© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Warum der Dexit juristisch und praktisch machbar ist
Die bessere Alternative
Bruno Bandulet

Daß man aus Eiern ein Omelett machen kann, aber aus dem Omelett keine Eier, leuchtet ein. Auf eine Währungsunion paßt das Bild dennoch nicht. Es ist sehr wohl möglich, aus einzelnen Währungen ein Gemeinschaftsgeld zu konstruieren und sie später wieder herauszulesen. Daß eine solche Trennung in die Katastrophe führen und mit unverantwortlich hohen Kosten verbunden sein muß, ist eine Legende, die nur dazu dient, die Unumkehrbarkeit des Euro zum Tabu zu erklären.

Die Finanzgeschichte kennt zahlreiche Fälle von Währungszusammenschlüssen, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen wieder aufgelöst wurden. Jüngere Beispiele sind das Ende der Rubel-Zone oder auch die Teilung der Tschechoslowakei in zwei souveräne Staaten. Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Andrew K. Rose hat 69 Austritte von Staaten oder Territorien aus einer Währungsunion im Zeitraum von 1946 bis 2005 untersucht. Er fand heraus, daß in den meisten Fällen die makroökonomische Volatilität sowie die wirtschaftlichen Kosten niedrig ausfielen. Die Behauptung, ein Exit aus dem Euro wäre nicht beherrschbar, ist maßlos übertrieben. Festzustellen ist: Wenn die politisch Verantwortlichen nach reiflicher Abwägung zu dem Schluß kommen, der Verbleib in der Europäischen Währungsunion schade ihrem Land langfristig mehr als ein Austritt, dann verpflichtet sie ihr Amtseid, den Exit in die Wege zu leiten. Zumindest sollten intelligente Austrittspläne schon jetzt in der Schublade liegen. Alternativlosigkeit ist keine Politik. Sie macht Deutschland wehrlos und erpreßbar.

Selbst Insider sind sich nicht sicher, ob die Bundesbank für den Fall der Fälle einen Plan B ausgearbeitet hat. Zuzutrauen ist es ihr. Während des Kalten Krieges hatte sie eine DM-Ersatzwährung drucken lassen und gebunkert – vermutlich für den Fall, daß die Sowjetunion den Wert der D-Mark mit einer Flut von gefälschten Banknoten unterminieren würde. Die Geheimhaltung funktionierte.

Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, daß das Eurosystem so konstruiert ist, daß sich die einzelnen Zentralbanken durchaus wieder herauslösen lassen:

Sie haben ihre finanzielle, administrative und institutionelle Autonomie behalten.

Sie sind Anteilseigner der EZB, ihnen gehört die Europäische Zentralbank – nicht umgekehrt.

Sie haben nur einen kleinen Teil ihrer Gold- und Devisenreserven übertragen, die Bundesbank zum Beispiel 10,43 Milliarden Euro.

Sie lassen die Banknoten drucken und setzen sie in Umlauf.

Auch die umfangreichen Käufe von Staats- und Unternehmensanleihen wurden fast ausschließlich von den nationalen Notenbanken getätigt. (...)

Auch aus rechtlicher Sicht stehen dem Dexit keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen. Ein Austritt aus der Währungsunion (anders als der aus der EU) ist vertraglich allerdings nicht vorgesehen – ein Manko, das dringend behoben werden muß. Ein (sehr theoretischer) Exit könnte so ablaufen, daß Deutschland aus der EU und damit aus der Währungsunion austritt und sofort wieder eintritt, nur ohne die Mitgliedschaft im Eurosystem zu erneuern. Oder die Bundesrepublik bemüht das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge und beruft sich gemäß Artikel 62 auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, das heißt auf die clausula rebus sic stantibus. Erhebliche Vertragsverletzungen dürften sich leicht nachweisen lassen. Allerdings ist Artikel 62 um so weniger anwendbar, je mehr sich die Bundesregierung auf eine Haftungs- und Transferunion einläßt. Denn damit zerschlägt sie selbst die Geschäftsgrundlage des Maastrichter Vertrages. (...)

