© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Dialektische Theologie
Lauter Brüche: Eine neue Biographie über Karl Barth
Dirk Glaser

Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs erschien in Bern ein Buch mit dem schlichten Titel „Der Römerbrief“. Darin klärte der Verfasser, ein bis dahin unbekannter Dorfpfarrer aus dem Aargau namens Karl Barth (1886–1968), seine Amtsbrüder, die vier Kriegsjahre lang von allen Kanzeln zwischen Dublin bis Petersburg „Gott mit uns“ gepredigt hatten, darüber auf, daß Gott mit keiner Nation ins Feld gezogen war, weil er das „ganz Andere“ sei, das radikal von der Welt Geschiedene. Daher könne es weder einen christlichen Patriotismus noch sonst irgendeine religiöse Rechtfertigung und Vergöttlichung politischer Geschehnisse geben. Auch keinen „religiösen Sozialismus“, wie Barth selbstkritisch einräumte, der sozialdemokratisch orientierten Arbeitern und Bauern bis dahin noch gepredigt hatte: „Nicht wir sollen in den Himmel, sondern der Himmel soll zu uns kommen.“   

Die neue, in der zweiten erheblich veränderten Auflage des „Römerbrief“-Kommentars noch fundamentalistisch zugespitzte Trennung von Gott und Welt spiegelt den von Untergangsängsten durchzogenen Zeitgeist der Nachkriegsära wider, der sich nach dem Zusammenbruch der alteuropäischen Ordnung ausbreitete. Zugleich teilte Barths „dialektische Theologie“ auch gegen den liberalen Kulturprotestantismus aus, der zuvor seinen Frieden mit der Welt der Monarchien geschlossen hatte und 1919 dabei war, sich es auch in den neuen Demokratien bequem zu machen. Nicht zufällig führen viele Fäden von Barths „großem Nein“ zur Welt des Status quo zur gleichzeitig formulierten konservativen Liberalismus-Kritik Spenglers und Moeller van den Brucks. 

Allein wegen des „Römerbriefs“ ohne Promotion und Habilitation 1921 als Professor nach Göttingen berufen, hat Barth dort und später in Münster, Bonn und Basel allerdings den tief ausgehobenen Graben zwischen Gott und Mensch weitgehend zugeschüttet. Das „ganz Andere“ rückte dem Menschen damit wieder näher. 

Die Biographie, die Christiane Tietz dem „bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts“ widmet, dürfte selbst bei religiös Unmusikalischen Interesse für ein hochkomplexes Lebenswerk wecken, das an solchen Volten, Brüchen und Widersprüchen reich ist.

Christiane Tietz: Karl Barth. Ein Leben im Widerspruch. Verlag C.H. Beck, München 2018, gebunden, 538 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro