© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Der Genderstern muß warten
Schriftsprache: Noch verzichten die Rechtschreibrät*innen auf den geliebten Asterisk
Thomas Paulwitz

Wenn es nach der Duden-Redaktion gegangen wäre, dann hätte der Rechtschreibrat am vergangenen Freitag den Genderstern durchgesetzt. Dieser Asterisk, der in Formen wie „Bürger*innen“ erscheint, ist gewissermaßen der Geßlerhut der Genderideologie. Wer ihn nicht grüßt, also nicht verwendet, setzt sich der Gefahr aus, wahlweise als „homophob“, „frauenfeindlich“ oder „rechtspopulistisch“ bezeichnet zu werden.

Wie schon bei der Rechtschreibreform will der Duden dem Sprachvolk unnatürliche Schreibweisen aufzwingen. Der Verlag reitet ganz oben auf der Genderwelle. Vor einem Jahr brachte er einen Leitfaden unters Volk mit dem Titel „Richtig gendern: Wie Sie angemessen und verständlich schreiben“. Der bis vorigens jahr amtierende Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, bezeichnete dieses Büchlein mit Recht als „Machwerk einer an Orwellschen Neusprech erinnernden Sprachpolizei, die mittels Sprache Volkspädagogik inszeniert“.

Noch kurz vor der Bekanntgabe der Entscheidung des Rechtschreibrats schwärmte Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der Duden-Redaktion, gegenüber dem Spiegel vom Genderstern: „Es bildet mehr als zwei Geschlechter ab und löst damit die Binarität auf.“ Die vor einem Jahr eingesetzte Arbeitsgruppe „Geschlechtergerechte Schreibung“ im Rat für deutsche Rechtschreibung habe in den vergangenen Monaten „das Gendern in großen Sprachkorpora analysiert.“ Die Schreibweisen „Student/-innen“ und „Student*innen“ hätten sich demnach am stärksten durchgesetzt. Wenn, dann würde der Rechtschreibrat diese beiden Formen empfehlen. Aber, „ob der Rat sich letztlich dafür aussprechen wird, weiß ich nicht“.

Er tat es nicht. Voller Spannung waren die Pressevertreter nach Passau gereist und mußten sich die umständlichen Erklärungen des Ratsvorsitzenden Josef Lange anhören, warum er noch nicht den Genderstern empfehlen könne. Es gebe noch keine eindeutigen Ergebnisse, wohin die Entwicklung gehen werde. Die empirische Basis reiche nicht aus. Man wolle daher keine vorzeitigen Festlegungen und Empfehlungen geben. Überhaupt müßten dies eher andere tun.

Schreibreformer berufen sich auf Gerichtsurteile

Dabei waren die Erwartungen groß gewesen. Bereits für das Treffen des Rechtschreibrats am 8. Juni in Wien hatten die Medien eine Entscheidung für den Genderstern erwartet. Damals vertröstete Josef Lange auf den November. Bis dahin wolle man mögliche Empfehlungen an die staatlichen Stellen vorbereiten. Zusätzliche Hoffnungen weckte die Pressemitteilung, mit der jetzt nach Passau eingeladen wurde. Ein buntes Bild zierte nämlich die Ankündigung der Pressekonferenz, das einen Regenschirm in Regenbogenfarben zeigte, dessen Metallstützen einen Stern bildeten. Der Genderstern erschien zum Greifen nahe.

Offenbar war die Geschäftsführung zuversichtlich, zu einer Empfehlung des Gendersterns zu kommen. Über den Grund, warum dies dann doch nicht geschah, kann man lediglich mutmaßen. Josef Lange erklärte, man müsse im Rechtschreibrat auch auf andere deutschsprachige Länder Rücksicht nehmen. Möglicherweise haben also die Deutschen in Eupen-Malmedy oder in Südtirol, die auch im Rat vertreten sind, das Schlimmste verhindert. Darauf deutet auch ein neues Kriterium für „geschlechtergerechte Texte“ hin, das im Juni noch nicht genannt worden war. Demnach sollen solche Texte „übertragbar sein im Hinblick auf deutschsprachige Länder mit mehreren Amts- und Minderheitensprachen“.

