© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Die Unsicherheit wächst
UN: Der Pakt für eine „sichere, geordnete und reguläre Migration“ irritiert die Gemüter der Aufnahmeländer
Curd-Torsten Weick

Es soll der große Wurf werden. Am 10. und 11. Dezember 2018 geben sich die Staats- und Regierungschefs sowie hohe UN-Vertreter in Marrakesch, Marokko, ein Stelldichein, um den globalen Pakt für eine „sichere, geordnete und reguläre Migration“ zu verabschieden. 

„Wir bekräftigen die Erklärung von New York für Flüchtlinge und Migranten und sind entschlossen, einen wichtigen Beitrag zur verstärkten Zusammenarbeit in der internationalen Migration in all ihren Dimensionen zu leisten“, heißt es zu Beginn des endgültigen Entwurfs des Global Compact for Migration (GCM), der Mitte Juli 2018 nach mehr als einem Jahr der Diskussionen und Beratungen vorgestellt wurde. 

Österreich sieht einige Punkte kritisch 

Miroslav Lajcák, Präsident der Generalversammlung, sprach von einem „historischen Moment“ und würdigte das „enorme Potential“ der Vereinbarung. Zum ersten Mal in der Geschichte hätten die UN-Mitgliedsstaaten einer „allumfassenden weltweiten Vereinbarung zugestimmt“, um die „internationale Migration besser zu steuern, Herausforderungen zu meistern, die Rechte von Migranten zu stärken und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern“.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres feierte die Vereinbarung als eine „bedeutende Errungenschaft“. Sie reflektiere das „gemeinsame Verständnis der Regierungen, daß grenzüberschreitende Migration ein internationales Phänomen ist und daß die effektive Steuerung und Gestaltung von Migration der internationalen Kooperation bedarf, damit die positiven Auswirkungen für alle sichergestellt werden können“. 

Positive Auswirkungen für alle? Nicht sämtliche Ziele, die laut UN alle Aspekte von Migration, „einschließlich der Verbesserung der Verfügbarkeit legaler Wege, der Förderung ethischer Arbeitsstandards, der Bekämpfung illegalen Handels und der Erleichterung einer würdevollen Rückkehr“ abdecken, kommen in den Aufnahmeländern gut an.   

So machte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Mitte vergangener Woche keinen Hehl aus seinem Unbehagen. Die schwarz-blaue Bundesregierung habe eine klare Haltung, denn sie sehe „einige Punkte“ des Paktes „sehr kritisch“. Entsprechend werde sie alles tun, um die Souveränität „unseres Landes“ aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, daß Österreich auch in Zukunft in Migrationsfragen selbst entscheiden könne, so der ÖVP-Chef. Das konkrete Vorgehen werde nun beraten. Sicher sei, daß es einen „völkerrechtsverbindlichen Vorbehalt“ geben werde. 

Um welche kritischen Punkte es sich dabei handelt mochte Kurz auf der Ministerratspressestunde nicht sagen. Der 32jährige verwies jedoch auf „Diskurse“, bei denen es darum gehe, ob der Migrationspakt, der laut UN rechtlich nicht verbindlich, aber politisch bindend ist, doch „rechtsverbindlich“ werden könnte. Die Regierung stehe dazu in engem Kontakt mit Staaten wie der Schweiz, so der Bundeskanzler.

Fast parallel dazu beschloß der Schweizer Bundesrat, dem Uno-Migrationspakt mit einer Erklärung zuzustimmen. Dieser Schritt entspreche einem langjährigen Engagement der Schweiz zur Stärkung der „globalen Migrationsgouvernanz“. Die Schweiz, so die Stellungnahme der Regierung weiter, sei auf „internationale Zusammenarbeit angewiesen“ – zum Beispiel in den wichtigen Bereichen „Reduktion irregulärer Migration“, „Stärkung des Schutzes in den Herkunftsregionen“ oder der „zielführenden Umsetzung der Rückkehr“. 

