung und Aufarbeitung. 

Für Anhänger von Papst Franziskus ist es ein schwerer Schlag. Hatten viele Gläubige noch darauf gehofft, daß der Pontifex sich einschalten würde, um den Mißbrauch in der Kirche einzudämmen, schiebt er statt dessen den zaghaften Reformen einen Riegel vor. Die beiden Maßnahmen, die in Baltimore nicht verabschiedet werden sollten, betreffen einen Verhaltenskodex für Bischöfe – namentlich im Falle von sexuellem Mißbrauch – und die Einrichtung eines Laiengremiums zur Untersuchung von Mißbrauchsvorwürfen, die gegen Bischöfe gerichtet sind. Daß diese Kommission allein eine berichtende Funktion besitzen sollte, bar jedweder disziplinarischen Befugnis, ging einigen bereits zu weit.

Treffen im Vatikan im Februar 2019

„Zutiefst schockiert“ zeigten sich die Bischöfe angesichts der Einmischung aus Rom, wie die amerikanisch-deutsche Journalistin Maike Hickson berichtet. „Sie fühlen sich düpiert, im progressiven wie im konservativen Lager. Ein Bischof sagte, Rom scheine nicht zu wissen, unter welchem Druck die US-Bischöfe stünden.“ Einerseits verfolge Franziskus einen Kurs, der den nationalen Bischofskonferenzen mehr Spielraum einräume, andererseits schreitet Rom ausgerechnet dann ein, wenn es um Mißbrauchsfälle in der Kirche gehe. Das erwecke den Eindruck von „Chaos“.

Ähnlich reagierten Opfervertreter etwa von der Organisation „Bishop-Accountability.org“, die Daten im Mißbrauchsskandal zu übergriffigen Klerikern sammelt. „Was wir hier sehen, ist der Versuch, selbst bescheidenen Fortschritt der US-Bischöfe zu unterdrücken“, erklärt deren Co-Geschäftsführerin Anne Barrett Doyle. „Wir sehen, wo das Problem liegt, und das ist im Vatikan.“

Offiziell begründet Rom den Schritt damit, daß Maßnahmen im Kampf gegen Mißbrauchsfälle erst im Februar 2019 geklärt werden sollen. Dann treffen die weltweiten Oberhäupter der Bischofskonferenzen in Rom zusammen, um die Mißbrauchskrise innerhalb der Kirche zu besprechen. Angesichts des globalen Ausmaßes der Fälle von sexuellem Fehlverhalten des katholischen Klerus erscheint das nachvollziehbar. Mißbrauchsopfer wie Luis A. Torres Jr. halten jedoch dagegen: „Ich fordere Taten, die wir jetzt brauchen. Nicht in drei Monaten. Nicht in sechs Monaten. Gestern.“