Ist damit die Rechtschreibreform unter dem Genderstern erledigt? Leider nicht. Henning Lobin, Ratsmitglied und Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, an dem der Rechtschreibrat angesiedelt ist, hält fest: „Die Binarität des Geschlechtes besteht rechtlich nicht mehr.“ Die Genderschreibreformer berufen sich auf Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Bundesrepublik Deutschland von 2017 und der Republik Österreich von 2018. Menschen, die weder als Mann noch als Frau gelten wollen, haben dadurch einen Anspruch auf eine eigene Geschlechtsbezeichnung in den Personenstandsregistern, etwa „divers“. Daher tauchen in Stellenausschreibungen zum Beispiel Formulierungen wie „Bäcker (m, w, d)“ auf: männlich, weiblich, divers. Daraus leiten die Reformer einen „Anspruch auf angemessene sprachliche Bezeichnung“ ab. Die Verwendung des Gendersterns hat laut Lobin seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erheblich zugenommen.

Derzeit sei man noch in einer „Erprobungsphase verschiedener Bezeichnungen“, so Josef Lange. Der Genderstern sei im Jahr 2016 erstmals aufgetreten. In drei, vier Jahren könne dieses Zeichen sich so festgesetzt haben, daß der Rechtschreibrat eine Empfehlung geben könne. Die Nennung dieses Zeitraums ist kein Zufall: In vier Jahren, also 2022, endet nämlich die sechsjährige Amtszeit des Rechtschreibrats. Dann gibt er seine Empfehlungen an die Kultusminister.

Schüler stolpern über frei erfundene Schreibweisen

Noch will sich der Rat nicht aus dem Fenster lehnen. Henning Lobin betonte in Passau, „daß wir nicht einfach irgendwelche Regelungen erfinden oder erlassen, sondern daß dies auf der Grundlage von Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit geschieht“. Hört, hört! Dies sei „tatsächlich der Maßstab, nach dem wir alle Entscheidungen hier treffen“. Hört, hört! „Sprache ist ein lebendig Ding“, sekundierte Lange. Hört, hört! Hätte dieser neue Maßstab bereits gegolten, als der Rat die Rechtschreibreform überarbeitete, wäre diese nie in Kraft getreten. Noch heute stolpern viele Schüler über die frei erfundenen Schreibweisen.

Im nächsten Atemzug gab Lobin leichtsinnigerweise zu, daß die Textkorpora, welche als Grundlage für die Arbeit des Rates dienen, unzureichend sind. Diese enthielten vor allem Texte von Zeitungen und Zeitschriften, aber zum Beispiel nicht von Behörden. Es sind aber genau dieselben Textsammlungen, die der Rat als Beleg dafür heranzieht, daß sich die Rechtschreibreform völlig problemlos durchgesetzt habe. Dieses Urteil darf man jetzt unter Verweis auf Lobins Aussage mit Fug und Recht in Zweifel ziehen.

Schließlich stand am Ende der Pressekonferenz noch ein Pingpong-Spiel. Im Mai, also noch vor der letzten Ratssitzung, hatte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) im Tagesspiegel gefordert, den Genderstern in den Duden aufzunehmen. Nun spielte Josef Lange den Ball zurück. Der Rat habe keinen gesellschaftspolitischen Auftrag. Für Gesellschaftspolitik seien andere zuständig, etwa das Bundesjustizministerium. Doch Barley ist inzwischen unter dem Druck der Öffentlichkeit zurückgerudert. Auf Protestschreiben antwortet sie, daß sie den Genderstern persönlich gar nicht verwende. Der Rechtschreibrat werde über die „geschlechtergerechte Schreibweise“ entscheiden. Sie habe darauf keinen Einfluß.

Allerdings wird sie auch nur noch wenige Monate Justizministerin sein. Barley ist SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl. Und bei dieser Wahl gibt es keine Fünfprozenthürde … So bleibt es ihrem Nachfolger überlassen, den Genderstern in das vom Bundesjustizministerium herausgegebene „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ einzuarbeiten, dem wir schon zu verdanken haben, daß in der Straßenverkehrsordnung Verkehrsteilnehmer zu „am Verkehr Teilnehmende“ wurden. Der Rechtschreibrat wird seine Textsammlung erweitern und die Vorgabe nachvollziehen.






Thomas Paulwitz  ist Historiker und Schriftleiter der von ihm mitbegründeten, vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung Deutsche Sprachwelt.

  http://deutschesprachwelt.de