Laut Bundesrat entspricht der Migrationspakt „vollumfänglich“ den Interessen der Schweiz im Migrationsbereich. Ob es dabei um mehr Hilfe vor Ort gehe, ob um die Bekämpfung des Menschenhandels und -schmuggels, um sichere Grenzen, die Beachtung der Menschenrechte, Rückführung und Reintegration sowie die nachhaltige Integration, so die eidgenössische Regierung, bestehe für die Schweiz kein Handlungsbedarf. 

SVP echauffiert sich über Ja der Regierung  

Der Pakt enthält zehn Leitprinzipien und 23 Ziele sowie pro Ziel einen Katalog von möglichen freiwilligen Umsetzungsinstrumenten. Gerade die freiwilligen Umsetzungsinstrumente stellen laut Schweizer Regierung Beispiele dessen dar, was die Staaten nutzen können, um die Ziele zu erreichen, sofern sie dem Kontext und den politischen Prioritäten des Landes entsprechen. Da bei einzelnen Umsetzungsinstrumenten ein Interpretationsspielraum geltend gemacht werden könne, habe der Bundesrat die Sachlage geklärt. 

Nur bei einem einzigen Umsetzungsinstrument bezüglich der Ausschaffungshaft für Minderjährige ab 15 Jahren bestehe eine Abweichung zur gesetzlichen Grundlage in der Schweiz. Da jeder Staat frei entscheiden könne, welche Umsetzungsinstrumente er zur Erreichung der Ziele nutzen möchte, sei diese identifizierte Abweichung kein Hinderungsgrund, dem Migrationspakt zuzustimmen. 

Im Interesse der Schweiz? Die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) ist entsetzt. „Fast nicht zu glauben, aber leider Tatsache ist, daß ein Schweizer Missionschef an diesem Papier, das für die Schweiz und auch Europa verheerende Auswirkungen haben wird, federführend mitgewirkt hat. Und dies im Auftrag des Außenministers?“

Schon im Vorfeld hatten SVP-Parteichef Albert Rösti und Nationalrat Andreas Glarner, Verantwortlicher für Asyl- und Migrationspolitik der SVP, den Bundesrat aufgefordert, diesen Pakt nicht zu unterzeichnen. Er sei nicht vereinbar mit der eigenständigen Steuerung der Zuwanderung und damit der Selbstbestimmung der Schweiz. Vor allem aber solle der Pakt ermöglichen, daß Migranten ungeachtet ihrer Qualifikationen der Zugang zum Wunschland deutlich erleichtert werde. Es sollen legale Routen geschaffen, eine Medienzensur zur ausgewogenen Berichterstattung eingeführt, bereits im Heimatland Sprachkurse des Ziellandes angeboten, der Familiennachzug deutlich erleichtert und auch der Geldtransfer ins Heimatland vergünstigt werden, so die Politiker.

Zwar solle der UN-Migrationspakt nicht rechtlich, sondern „nur“ politisch verbindlich sein. Doch werde die „NGO-Migrationsindustrie“ dies „zu nutzen wissen, um neue staatliche Millionen-Förderprogramme – auf Kosten der Steuerzahler – einzufordern.

Ähnlich sieht es Polens Innenminister Joachim Brudzinski. Er empfahl nun Ministerpräsident Mateusz Morawiecki den GCM nicht zu unterzeichnen. Die USA und Ungarn haben dies bereits im Juli kundgetan. Solange die dänische Souveränität in der Zuwanderungspolitik nicht untergraben werde und der GCM keinerlei rechtlich bindende Wirkung habe, sei eine Unterschrift möglich, hört man dagegen aus Kopenhagen.

Foto: Juan J.G. Camacho (Mexiko) und der Schweizer Jürg Lauber (r.): Die beiden Uno-Botschafter und Co-Moderatoren feiern im Juli den endgültigen Entwurf des Global Compact for Migration, der Anfang Dezember in Marokko von den Staats- und Regierungschefs unterschrieben werden soll