© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Reise in die Vergangenheit
Fortuna Düsseldorf will mit einem Erinnerungskoffer demenzkranken Fans helfen
Alexander Graf

Für Fußballfans ist ihr Verein fester Bestandteil der eigenen Identität. Ob am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, treffen Fans aufeinander und erkennen sich als solche, beginnen oft leidenschaftliche Diskussionen über die  jeweilige Liga und Pokalwettbewerbe. Der Verein begleitet den Fan durch sein ganzes Leben: von der Kindheit nicht selten bis zum Tod. Doch was, wenn im Alter die Erinnerung verblaßt, wenn der Vereinsanhänger an Demenz erkrankt? 

Die Krankheit löscht nach und nach die Persönlichkeit und das Gedächtnis des Betroffenen aus. Die Erinnerungen an das, was ihm einmal wichtig war und was ihn ausgezeichnet hat, verschwinden. Mit dem Fortschreiten wird es immer schwieriger, die Erkrankten noch zu erreichen. 

Um sie wieder daran zu erinnern, wer sie sind, können ihnen Objekte helfen. „Mit Erinnerungsstücken möchten wir bei den Demenzkranken etwas wachrufen, denn das Langzeit-Gedächtnis funktioniert bei den meisten ja noch“, erklärt der Diplom-Geragoge Peter Tonk vom Demenz-Zentrum Düsseldorf der Westdeutschen Zeitung das ursprünglich aus Großbritannien stammende Konzept.

Diesen Ansatz hat der Fußball-Bundesligist Fortuna Düsseldorf mit einem eigenen sogenannten Erinnerungskoffer aufgenommen. Denn es gelte mittlerweile als wissenschaftlich erwiesen, daß die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit auch positive Ergebnisse für die augenblickliche Verfassung von Demenzpatienten habe. Wenn eine Person sich in ihrem Leben viel mit Fußball beschäftigt habe, könne der Sport Erinnerungen wieder aktivieren, heißt es auf der Internetseite des Fußballbundesligisten. 

Andere Vereine haben ihr Interesse bekundet

Die Hoffnung der Verantwortlichen hinter dem Projekt ist, den Demenzkranken so wieder etwas mehr Lebensqualität zu schenken. Tonk, der die Pilotphase koordinierte, betont: „Wir möchten mit dem Fortuna-Demenzkoffer das Selbstwertgefühl und das Wohlbefinden der Erkrankten steigern. Kurz gesagt: Wir wollen Freude bereiten.“

Damit sich die Anhänger des Traditionsclubs wieder an Höhepunkte aus ihrem Fan-Leben erinnern können, hat der Verein den Wander-Koffer mit allerhand Devotionalien vollgepackt. So entstand eine bunte Mischung aus Schals, alten Plakaten, Fotos, Eintritts- und Autogrammkarten, Fahnen, Anstecknadeln und Zeitungsausschnitten über die Düsseldorfer Fortuna. Auch Trikots und Fußballschuhe fanden Eingang in die Sammlung. 

So können sich die betroffenen Fortuna-Anhänger durch die Erinnerungsstücke in die Zeit der großen Erfolge ihres Vereins zurückversetzen. Zugegebenermaßen liegen die schon etwas zurück: Der letzte Pokalsieg datiert aus dem Jahr 1980, den deutschen Meistertitel errang der Club vom Rhein bislang einmal; vor 85 Jahren. Aber das stört den echten Fan nicht, er bleibt auch beim Abstieg treu. 

Um den Kofferinhalt an die Erkrankten zu bringen, schulte die Fortuna Oktober 2017 zwölf Ehrenamtliche für regelmäßige Besuche in Pflegeeinrichtungen. Nach einer zweimonatigen Testphase können sich Interessenten direkt an den Verein wenden. Wie es von seiten der Rheinländer heißt, hätten sich bereits weitere Einrichtungen gemeldet, um den Fan-Koffer zu bestellen. 

Bislang ist die Düsseldorfer Fortuna der einzige Fußballverein in Deutschland mit diesem Angebot. Es sollen sich jedoch bereits zwei weitere Fußball-Clubs gemeldet haben, die wissen möchten, welche Erfahrungen mit dem Koffer gemacht wurden. Sie hätten signalisiert, gegebenenfalls auch entsprechende Koffer für ihre demenzkranken Fans packen zu wollen. 

So könnten vielleicht bald Aufrufe an die Sammler von Fan-Artikeln ergehen, doppelte Stücke aus den vergangenen Jahrzehnten für einen guten Zweck ihrem Verein zurückzugeben. Angesichts der derzeit rund 1,7 Millionen Demenzkranken in Deutschland können die Koffer eine sinnvolle und praktische Methode sein, um bei den Betroffenen wieder die Begeisterung für das runde Leder und die eigene Erinnerung wachzurufen.