© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Pankraz,
der Tod und die Kriege von morgen

November-Ritus: Auf den Volkstrauertag folgt der Totensonntag, auf das liebende und trauernde Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt das bedächtige Räsonnement über Tod und Töten insgesamt. Ist der Tod unser absoluter Feind, das Verhängnis an sich? Oder sollten wir eher vom „Bruder Tod“ sprechen, ohne den Leben gar nicht denkbar ist, der uns begleitet von Anfang an und der selbst unsere „entspannende“ Abendunterhaltung prägt, in Gestalt der televisionären „Tatort“-Folgen, die ohne das ewige, mehr oder minder detaillierte Abbilden von Mord und Totschlag gar nicht möglich wären? 

Und was ist mit dem Krieg, dem Inbegriff von Tod und Tötung, dessen „Abschaffung“ nach allgemeiner Überzeugung unbedingt nötig ist? Läßt er sich überhaupt abschaffen? Erzeugt das Leben nicht vielmehr ständig neue Kriege zwischen den Staaten, Völkern, Stammesgemeinschaften, also flächendeckende, zeitlich sich hinziehende Massentötungen durch Waffengewalt, wobei die Waffen immer effektiver, todeshaltiger werden? Neue Bücher aus den USA wie „The Future of War“ von Lawrence Freedman oder „Future War“ von Robert H. Latiff weisen jedenfalls in diese Richtung.

 „Es ist schwer“, seufzte kürzlich der bekannte australische Historiker und Menschenfreund Christopher Clark, „nicht am Einfallsreichtum der Kriegführer zu verzweifeln und daran, wie sie es verstehen, ihr Handeln mit ethischen Imperativen zu verkoppeln. Und man kann nicht umhin, sich von der kühlen, zustimmenden Prosa beeindrucken zu lassen, in der die Experten der Kriegsstudien ihre Argumente abfassen, als ob Krieg eine menschliche Notwendigkeit wäre und immer sein wird, ein Merkmal unserer Existenz, so natürlich wie die Geburt oder die Bewegung von Wolken.“


Sind Kriege so natürlich wie Geburten oder die Bewegung der Wolken? Festzuhalten bleibt auf jeden Fall: Das Phänomen der Massentötung, das im Zentrum jeder Definition von Krieg steht, gehört tatsächlich zu den primären Formen lebendiger Existenz. Eigenes Leben ist nur möglich durch die Vernichtung fremden Lebens; das gilt nicht nur für den ewigen Kampf der verschiedenen Arten des Lebens gegeneinander, sondern auch für viele Vorgänge innerhalb ein und derselben Art, auch wenn es dort nicht mehr vorrangig um Fressen oder Gefressenwerden oder um Gebiets- und sexuelle Besitzansprüche geht

Religiöse oder quasi-religiöse  Überzeugungen, Dominanzbestrebungen weltlicher Ideologien und Utopien sind vielerorts dazugetreten, was beileibe nicht heißt, daß die Tötungswut deshalb nachgelassen hätte, im Gegenteil. Geistiger Hunger nach der „perfekten Welt“ kann nicht weniger grausam sein als der leibliche Hunger nach einem guten Stück Fleisch. Der mitteleuropäische Durchschnittsbürger wird zur Zeit mit aktuellen Tötungsbildern mit weltanschaulischem Hintergrund regelrecht zugeschüttet! Im Fernsehen Tag für Tag Waffenträger von Nigeria bis nach Syrien.

Hierzulande entwickelt sich eine Diskussion über die Aufstockung des Wehretats und wie man junge Leute nach Abschaffung der Wehrpflicht à la Merkel wieder für den Soldatenberuf interessieren kann. Der alte, von Tucholsky entlehnte 68er-Spruch „Alle Soldaten sind Mörder“ ist längst passé, man feiert wieder soldatische Heldentaten oder empört sich über „soldatische Mord-Exzesse“, je nach Zugehörigkeit zu dieser oder jener politischen Gruppierung. Der Mann, pardon: die Frau im Tarnanzug, mit Helm und schußbereiter Kalaschnikow, ist schon fast zu einem „Label“ tagtäglicher Fernsehnachrichten aus aller Welt geworden.

Angesichts solcher Bilder (und der allpräsenten Tötungsbilder aus den „Tatort“-Krimis) ist man versucht zu sagen: Die hiesigen Leute sind durch die Bank zu Epikureern geworden, welche – obwohl sterblich wie alle Menschen – sämtliche christlichen, ja metaphysischen Bedürfnisse hinter sich gelassen haben und den Tod gar nicht mehr kennen. Epikur, im alten Griechenland der repräsentative Philosoph einer vor Todesdrohungen geradezu strotzenden Endzeit, lehrte bekanntlich: „Wo der Tod ist, da bin ich nicht, und wo ich bin, da ist der Tod nicht. Es ist gewiß, daß er kommt, mehr muß man nicht wissen.“


Glücklicherweise hat der Mann auch noch andere, sehr viel klügere Sachen gesagt, aber darauf läuft es letztlich bei ihm hinaus, und das ist sehr traurig für ihn. Wie kommt ein erklärter Nachdenker dazu, vor der Wirklichkeit  gewissermaßen auszureißen und über die Bedenklichkeiten des Lebens Vorlesungen zu halten, ohne dabei je den Tod ins Auge zu fassen! Wenn es wirklich stimmt, daß der heutige BRD-Staatsbürger ein überzeugter Epikureer ist, so spricht das gegen ihn. Er ist dann nichts weiter als ein Feigling, der sich einzig noch darüber zu ärgern vermag, daß es aus Pietätsgründen am Totensonntag keinen „Tatort“ zu sehen gibt.

Wenn er sich dann auch noch stolz in die Brust wirft, und verkündet, daß er „für die Abschaffung des Krieges“ sei, entlarvt er sich vollends als Ignorant und Phrasendrescher. Kriege kann man gar nicht abschaffen, „kein Pazifist hat das je geschafft“, wie seinerzeit schon der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt maliziös formulierte. Kriege kann man mit kluger Diplomatie und Charakterstärke eventuell verhindern, und man kann sie, wenn sie einmal ausgebrochen sind, einhegen, die Opferzahlen niedrig halten, unbeteiligte Zivilisten vor dem Schlimmsten bewahren.

Die Verhinderung und die Einhegung von Kriegen sind das Gebot der Zukunft, nicht ihre  „Abschaffung“, etwa durch die baldige Ausschaltung der „aggressiven Männlichkeit“, wie sich das einige Feministinnen vorstellen.

Auch Frauen verursachen und führen Kriege, und zwar nicht zu knapp, wie zum Beispiel zu Epikurs Zeiten die Amazonen vorführten, welche sich bekanntlich sogar die Brüste abschnitten, um wirksamer, zielgenauer mit Pfeil und Bogen umgehen zu können. Gott schütze uns vor den Kriegen der neuen Amazonen!