© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Gender-Wahn in Genf
Der italienische Physiker Alessandro Strumia wurde nach einem kritischen Vortrag sofort suspendiert
Fabian Schmidt-Ahmad

Genau 386 Jahre nach Galileo Galilei muß sich erneut ein Gelehrter aus Pisa für seine Ansichten verantworten. Zwar wird die Untersuchung diesmal von der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) in Genf durchgeführt, der Vorwurf aber auch hier – verletzte Gefühle. Der Physiker Alessandro Strumia hatte sich mit einem Vortrag an der Konferenz „Hochenergiephysik und Gender“ beteiligt. Sein Auftritt geriet zum Skandal, Teilnehmerinnen hätten sich „beleidigt“ gefühlt.

Wodurch genau ist nicht klar. Denn die Veranstalter entfernten Strumias Beitrag kurzerhand aus der Tagungsdokumentation. „Das Komitee ist äußerst verärgert über die Präsentation, die im Vorfeld nicht besprochen wurde, die Angriffe auf einzelne enthält und im Widerspruch zu Werten des Cern steht“, hieß es stattdessen. „Bis zum Ausgang einer Untersuchung“, so eine Cern-Stellungnahme zwei Tage nach dem „inakzeptablen“ Vortrag, ist der Teilchenphysiker „mit sofortiger Wirkung von jeder Tätigkeit suspendiert“. Auch der Europäische Forschungsrat (ERC) hat sich eingemischt: „Ich möchte betonen, daß der ERC entschieden die Prinzipien der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern unterstützt, die Gleichstellung der Geschlechter anstrebt und potentielle Benachteiligungen in allen Unternehmungen bekämpft“, mahnte ERC-Präsident Jean-Pierre Bourguignon. Er wolle den Vorfall mit dem Cern besprechen.

Mit dem „Vorfall“ ist nicht der Rauswurf, sondern Strumias Vortrag gemeint. Zwar dürfte es mit der europäischen Karriere des 49jährigen Familienvaters vorbei sein, jedoch kann sich Strumia sicher sein, den erregendsten Konferenzbeitrag zu Hochenergiephysik und Geschlecht geliefert zu haben. Ein Manuskript der Präsentation zeigt, wohin die Reise ging. „Normalerweise interessiert es uns nicht, warum sich Physiker nicht gleichförmig verteilen“, heißt es zu Beginn. „Doch nun haben wir Gender-Konferenzen.“ Tatsächlich gibt es in der Physik eine auffällige Geschlechterdiskrepanz.

Von 50.000 Physikstudenten in Deutschland sind 14.000 Frauen, listet das Statistische Bundesamt auf – ein Anteil um die 28 Prozent. Blickt man auf die universitäre Forschung und Lehre, schmilzt der Physikerinnenanteil noch weiter. Unter den derzeit 209 Trägern des Physik-Nobelpreises befinden sich nur drei Frauen: Marie Curie für die Entdeckung der Radioaktivität, Maria Goeppert-Mayer für die der nuklearen Schalenstruktur und aktuell Donna Strickland für Erfindungen in der Laserphysik.

Eine Ideologie mit eigenem Glaubensbekenntnis

Um diese Ungleichverteilung zu erklären, stellt Strumia zwei Hypothesen vor. Die Mainstream-Theorie behauptet, Frauen seien in der Wissenschaft systematisch benachteiligt und dadurch unterrepräsentiert. „Wissenschaft, besonders Physik, ist nicht nur sexistisch, sondern auch rassistisch“, zitiert Strumia die 83jährige US-Philosophin und Feministin Sandra Harding. Die  entgegengesetzte Theorie dagegen behauptet, Physik stehe zwar allen Menschen gleichermaßen offen, jedoch erfordere sie besondere Fähigkeiten und Interessen.

Beide Hypothesen überprüft Strumia mit der Datenbank „inSpire“ für Hochenergiephysiker. Er stellt fest, daß Männer in ihrer Wissenschaftskarriere durchschnittlich länger arbeiten und häufiger zitiert werden müssen, bevor sie mit einer Anstellung rechnen können. Anders als die Mainstream-Theorie behauptet, werden Frauen also bevorzugt. Das „Gleichstellungsparadoxon“, demnach trotz Frauenförderung der weibliche Anteil von Frauen in den naturwissenschaftlichen Fächern sinkt, beruhe laut Strumia einfach auf falschen Annahmen.

Die andere Theorie geht von einem natürlichen Unterschied aus, durch den Männer und Frauen verschiedene Präferenzen besitzen. „Männer bevorzugen es, mit Dingen zu arbeiten und Frauen mit Menschen“, zitiert Strumia den Londoner Psychologen Simon Baron-Cohen. Zwar besäßen Männer und Frauen im Schnitt den gleichen Intelligenzquotienten, jedoch sei bei ersteren die Varianz höher. Einer großen Anzahl von hochbegabten Männern stehe also eine große Zahl minderbegabter gegenüber, die dann kaum Physiker werden könnten.

Die Erwartungen, die sich aus diesem Modell ergeben, passen zum empirischen Befund aus „inSpire“, rechnet Strumia vor. Männer und Frauen hätten tendenziell unterschiedliche Neigungen und Möglichkeiten. Die M-Theorie sei dagegen falsifiziert. Dennoch funktioniere sie, „denn es ist ganz einfach der übliche Sexismus: Frauen und Männer in ihrer traditionellen Rolle als Opfer einerseits, Beschützer und Versorger andererseits. Es ist blinde, menschliche Biologie, wie sie bereits vor Jahrtausenden in den Savannen Afrikas gelebt wurde.“

Selbstverständlich seien Marie Curie und andere in der Physik willkommen, stellt Strumia fest. Sie müssen nur zeigen, was sie können. „Physik ist nicht sexistisch gegenüber Frauen. Aber die Wahrheit interessiert in diesem Zusammenhang nicht, da sie Teil eines politischen Schlachtfeldes von außerhalb geworden ist.“ Verantwortlich macht hier der Italiener die Ideologie eines „Kulturmarxismus“, der in den Wissenschaftsbetrieb hineindrückt. Eine Ideologie mit eigenem Glaubensbekenntnis.

„Cern ist eine kulturell vielfältige Organisation, die Menschen verschiedenster Nationalitäten zusammenbringt“, heißt es zur Begründung für den Rauswurf von Strumia. „Sie ist ein Platz, wo jeder willkommen ist und alle die gleichen Möglichkeiten haben, unabhängig von ihrer Abstammung, ihres Glaubens, ihres Geschlechts oder sexueller Orientierung.“ Die Behauptung, in der Physik würden sich Hochbegabte sammeln, sollte Strumia noch einmal überdenken, denn zumindest am Cern hat die Quoten- die Quantenphysik besiegt.





Genfer Kernforschungszentrum Cern

Die im Kanton Genf beheimatete Europäische Organisation für Kernforschung (Cern) wurde 1954 gegründet. Ursprünglich im zivilen Atomenergiebereich tätig, wurde das Cern mit seinen großen Teilchenbeschleunigern zur Erforschung des Aufbaus der Materie weltbekannt. Die Größe der Beschleuniger, mit denen winzigste Teilchen zur Kollision gebracht werden, wuchs ständig. Je höher die Energie beim Zusammenstoß ist, desto exotischer sind die Teilchen, die dabei entstehen. Von 1989 bis 2000 war der Large Electron-Positron-Collider (LEP) in Betrieb. Für diesen ringförmigen Beschleuniger wurde ein Tunnel mit einer Länge von 27 Kilometern gebaut. Diese Röhre wurde auch für den Large Hadron Collider (LHC) verwendet, der 2008 in Betrieb ging. Von 2009 bis 2015 leitete der deutsche Physikprofessor Rolf-Dieter Heuer das Cern. 2016 wurde erstmals eine Frau, die Italienerin Fabiola Gianotti, Generaldirektorin des Cern.

Stellungname „Promoting gender equality in theoretical physics“ der Cern-Leiter Fabiola Gianotti and Gian Giudice:  home.cern