© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Im Dienst der Regierenden
Diskurshoheit: Die „Erklärung der Vielen“ dient dem „Kampf gegen Rechts“ und erhöht den Konformitätsdruck auf Abweichler / Der Schriftsteller Uwe Tellkamp widerspricht trotzdem
Thorsten Hinz

Mit einer „Erklärung der Vielen“ sind am geschichtsträchtigen 9. November rund 140 Kultureinrichtungen allein in Berlin an die Öffentlichkeit getreten. In Hamburg, Dresden und Düsseldorf fanden am selben Tag ähnliche Aktionen statt. In der langen Liste der Unterzeichner finden sich weltbekannte Opernhäuser und Orchester, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Hinzu kommen Theater, Akademien, Kunsthochschulen, Kleinbühnen, freie Gruppen, Museen, Galerien, Einzelkünstler aller Genres. Aus der ganzen Republik eilten Namhafte und Namenlose herbei, um ihre Zustimmung zu bekunden.

Die Erklärung zelebriert den Gestus der Widerständigkeit. Sie richtet sich gegen eine Bedrohung durch „rechtspopulistischen Gruppierungen und Parteien“, welche kulturelle Veranstaltungen störten, in Spielpläne und ins Programm eingriffen, „gegen die Freiheit der Kunst“ polemisierten und „an einer Renationalisierung der Kultur“ arbeiteten. Ihr verächtlicher „Umgang mit Menschen auf der Flucht, mit engagierten Kulturschaffenden, mit Andersdenkenden verrät, wie sie mit der Gesellschaft umzugehen gedenken, sobald sich die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verändern würden“. Die Unterzeichner verstehen sich als „engagierte Kulturschaffende“, die „für Toleranz, Vielfalt und Respekt“ kämpfen. Fast sämtliche Medien hoben den Geist der „Weltoffenheit“ hervor, der sich gegen „völkisch-nationale Tümelei“ (Klaus Staeck) richte.

Die unterzeichnenden Kunst- und Kulturinstitutionen wollen „den offenen und kritischen Dialog über rechtspopulistische Strategien“ suchen, „aber keine Foren für Propaganda jeder Art“ bieten und „die Versuche der Rechtspopulisten ab(wehren), Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren“. An die Erklärung schließt sich eine „Selbstverpflichtung“ an, in der die unterzeichnenden Institutionen ankündigen, ihre Mitarbeiter mit der Erklärung bekanntzumachen und das Publikum durch Aushänge, Programmhefte, Internetauftritte usw. zu informieren.

Das bedeutet Indoktrination nach innen und Konformismus nach außen. Im Grunde besagt die „Erklärung“, daß die Linke im Kulturbetrieb ein flächendeckendes Monopol besitzt und dieses mit Klauen und Zähnen verteidigt. Sie betrachtet die öffentlichen Räume und Institutionen, die sie bespielt und verwaltet, als ihren Besitz. Die Widerständigkeit ist ein leere Pose. Der Text ist ganz klar aus der Perspektive eines etablierten Juste milieu verfaßt, das sich überdies mit der Macht im Bunde weiß. Die Berufung auf höchste Ideale wie die „Freiheit der Kunst“ und die Demokratie gehört zum Geschäft.

Die Erklärung funktioniert als politisch-ideologische Plattform und informelle Reichskulturkammer: Wer ihr beitritt, gehört dazu, wer sich entzieht oder gar Protest gegen ihre Einseitigkeit und rigide Festlegung einlegt, muß damit rechnen, angeprangert zu werden und künftig im Regen zu sehen. Der Konformitätsdruck ist einkalkuliert. Im hochsubventionierten Kulturbetrieb lassen sich leicht die ökonomischen Hebel ansetzen. Es geht um Karrieren, Budgets, Zuschüsse, Projektgelder, ABM-Stellen, um Preise, Stipendien, um günstige Ausstellungsorte und Präsentation in den Medien. Monatlich ein paar hundert Euro von der Kommune oder ein günstiger Mietvertrag sind für Kleinkunstbühnen, Galerien und freie Ensembles oft existenzsichernd. Und die Konkurrenz wartet nur darauf, eventuelle Rechtsabweichler anläßlich der nächsten Haushaltsberatung anzuschwärzen. Man kann davon ausgehen, daß bei den Unterzeichnern neben Eiferertum, Verbohrtheit und Mitläufermentalität auch einfache Konfliktscheu, schamhafter Opportunismus, Isolationsfurcht und Angst eine Rolle spielen.

„Kunst schafft einen Raum zur Veränderung der Welt“, heißt es in der Erklärung, was eine groteske Selbstüberschätzung ist und außerdem verdächtig nach der Behauptung „Kunst ist Waffe“ klingt, die 1928 der kommunistische Dramatiker Friedrich Wolf aufstellte. In der DDR mündete das in eine affirmative Staatskunst, die sogar ihren Schöpfern bald peinlich war. Dessen ungeachtet stellt der bundesdeutsche Kulturbetrieb sich heute in den Dienst der Regierenden und identifiziert sich völlig mit der Migrationspolitik von Merkel. In einer konzertierten Aktion wird die Band Feine Sahne Fischfilet als pseudo-rebellisches Identifikationsobjekt aufgebaut und die Leitung des Bauhauses Dessau, die ursprünglich der Meinung war, daß ihr Haus nicht der richtige Ort für musikalische Stümperei und  linksradikales Gedankengut sei, zu öffentlicher Selbstkritik genötigt.

