© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Reif für die Geschichtsbücher
Rücktritt angekündigt: Horst Seehofer wird sein Amt als CSU-Parteivorsitzender niederlegen / Innenminister in Berlin will er aber vorerst bleiben
Paul Rosen

Etwas war anders als sonst. Gerade hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen wegen dessen Widerspenstigkeit gegen regierungsamtliche Chemnitz-Wahrheiten entlassen, da mochte der CSU-Chef sich nicht mehr dazu äußern. Im Innenausschuß des Bundestages, wo er fest angekündigt war, ließ er sich am 7. November nicht blicken. Immerhin ging es um die Aufarbeitung der schwersten Krise, die das Regierungsbündnis gerade wegen und mit Seehofer erlebt hatte. Darauf erschienen die ersten Berichte, daß Seehofer als CSU-Chef innerparteilich unter stark wachsendem Druck stehe. 

Wenige Tage später wurde klar, daß in der Partei eine Ära zu Ende gehen würde: In der CSU, wo Ultimaten früher unter maximal vier Augen ausgesprochen wurden, gab es ein öffentliches Ultimatum. Diese Ungeheuerlichkeit beging Edmund Stoiber, der frühere Ministerpräsident und letzte große Wahlsieger nach der Parteilegende Franz Josef Strauß. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung forderte Stoiber am 11. November die Zusammenlegung von Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt. Dem geschwächten Seehofer dürfte sofort klar gewesen sein, daß das kein Faschingsscherz war: Wenn Stoiber, der sonst in Interviews über die Bedeutung des christlichen Abendlandes, aber nie über Parteiinterna zu dozieren pflegt, plötzlich den amtierenden CSU-Chef frontal angeht, dann ist das keine Einzel-, sondern Mehrheitsmeinung der Partei – und Zeit, die Sachen zu packen und zu gehen. „Horst, es ist Zeit“ – diese Gauweiler-Äußerung wird ihm noch wie ein böses Echo in den Ohren gelegen haben.  

Nach einer heftig verlaufenen CSU-Vorstandssitzung wollte Seehofer auch nichts mehr sagen, während Teilnehmer bereits zum Telefon griffen und eine klare Botschaft nach außen verbreiteten: Der Parteichef will nach zehn Jahren aufhören. Mit seinem Rücktritt hatte Seehofer oft genug kokettiert und auch in jüngster Zeit Botschaften verbreitet, er könne ja gehen, „wenn ihr das so wollt“. Bei einem Politiker wie Seehofer, der Ansichten so oft und schnell zu wechseln pflegt wie das Chamäleon die Farbe, stießen die Berichte zunächst auf Skepsis. Doch am Montag sorgte Seehofer im sächsischen Bautzen für Klarheit: „Ich werde das Amt des Parteivorsitzenden der CSU niederlegen.“ Ein neuer CSU-Chef soll offenbar auf einem Sonderparteitag im Frühjahr gewählt worden. Innenminister will Seehofer bleiben – vorerst wenigstens, denn auch da gibt es andere Gerüchte, nach denen er selbst davon gesprochen habe, ein „Durchwursteln“ auf dem Posten könne es nicht geben. SPD- und Grünen-Politiker fordern bereits seinen Rücktritt.

Macht miteinander teilen, um sie zu behalten

Was bleibt von Seehofer? Genau wie seine große Widersacherin Angela Merkel steht sein Name für den beispiellosen Niedergang der Union. Reif für die Geschichtsbücher sind seine Feststellungen über Merkels Politik als „Herrschaft des Unrechts“ und die Migration als „Mutter aller Probleme“. Doch in der andauernden Asylkrise und angesichts der grünen Anwandlungen der großen Schwesterpartei blieb der heute 69jährige Konsequenzen in der Praxis schuldig. Die bayerischen Wähler quittierten das zuletzt mit 37,2 Prozent. 

Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte Markus Söder, Seehofers Nachfolger als Ministerpräsident, ihn auch als Parteichef beerben. Der sich immer wieder selbst ins Gespräch bringende Europapolitiker Manfred Weber verwechselt seine Beliebtheit in den Medien mit der bei den bayerischen Wählern – ein tragischer Fehlschluß. 

Sollte die CSU Seehofer als Innenminister ersetzen müssen, kommt fast niemand anders als der bayerische Innenminister Joachim Herrmann in Frage; er war 2017 ohnehin für den Wechsel nach Berlin vorgesehen und wäre der erste seit Otto Schily (SPD), der Fachwissen für das schwierige Amt mitbringen würde. Die andere Variante, eine größere Kabinettsumbildung, würde es wohl erst nach einem Ausscheiden von Kanzlerin Merkel oder einem Zerbrechen der Großen Koalition geben. 

Es ist wieder eine dieser Ironien der Geschichte, daß Merkel und Seehofer nach jahrelangem zermürbendem Kampf gegeneinander nun zum selben Rettungsring greifen: Sie teilen Macht, um sie zu behalten. Nutzen wird es ihnen am Ende wohl nichts.