© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Von wegen Petze
„Kein Pranger“: AfD-Politiker widersprechen der Kritik an Informationsportal für Neutralität in Schulen
Christian Vollradt

Für Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist es ein „alberner Mediengag“, der Präsident der Kultusministerkonferenz Helmut Holter (Linkspartei) fürchtet die „Vergiftung des Schulklimas“, Lehrerverbände warnen vor der Denunziation und Einschüchterung der Pädagogen; andere Kritiker sprechen polemisch von einem „Pranger“ oder einem „Petzportal“. Gemeint ist das „Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg“ der AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, das seit einem guten Monat online ist (JF 24/18). 

Mit ihm wollen die Abgeordneten „umfassend über die Rechtsvorschriften rund um das Neutralitätsgebot aufklären“ sowie „ein Bewußtsein dafür schaffen, wie Neutralität in der schulischen Praxis rechtskonform umzusetzen ist und wie sich Betroffene im Falle von Neutralitätsverstößen schulintern zur Wehr setzen können.“ Die AfD warnt vor der Gefahr politischer Indoktrination, der Schüler aufgrund des Über-/Unterordnungsverhältnisses gegenüber den Lehrern ausgesetzt seien, wenn diese sich nicht an das Neutralitätsgebot hielten. Kinder könnten dann „in der Bildung eigener politischer Urteile beeinträchtigt und zu einem bestimmten erwünschten (politischen) Verhalten erzogen“ werden. Demokratie brauche „gegensätzliche Meinungen und eine Streitkultur“. Daher dürfe kein Schüler in Hamburg „Angst haben, im Unterricht seine Meinung zu sagen“. Die AfD verweist auf der Onlineseite auf das Grundgesetz, das Schulgesetz der Hansestadt oder den sogenannten „Beutelsbacher Kompromiß“ (siehe Kasten). Zudem gibt es Empfehlungen, wie bei möglichen Verstößen vorgegangen werden kann. Dabei steht ganz oben, das persönliche Gespräch mit Lehrern oder der Schulleitung zu suchen. Nur in Ausnahmefällen, wenn eine schulinterne Konfliktlösung nicht möglich scheint, sollten über ein Kontaktformular Vorfälle an die AfD-Fraktion gemeldet werden, die dann nach einer Überprüfung „vertraulich an die Schulbehörde weitergeleitet“ würden.

„Die heftigen Gegenreaktionen zeigen, daß wir ganz offensichtlich in ein Wespennest gestochen haben“, resümiert der Vorsitzende der AfD-Bürgerschaftsfraktion, Alexander Wolf, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Ich bin froh, daß wir die wichtige Diskussion über die Bedeutung von Neutralität in der Schule angestoßen haben.“ Selbstverständlich ärgert ihn die Verleumdung aus den Reihen der politischen Gegner. Er könne nur immer wiederholen, daß die Onlineplattform kein Pranger sei, sondern in erster Linie der Aufklärung diene. „Alles ist bewußt zurückhaltend und informativ gehalten,“ so Wolf, der auch schulpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. 

Für eine abschließende Beurteilung sei es freilich noch zu früh. „Uns erreichen viele Hinweise zu Einflußnahmen gegen die AfD im Unterricht, im Rahmen von Unterrichtsprojekten oder in Form von Aushängen in den Schulen“, berichtet der Hamburger Fraktionschef. 

Zahlreiche Schüler hätten zudem ein Diskussionsklima im Politikunterricht erlebt und geschildert, in dem sie sich nicht mehr trauten, „die Flüchtlingspolitik Angela Merkels zu kritisieren, weil sie von Mitschülern undifferenziert als ‘Nazis’ beschimpft würden. In einem weiteren Fall habe ein Musiklehrer am Klavier die Töne A, F und D gespielt und dies dann als „braune Soße“ bezeichnet. 

Das Volk herrscht, nicht das Lehrerzimmer

Die Vorwürfe aus der Senatsverwaltung für Schulen hält Wolf für infam: „Bis vor kurzem hat die Behörde selbst noch ‘Methodentrainings für Lehrkräfte zu rechtspopulistischen Parteien aller Art’ durchgeführt und erst auf unseren Druck hin aus dem Programm genommen“, kritisiert der AfD-Politiker. In einem anderen Fall sei auf einer Veranstaltung der Behörde dazu aufgerufen worden, Vertreter seiner Partei nicht in die Schulen einzuladen. Seit Jahren gebe es „linke Ideologieprogramme“ an Schulen. „Immer wieder setzen Lehrer die politische Bildung einseitig mit dem Kampf gegen Andersdenkende gleich“, dagegen wolle man nun in die Offensive gehen.

Dafür könnte es bald neuen Anlaß geben. So diskutierte die KMK auf ihrer Sitzung vergangene Woche in Berlin über „Demokratie- und Menschenrechtsbildung in Unterricht und Schulalltag“. Dabei solle auch die fachliche Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit gestärkt werden. Die AfD-Plattform indes kritisierte der KMK-Präsident Holter am Rande der Tagung. „Gerade für die Menschen in Ostdeutschland ist das ein No-Go, denn sie haben sich 1989 von Überwachung und Denunziation befreit“, so der Kultusminister Thüringens, der 1987 die Parteihochschule der KPdSU in Moskau als Diplom-Gesellschaftswissenschaftler abgeschlossen hatte.

Inzwischen haben bundesweit AfD-Fraktionen angekündigt, dem Hamburger Beispiel zu folgen und ebenfalls Informationsportale zur Neutralität an Schulen einzurichten. Darauf habe man sich auch bei einer interfraktionellen Sitzung der schulpolitischen Sprecher Anfang der Woche in Berlin geeinigt. Rückenwind gibt es auch von der Parteispitze. „Es geht nicht darum, daß jetzt AfD-freundlicher Unterricht erteilt wird“, betont Parteichef Jörg Meuthen. „Wir wehren uns nur gegen Diffamierungen, etwa wenn von uns als Rassisten gesprochen wird. Oder gegen AfD-Bashing in der Schule, wenn etwa ein Lehrer mit einem ‘FCK AfD-T-Shirt’ im Unterricht erscheint.“ Kritik daran habe nichts mit Denunzieren zu tun. 

Steffen Königer, im AfD-Bundesvorstand zuständig für Schulpolitik, verwies im Gespräch mit der jungen freiheit darauf, daß schon im Juni 2017 die AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg das Thema als Antrag unter der Überschrift „Die Verfassung achten – für eine ideologiefreie Bildung“ eingebracht hatte. Darin forderte sie, an den Schulen die „Meinungsvielfalt zu wahren und dafür Sorge zu tragen, daß der Unterricht zu politischen Themen ausgewogen und kritisch ausgestaltet wird.“ Es sei wichtig, so die Meinung der AfD-Abgeordneten, im Unterricht „verschiedene Sichtweisen zuzulassen“, auch und gerade wenn es um sensible Themen wie Populismus oder Fakenews gehe. „Ansichten, die im Rahmen der Gesetze zulässig sind, sollen ihren Platz in der Diskussion finden können. Die Vorgabe einer ‘gewünschten Meinung’ hat zu unterbleiben.“ Anlaß damals seien Berichte von Eltern gewesen, wonach ihre Kinder in der Schule zum Demonstrieren gegen einen AfD-Landesparteitag aufgefordert worden waren. Für den Potsdamer Landtagsabgeordenten betrifft die Beachtung des Neutralitätsgebots nicht nur das Thema AfD, sondern auch „Themen wie Klimawandel, Einwanderung oder Trump“. Sinn des Portals sei es dann, Verstöße sammeln und nachweisen zu können. Sonst werde doch immer dazu aufgerufen, „rechte“ Vorkommnisse zu melden; „nun drehen wir den Spieß mal um“, zeigt sich Königer erfreut. Auch in Mainz will die AfD-Landtagsfraktion zur Neutralitätswahrung aufrufen. Joachim Paul, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und im Zivilberuf selbst Gymnasiallehrer, brachte dies auf die Kurzformel: „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus, nicht vom Lehrerzimmer!“ Harm Rykena, schulpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen, nannte als Hauptintention, man habe die Erfahrung gemacht, als politische Partei benachteiligt zu werden. Auch er betonte, die Aktion sei kein Pranger. „Ein Pranger ist zum öffentlichen Bloßstellen, hier geht es nicht um Namen“, sagte Rykena, der ebenfalls Lehrer ist, der JF. Er verwies außerdem darauf, daß die niedersächsische Landesschulbehörde selbst ein Online-Meldeportal für Beschwerden unterhält. „Das kennt aber kaum jemand. Uns geht es in erster Linie darum, auf das Problem aufmerksam und die offizielle Beschwerdemöglichkeit bekannter zu machen.“

Um so weniger erfreut zeigten sich die Schulpolitiker der Alternative bei ihrem Treffen in Berlin über ihren baden-württembergischen Kollegen Stefan Räpple. Der Stuttgarter Landtagsabgeordnete war seiner eigenen Fraktion zuvorgekommen und hatte eine Online-Meldeplattform eingerichtet. Dort sollen Lehrer und Professoren namentlich genannt werden können. Sie seien schließlich öffentliche Personen mit hoheitsrechtlichen Aufgaben, argumentiert Räpple. „Für sein Vorpreschen hat er ordentlich was auf den Deckel bekommen“, hieß es aus Teilnehmerkreisen. „Das ist Wasser auf die Mühlen der politischen Gegner und hat das Projekt in Mißkredit gebracht.“ 

Unterdessen hat der mecklenburg-vorpommersche Bundestagsabgeordnete Enrico Komning vergangene Woche eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter der Neuen Friedländer Gesamtschule eingereicht. Grund ist der Auftritt einer als „Storch Heinar“ verkleideten Person, die die Schüler aufgefordert habe: „Zum Erstarren des Blutes unserer Gegner singen wir jetzt: Schwarzbraun ist die Haselnuß!“ „Storch Heinar“ ist eine Satire-Figur aus dem Umfeld der von der SPD-Jugendorganisation Jusos betriebenen Internetseite „Endstation Rechts“. Für den Abgeordneten aus Neubrandenburg ist diese Aktion ein Verstoß gegen das Neutralitätgebot. Verfassungsmäßige Aufgabe der Schule sei es, die freie Persönlichkeit der Schüler zu entwickeln. „Dazu gehört sicher nicht, einer parteipolitischen Figur zu huldigen, die sich im ‘Kampf gegen Rechts’ ausschließlich einer Seite des politisch demokratischen Spektrums verantwortet sieht“, kritisiert Komning. Der Schulleiter gab sich gegenüber der Neubrandenburger Zeitung überrascht von dem Vorwurf. Nirgendwo habe ein SPD-Schild gestanden. 

 www.afd-fraktion-hamburg.de

 www.landesschulbehoerde-niedersachsen.de/

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Beutelsbacher Konsens

Der Beutelsbacher Konsens wurde 1976 als Ergebnis der hitzigen bildungspolitischen Debatten der siebziger Jahre geschlossen. Wesentlicher Inhalt des Kompromisses ist das sogenannte Überwältigungsverbot: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‘Gewinnung eines selbständigen Urteils’ zu hindern.“ Außerdem muß das, „was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen“. Benannt ist der Kompromiß nach dem Sitz der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung im schwäbischen Beutelsbach, wo die entsprechenden Tagungen auf Bundes- und Länderebene stattfanden.