Gesetzlich zu regeln sind bei einem Dexit, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen: die Beendigung des Euros und die Einführung der Neuen Deutschen Mark (NDM) als gesetzliches Zahlungsmittel, die Umstellung (am besten 1:1), die Umtauschberechtigung, die Geltung von alten Verträgen, das den Bund betreffende Münzgesetz sowie die Aufgaben und Rechte der Bundesbank. Dafür muß nur auf das Gesetz über die Deutsche Bundesbank in seiner früheren Fassung zurückgegriffen werden.

Zum Umtausch nur deutsche Staatsbürger zu berechtigen und alle Ausländer auszuschließen wäre nicht fair. Statt dessen sollten alle Personen mit Steuersitz in Deutschland mit ihrem Bargeld und ihrem Bankguthaben in den Genuß der Umstellung 1:1 kommen. Daß andere, unberechtigte Ausländer Strohmänner in Deutschland einschalten, um an die NDM zu kommen, wird sich nicht ganz vermeiden lassen. (...)

Da sich die Dexit-Vorbereitungen nur für eine begrenzte Zeit geheimhalten lassen, ist mit einer Kapitalflucht nach Deutschland zu rechnen, weil es für Ausländer lukrativ sein wird, Euros auf ein deutsches Konto zu überweisen und am Tag X in NDM wechseln zu lassen. Eindämmen läßt sich der Zufluß von unerwünschten Euros aus dem Ausland durch die Festlegung eines Stichtages, bis zu dem umgetauscht werden kann, durch den Nachweis eines deutschen Steuersitzes oder notfalls durch vorübergehende Kapitalverkehrskontrollen. Die Schweizerische Nationalbank hat Erfahrung mit Maßnahmen gegen eine übermäßige Vorliebe ausländischer Investoren für die Fluchtwährung Franken. Das Risiko, daß die NDM zur Fluchtwährung wird, ist ein Luxusproblem, verglichen mit der Kapitalflucht, auf die sich Schwachwährungsländer gefaßt machen müssen, die den Euro verlassen wollen. (...)

Die Finanzgeschichte kennt zahlreiche Fälle von Währungszusammenschlüssen, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen wieder aufgelöst wurden. Ein jüngeres Beispiel ist die Teilung der Tschechoslowakei in zwei souveräne Staaten. 

In Deutschland hingegen wäre alles leichter beherrschbar. Der Export würde zwar verteuert, die Exportfirmen müßten Einbußen hinnehmen, und der Überschuß der Handelsbilanz würde zugunsten der Binnenkonjunktur abschmelzen. Vermutlich würde sich die zunächst drastische Aufwertung der NDM wieder abbauen, sobald die Bundesbank durch Verkäufe ihrer Währung gegen Euro oder Dollar gegensteuert und sobald sich das Wirtschaftswachstum wegen der Einbrüche im Export abschwächt.

Ob die NDM wirklich auf lange Sicht gegen den Euro um, sagen wir, 25 bis 30 Prozent aufwertet, ist nicht sicher. Das hängt auch davon ab, wie die Geldpolitik des Eurosystems reagiert. Gegen den Dollar ist eine vergleichbare Aufwertung nicht zu erwarten, was dem deutschen Export in den Rest der Welt zugute käme.

Wer nicht glaubt, daß eine in der Tendenz aufwertende Hartwährung der Wirtschaft nicht schadet, sondern nutzt, daß sie eine Sozialdividende abwirft und den Lebensstandard und den Reichtum eines Landes hebt, braucht nur die Erfolgsgeschichte der Schweiz und des Frankens zu studieren. Der Franken ist die härteste Währung der Welt seit 1914! In der Summe kann ein Land mit relativ gesunden Staatsfinanzen, mit mäßiger Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors und mit einer starken wirtschaftlichen Basis den Exit aus der Währungsunion ungleich leichter bewältigen als jedes Krisenland in Südeuropa, auch als Frankreich.

Die Währungssouveränität zurückzuerobern ist ein Gewinn an sich. Eine selbstbestimmte Währung ermöglicht es, die Geldpolitik auf die eigenen Bedürfnisse zuzuschneiden, die Zukunft zu gestalten und das Schicksal wieder in die eigene Hand zu nehmen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden die einmaligen Dexit-Kosten geringer ausfallen als die langfristigen Kosten eines Verbleibes im Euro. Und als gute Europäer würden die Deutschen mit dem Dexit ganz Südeuropa einen Gefallen tun.

Auf absehbare Zeit realistisch ist das hier dargelegte Szenario eines harten Dexit dennoch nicht. Erstens ist dafür im Bundestag keine Mehrheit zu bekommen, solange sich die Machtverhältnisse in Berlin nicht grundlegend ändern. Zweitens stehen den langfristigen Vorteilen kurz- und mittelfristige Kosten und Risiken gegenüber. Drittens ist die Zeitpräferenz der Politiker so beschaffen, daß sie allenfalls bis zur nächsten Wahl planen, nicht aber für die nächste Generation. Viertens neigen sie dazu, Fehler zu perpetuieren, um sie nicht eingestehen zu müssen. Fünftens gefährdet ein radikaler Schnitt das Finanzsystem im Rest Europas. Sechstens droht ein tiefgreifendes Zerwürfnis mit Frankreich. Und siebtens ist ein schneller Wechsel vom Euro zur NDM nicht machbar, weil anders als bei der Währungsreform 1948 das deutsche Parlament und ausländische Vertragspartner einbezogen werden müssen, weil die Vorarbeiten nicht sehr lange geheimgehalten werden können, weil neue Banknoten erst noch gedruckt werden müssen und weil der Dexit zu einem Fest für die internationale Spekulation werden könnte. Die Umstellung ohne Vorwarnung über ein Wochenende zuzüglich zwei oder drei Bankfeiertagen durchzuziehen ist illusorisch.

Einen fast unwiderstehlichen Charme hingegen hat die Neue Deutsche Mark als Konkurrenzwährung. Das Konzept als solches ist nicht neu, es war sogar schon einmal als Alternative zur 1991 in Maastricht beschlossenen Währungsunion im Gespräch – nur unter umgekehrten Vorzeichen. 1989, als der Euro bereits ausgebrütet wurde, unterbreitete der britische Schatzkanzler Nigel Lawson den Vorschlag, die damalige Europawährung ECU, die als Buchgeld und Korbwährung existierte, neben den nationalen Währungen in allen Ländern der Gemeinschaft als gesetzliches Zahlungsmittel zuzulassen.

Durch die stabilere nationale Konkurrenzwährung der Neuen Deutschen Mark würde Druck auf den Euro entstehen. Er wäre endlich dem Wettbewerb ausgesetzt. Zugleich entfiele der Zwang, den Euro per Haftung und Transfers über Wasser zu halten.

Es war ein pragmatisches und marktwirtschaftliches Konzept, weil ein Währungswettbewerb mit freiem Kapitalverkehr und anpassungsfähigen Wechselkursen entstanden wäre und weil die Europäer selbst hätten entscheiden können, in welchem Geld sie sparen und zahlen wollen. Es wäre eine vernünftige Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems gewesen. Die Euro-Krise wäre uns erspart geblieben. (...)

Ein Jahr später rückte London mit einer noch besseren Idee heraus: In seiner Funktion als Schatzkanzler und dann als Premierminister schlug John Major einen „harten ECU“ vor. Ein neu zu gründender Währungsfonds sollte ihn in Umlauf bringen, indem er nationale Währungen aufkaufte. Damit wäre die Geldmenge nicht aufgebläht worden. Es hätte sich nur ihre Zusammensetzung geändert.