Andererseits wird alles unternommen, um nonkonformen Autoren, Publikationen und Verlagen den Weg in die Öffentlichkeit zu verbauen. Die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, die gemeinsam mit Ellen Kositza vom Antaios-Verlag in Schnellroda das Youtube-Format „Aufgeblättert, zugeschlagen. Mit Rechten lesen“ betreibt, wurde kürzlich in einer lokalen Kulturzeitschrift mit einem offenen Brief eines Kunstwissenschaftlers vom Dresdner Institut für Kulturstudien und des ehemaligen Vizepräsidenten des Sächsischen Kultursenats bedacht. Sie behandeln Dagen zwar noch nicht als Feindin, maßen sich aber die überlegene Position von Ärzten an, die um den Geisteszustand ihrer therapiebedürftigen Patientin ernsthaft besorgt sind. Ob sie sich über die „düstere Aura“ des Verlags und seines Personals im klaren sei, und warum man „kein Wort“ verliere „über das Rätsel einer Phantomangst vor Überfremdung in einer Landschaft mit drei Prozent Ausländeranteil“ . Sie laden Dagen zum Gespräch ein in ein Café, „wo einmal im Monat ein zumeist sehr heiteres Zusammensein von Afghanen, Syrern und Irakern mit Kuchen backenden Bewohnern des Elbhanges stattfindet“.

Der Kunstwissenschaftler und der Ex-Senator backen Sandkuchen. Der Konfliktforscher Gunnar Heinsohn hat kürzlich darauf hingewiesen, daß im von Bürgerkrieg heimgesuchten Nigeria 200 Millionen Menschen leben gegenüber 40 Millionen 1950. Im Jahr 2050 werden es mehr als 400 Millionen sein. Gleichzeitig läßt die asiatische Konkurrenz die Bedeutung der Industrie im Land schrumpfen, was den Kampf um Acker- und Weideflächen weiter verhärten läßt. Bisher greifen moslemische Hirten vor allem christliche Bauern an. Bald werden sich Moslems und Christen auch untereinander an die Kehlen gehen. Das ergibt Bürgerkriegs-, Flucht- und Asylgründe ohne Ende. Selbst wenn alle Theater, Opernhäuser, Kunsthochschulen in Deutschland und sämtliche Elbhang-Cafés in Back-, Näh- und Bastelstuben umgewandelt werden, wird das nicht ausreichen, um die Neuankömmlinge zu beschäftigen und zu befrieden.

Das ist der zentrale politische Konflikt, der die Gesellschaft teils offen, teils untergründig umtreibt und den Kulturbetrieb Amok laufen läßt. Allzu lange haben die linksdrehenden Kunst- und Kulturschaffenden sich im Zeitalter der „Postpolitik“ gewähnt. In der „reflexiven Moderne“, so die gängige Theorie, lösten kollektive Identitäten sich durch die Dynamik der Individualisierung auf. Deshalb sei die Politik kein Kampf um Macht, kein agonaler Vorgang mehr, sondern eine Praxis von Verhandlungspartnern, die ihr Zusammenleben permanent schiedlich-friedlich aushandelten. In diesem System ist der Rechte, der weiterhin auf den agonalen Charakter von Politik hinweist, bloß ein Friedensstörer und Sendbote des Bösen. Der aus der Politik angeblich verschwundene Kampf wird auf das Feld der Moral verlegt und nimmt die Form eines – vorerst – geistigen Bürgerkriegs an. Nur wird die Realität durch ihre Verdrängung nicht besser. Heute ist der Rechtsstaat durch die multitribale Gesellschaft akut bedroht. Wenn in einer Klasse 20 Mädchen Kopftücher und nur zwei ihre Haare offen tragen, dann wird nichts mehr ausgehandelt, weil die Machtfrage entschieden ist!

Einzig der in Dresden geborene Schriftsteller Uwe Tellkamp hat es bisher gewagt, gegen die selbstverordnete Blindheit des Kulturbetriebs offen Protest einzulegen. Für die „Erklärung der Vielen“, schrieb er in einem offenen Brief, den er auf dem Portal „Sezession im Netz“ veröffentlichte, würden „sich einige der Unterzeichner vielleicht einmal schämen“. Sie zeige „den viel bestrittenen Gesinnungskorridor ebenso erschütternd wie deutlich“. Mit einem einzigen, langen Satz widerlegte er die Mär einer übermächtigen Offensive von rechts. Es gebe „ein paar rechte oder als rechts verschriene Einmannunternehmen, die auf kleinen Blogs oder in kleinen Zeitschriften gegen die Wucht des Common sense anschreiben, wie ihn bei Themen wie Migration, Klimawandel, Europa, Trump Spiegel, Spiegel online, Zeit, Süddeutsche“ usw., das Redaktionsnetzwerk Deutschland, die meisten Regionalzeitungen, die Talkshows und der Öffentlich-rechtliche Rundfunk verbreiteten.

Galt der Bestsellerautor („Der Turm“) bisher schon als „umstritten“, wird ihm jetzt auch das Etikett „rechtskonservativ“ angeheftet, als letzte Warnung vor dem Stoß in den braunen Orkus gewissermaßen. „Denn da ist nichts / Als vieler Wesen stumme Angst“, heißt es in Peter Huchels „Winterpsalm“. Worüber kann und mit wem soll man in dieser Situation überhaupt noch reden?