© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Umwelt
Hühner im Atomkrieg
Volker Kempf

Der Erste Weltkrieg wurde vielerorts noch mit berittenen Einheiten geführt, Kanonen waren ohne Pferde oft unbeweglich. Im unwägbaren Gelände von Stalingrad kamen Pferde 25 Jahre später wieder vermehrt zum Einsatz. Das 20. Jahrhundert als „Das letzte Jahrhundert der Pferde“ zu bezeichnen, wie das Ulrich Raulff mit seinem gleichnamigen Buch (C. H. Beck 2018) macht, mag bei Militär und Agrarwirtschaft zutreffen. Aber letztlich zogen sich die Pferde in die Bereiche Freizeit und Sport zurück. Malin Gewinner weitet das Thema ihrer „Enzyklopädie Anthropomorpha: Tiere im Krieg“ (Matthes & Seitz 2017) auf 32 Tierarten aus. Hunde waren oft im Meldewesen im Einsatz. Tauben wurden zu Nachrichtenüberbringern. Delphine werden zur Minensuche eingesetzt. Und im Tokioter Yasukuni-Schrein wird nicht nur 2,47 Millionen Gefallenen gedacht, sondern auch Pferden, Hunden und Brieftauben.

Wissensexplosion und Technickverbreitung machen Mensch und Tier arbeitslos.

Kurios mag der militärische Einsatz von Hühnern anmuten, die sich aus dem Agrar- ins Atomzeitalter verirrt hatten. Die Royal Navy wollte Atombomben und deren Fernzünder durch Hühner warm und damit funktionsfähig halten. Die Pläne wurden nach vier Jahren aber 1958 aufgegeben, vermutlich hat die Perfektion der Technik diese Tiere doch militärisch überflüssig gemacht. Und die Wissensexplosion, die immer mehr Bereiche durchdringt, macht Mensch und Tier weitgehend arbeitslos. Für die Tiere ist das von Vorteil, weil sie für Kriegseinsätze immer entbehrlicher werden. Aber Hühner wurden im Golfkrieg 1991 erneut in Dienst gestellt, sie waren als Frühwarnsysteme gegen mögliche Giftgasangriffe im Einsatz. Der britische Zoologe Desmond Morris bezeichnete Mensch und Tier als Schicksalsgemeinschaft. Im Krieg wird das bis ins 20. Jahrhundert hinein deutlich, mit Grenzsituationen für beide. Gut, daß sich die Zeiten wohl geändert haben.