Der Witz dabei: Der neue, harte ECU durfte nie abgewertet werden. Nur die nationalen Währungen konnten, falls nötig, abwerten. So wäre der ECU mit der Zeit zu einem zweiten Stabilitätsanker neben der D-Mark geworden. Und beide hätten dem US-Dollar als internationaler Leit- und Reservewährung und damit als einem Instrument der US-Hegemonie ernsthaft Konkurrenz machen können – was der Euro bisher nicht geschafft hat. 

Die Neue Deutsche Mark (NDM) hingegen wäre eine willkommene Ergänzung zur konstitutionellen Schwachwährung Euro. In seinem Buch „Euro-Krise“ nennt Professor Dirk Meyer (Hamburg) die Parallelwährung eine „Alternative zu einer hierarchisch-zentralistischen Währungsintegration“. Gerade im Krisenfall schaffe die Freiheit des Geldes Vertrauen und Sicherheit. Durch eine stabilere nationale Konkurrenzwährung würde Druck auf den Euro entstehen. Er wäre endlich dem Wettbewerb ausgesetzt. Zugleich entfiele der Zwang, den Euro per Haftung und Transfers über Wasser zu halten. (...)

In einem Interview mit Tichys Einblick vom Juni 2018 kam auch Professor Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, zu dem Schluß: „Letztendlich wäre es die Lösung, wenn Deutschland über eine Parallelwährung rausgeht und den Euro den Schwachwährungsländern überläßt, die ihn ja ohnehin mehr oder weniger okkupiert haben.“ Spiegelbildlich zu den italienischen Plänen der Mini-Bots könne sich dann der deutsche Staat Steuern in der neuen Währung bezahlen lassen. Die Unternehmen würden Einnahmen in ihr erzielen und die Bürger ebenfalls, wenn sie das Wechselkursrisiko der Weichwährung Euro nicht länger übernehmen wollten. „So könnte dann neben dem Euro mit der Zeit ein zweiter Kreislauf entstehen, der es Deutschland erlaubt, ohne Totalverlust davonzukommen“ – ein steuerbarer, gleitender Übergang also, der die Risiken eines harten Dexit minimiert.

Mayer schätzt, daß die Bundesbank von den Target-Forderungen 300 Milliarden Euro verlieren könnte. Er konzediert aber auch: „Selbst wenn man wohlmeinende Leute in Berlin fragt, dann kommt unisono die Antwort: Niemals im Leben wird Deutschland das machen! Wir sind die Allerletzten, die da rausgehen.“ Um so wichtiger ist es, die Öffentlichkeit aufzuklären, die Idee einer Neuen Deutschen Mark als Parallelwährung offensiv zu propagieren und dem Gerede von der Alternativlosigkeit entgegenzutreten. Eine große Chance für die AfD, ein durchdachtes Dexit-Konzept vorzulegen, aber auch für die FDP, falls die sich traut, das Euro-Tabu in Frage zu stellen.






Dr. Bruno Bandulet, Jahrgang 1942, ist Publizist und Buchautor. Der frühere Verleger promovierte über Adenauers Außenpolitik, war nach dem Studium Referent für Deutschland- und Ostpolitik in der Landesleitung der CSU und 1994 Mitgründer der Partei Bund Freier Bürger. Als Journalist war er Chef vom Dienst bei der Welt und Vize-Chefredakteur bei der Quick und schrieb für etliche Zeitungen und Magazine. Seine Kolumne „DeutschlandBrief“ erscheint in dem libertären Magazin eigentümlich frei.

Bruno Bandulet: Dexit. Warum der Ausstieg Deutschlands aus dem Euro zwar schwierig, aber dennoch machbar und notwendig ist. Kopp-Verlag, Rottenburg 2018, gebunden, 189 Seiten, 19,99 Euro. Der Beitrag auf dieser Seite ist – mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag – ein adaptierter Auszug aus dem Buch.

Foto: Portemonnaie mit zweierlei Währung – dem Euro- und der D-Mark: Totgesagte leben länger – die Neue Deutsche Mark hätte als Konkurrenz zur Schwachwährung Euro einen unwiderstehlichen Charme