© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Selbstdarstellung, Selbstquälerei
Innere Leere überzeugend dargestellt: Malte Wirtz’ Drama „Nur ein Tag in Berlin“ erzählt von der Begegnung zweier junger Frauen
Sebastian Hennig

Eine Improvisation mit dokumentarischen Eigenschaften ist dieser Spielfilm von Malte Wirtz geworden. In weniger als 24 Stunden war das Material für „Nur ein Tag in Berlin“ im Kasten. Die Ausgangslage ist übersichtlich gestaltet. Zwei Freundinnen treffen sich in Berlin. Sie vertreiben sich dort die Zeit bis in den frühen Morgen hinein. Die Kamera verfolgt sie während einer Schiffstour, in Bars, wie sie nächtens auf dem Balkon ihrer Gästewohnung schwadronieren, durch die Berliner Straßen ziehen, in den Klubs versacken und von dort schließlich einer Zufallsbekanntschaft in dessen Wohnung folgen. Zuspitzen tut sich dabei kaum etwas. Nur einige Enttäuschungen reihen sich aneinander.

Auf den dunklen Seitenstreifen neben dem quadratischen Filmbild laufen zuweilen schriftliche Sprachmitteilungen ein. Der Regisseur nutzte diese zugleich als Impulse an seine Akteure, um den Lauf der Handlung anzutreiben, wenn denn von einer solchen überhaupt die Rede sein kann. Außerdem orientiert die Zeitangabe der jeweiligen Nachrichten den Zuschauer über den Zeitverlauf dieses zähen Abends.

Außer der Selbstquälerei und der gegenseitigen Grausamkeit erleben die beiden jungen Frauen nämlich nichts Besonderes. Antriebslosigkeit und Langeweile bestimmen ihre Situation. Die Männer treten nicht in Erscheinung. Sie würden gewiß Kurzweil in das Geschehen bringen. Doch Linda (Sophie Reichert) weicht der Entscheidung für Thomas aus, und der ehrgeizige Jo entzieht sich immer wieder einem Treffen mit Mia (Bea Brocks). Beide Frauen befürchten zudem, daß die Begegnung ihre Haltung erschüttern könnte. Dabei sind sie sich ihrer Vorsätze auch so schon kaum gewiß. 

Der Film ist in sechs Kapitel unterteilt, die locker mit Alkohol, Geschwätz und Drogen zusammengekittet sind. Linda wird eingangs unter einer S-Bahn-Brücke von Mia willkommen geheißen. Sie umarmen sich und zeigen für Minuten ein makelloses Zahnspangen-Lächeln. Die Gesichter sind durch Cremes und Schminke vereinheitlicht, die Haare von der vielen Pflege dünn und strapaziert. Schönheit, Freude und Heiterkeit sind Lebensaufgabe.

Doch bald fällt die eingeübte Spannung ab, und die Gesichter werden lang, die Freudlosigkeit bemerkbar. Mia setzen ihre Schulden zu. Sie erwägt Jo zu erpressen, den verheirateten Mann, mit dem sie eine Affäre hatte. Doch das erkorene Opfer ist zu beschäftigt, vertröstet sie von einer Stunde auf die andere. Schließlich bestellt Jo seine Gespielin in eine triste U-Bahn-Station, um ihr dann per Kurznachricht dennoch abzusagen. Linda kommentiert das herzerfrischend: „Und den findest du gut?“ Freilich passen sie zusammen in ihrer Unzuverlässigkeit, ihrer Selbstsucht und der verletzenden Art des Umgangs.

Für eine Nacht den Freund ausgespannt

Linda will in Berlin eigentlich mit Thomas zusammentreffen. Der schreibt ihr unverblümt, daß er sie heiraten und Kinder von ihr haben will. Sie dagegen kann sich nicht entscheiden, gibt das Verhältnis für eine Freundschaft aus. Mia bestärkt sie in ihrem Zweifel und ermuntert sie, Thomas fahrenzulassen. Weil sie selber niemanden zu halten vermag, rät sie zur Trennung. Später wird sie der Freundin gestehen, wie sie ihr für eine betrunkene Nacht Thomas ausgespannt hat. Linda muß das geahnt haben, und doch trifft sie die Eröffnung schwer. Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappt sie nach Luft. Immer wieder schiebt sich ihr Unterkiefer nach vorn. Mia erkennt schließlich: „Du bist tausendmal verrückter als ich.“ Linda gesteht, nur verzweifelter zu sein.

Einige Szenen spielen in einer über die Internetplattform „Airbnb“ angemieteten Berliner Wohnung. Als dort ein weiterer Gast eintrifft, der Schauspieler ist, wird dieser sogleich engagiert. Sobald die beiden Frauen nicht mehr in ihrem eigenen Saft schmoren, tritt ihre Situation deutlicher zutage. Jener Jens erkennt sofort Mias Wesen, und er sagt es ihr auf den Kopf zu. 

Inhaltlich ist „Nur ein Tag in Berlin“ so etwas wie eine aktualisierte Fassung von Fontanes Berliner Frauenromanen im formalen Gewand einer preußisch-digitalisierten Version von „Katzelmacher“. Dieter Krusches Charakterisierung von Fassbinders zweitem Film trifft auch auf „Nur ein Tag in Berlin“ zu: „Aus einem Nichts an Handlung hat Fassbinder unter Verzicht auf traditionelle filmische Mittel einen bemerkenswerten Film gemacht … Innere Leere ist selten überzeugender dargestellt worden.“

Verdrießlich stimmt nicht der ästhetische Ansatz des Films, sondern sein erzählerischer Rohstoff. Eine Verärgerung, die bei manchen Szenen in einem aufsteigt, wird ausgelöst von seinem dokumentarischen Naturalismus. Leider ist es zumeist genau so, wie es hier gezeigt wird. Dem kommt entgegen, daß die professionelle schauspielerische Leistung der jungen Frauen an ihrer natürlichen Neigung zur Selbstdarstellung und ständigen unbewußten Wirkungskontrolle anknüpfen kann. Koketterie und Gefühl für Dramatik sind eineiige Zwillingsschwestern. Vertraute Emotionen werden für den Film mit gespielten Affekten garniert. Das Unglaubwürdige dieses Hickhacks wirkt darum sehr glaubwürdig. Die innere Leere ist zwar überzeugend dargestellt, aber einen anderthalbstündigen Film erfüllt sie darum noch nicht mit Gehalt.