© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Ohne Schuhe ins Büro
Was nützt vegan, bio oder trans, wenn man es nicht barfuß tut?
Verena Rosenkranz

Von der späten Steinzeit bis zum Jahr 2018 waren sie nicht mehr wegzudenken, kurze wie lange Wege wurden damit zurückgelegt, schöne sowie gemütliche Ausführungen ein Muß im Kleiderschrank. Sie zierten die Flagge von Bauernaufständen, Nancy Sinatra sang 1966 schon in ihrem Lied „These boots are made for walking“ davon, und im Märchen von Aschenputtel dreht sich alles nur rund um das schöne Fußkleid. Jahrtausendelang begleiten Schuhe unseren Alltag auf eine selbstverständliche Art und Weise. Unsere Ahnen befanden das schützende Schuhwerk als sinnvoll bei der Arbeit, um weite Strecken zurücklegen zu können und schließlich auch, um seinen sozialen Status zu kommunizieren. 

Ob nun aus Echtleder oder mit fast unüberschaubaren Absätzen – jeder besitzt mindestens ein Paar davon. Doch manche wollen damit nun Schluß machen. Mit einer gar nicht so verkehrten Begründung, wie Ärzte und Therapeuten meinen: Wer nämlich öfter barfuß unterwegs ist, tut nicht nur seinen Füßen etwas Gutes, sondern gleich dem ganzen Immunsystem.  Wer ohne festes Schuhwerk läuft, trainiert seinen Rücken, hat weniger Probleme mit einer Fehlstellung und beugt sogar Krankheiten wie der Grippe vor. 

Wer also im Sommer seltener zu Gartenschlappen oder Sandalen greift und stattdessen das satte Grün im Park an die Zehen oder den Kies am Badesee die Sohlen massieren läßt, sorgt für geistige und körperliche Pluspunkte. Durch die Tritte auf verschiedene Untergründe wird nämlich auch unser Gehirn mit der Verarbeitung und Konzentration gefordert, wie bereits Sebastian Kneipp, Begründer des heute religionsartig ausgeübten Kneippens, feststellte. Die verschiedenen Bodenstrukturen und Umgebungstemperaturen lassen auch die bei Damen unliebsame Hornhaut schrumpfen. Eine Fettschicht unter der Hautoberfläche und eine dickere Lederhaut bilden sich. Verletzungen werden seltener und die gesamte Beinmuskulatur stärkt sich. Allerdings ist auch zu bedenken, daß Zehen, Mittelfuß und Achillessehne stärker belastet werden, weil man nicht mehr über die Ferse abrollt. Deshalb heißt es langsam umsteigen, da sonst Ermüdungsbrüche in den Mittelfußknochen auftreten können.

Barfuß von Rügen bis in die Schweiz

Das alles weiß auch Aldo Berti, ein Schweizer Heilpraktiker, der seit etwa zwei Jahren ohne Schuhe unterwegs ist und vergangenes Jahr mit einer 2.100 Kilometer langen Barfuß-Wanderung von der Insel Rügen bis zum Kloster Einsiedeln in der Schweiz einen Weltrekord aufgestellt hat. Er empfiehlt, mit sogenannten „Barfußschuhen“ anzufangen, um den Umstieg für die Haut leichter zu machen. Ansonsten könnten schon nach einem Kilometer die ersten Blasen auftreten, und das ganz ohne Schuhe. 

Den neuen Trend hat sich auch eine österreichische Firma zu eigen gemacht und maßgefertigte Lederschuhe ohne Absätze oder Taillierungen entworfen. Die ersten Tage damit fühlen sich zwar an wie betrunken auf einem Segelboot, danach sind die sogenannten „Waldviertler“ allerdings nicht mehr wegzudenken. Und beugen auch den strafenden Blicken beim Geschäftsessen vor, falls man als überzeugter „Barefooter“ bloßfüßig vorhat, beim Vertragsabschluß zu sitzen. Andere Firmen wie Giesswein, Leguano oder Vivobarefoot haben Barfußschuhe auf den Markt gebracht und teilweise eigene Geschäfte, zum Beispiel in Berlin, eröffnet. Die Treter sehen aus wie leichte Kletterschuhe oder Wollhausschuhe, besitzen keinerlei Dämpfung oder Absatz und haben eine nur wenige Millimeter dünne Sohle, die beim „Barfußgehen“ vor Schnitten durch Scherben oder scharfen Kanten schützen soll. Dafür sind sie derart leicht und innen weich, daß sich einige wie Strümpfe anfühlen.

Umgesetzt wird das Wissen um die gesundheitlichen Vorteile allerdings oft mit einem aufdringlichen Zwang: nämlich ohne Schuhsohlen sowohl im Supermarkt oder in der U-Bahn als auch unter dem Restauranttisch. Barfuß ist für einige eben nicht nur eine nette Abwechslung, sondern ein unbedingter Lebensstil mit dem Bedürfnis, ihn jedermann mitzuteilen. Wer gestern noch vegan, glutenfrei oder in einer polyamourösen Transbeziehung gelebt hat, ist definitiv nicht auf dem neuesten Stand, wenn er das nicht barfuß tut.